Was zeichnet Jesuiten-Gründer Ignatius von Loyola aus?

Verletzungsbedingter Lockdown als Kehrtwende

Vor 500 Jahren beendete eine Kanonenkugel die Militärkarriere von Ignatius von Loyola. Dies wurde zum Startpunkt für einen ganz neuen Zugang zu Glaube und Kirche. Ignatius gründete die Jesuiten, die wie ihr Ordensleiter bis heute faszinieren.

Ignatius von Loyola bei Gelübdefeier im Montmartre 1534 (KNA)
Ignatius von Loyola bei Gelübdefeier im Montmartre 1534 / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ihr Orden feiert ab diesem Donnerstag weltweit ein “Ignatianisches Jahr”. Anlass ist der 500. Jahrestag seiner Verletzung als Soldat, die zum Ausgangspunkt seiner Bekehrung wurde. Ignatius war eigentlich ein adeliger Ritter, ein Soldat, Was für ein Typ war er denn?

Pater Axel Bödefeld SJ (Jesuit und Pater Minister der Kommunität des Berchmanskollegs in München): Man kann schon sagen, dass er Zeit seines Lebens Soldat und Edelmann blieb. Er war jemand, der hohen Wert auf Klarheit, auf Ordnung gelegt hat. Das Image, das uns Jesuiten bisweilen als  "Streitmacht Gottes", als "Soldaten Gottes" anhängt, kommt ein bisschen daher. Aber er war sicher jemand, der klar und entschieden in seinen Zielen war und ebenso klar in der Umsetzung, um zu seinem Ziel zu kommen.

DOMRADIO.DE: Ignatius von Loyola hat ja recht schnell Menschen gefunden, die seinen neuen Weg mitgegangen sind. Später ist der Orden dann auch sehr schnell gewachsen. Warum hat er denn andere offenkundig so für seinen neuen Zugang zum Glauben begeistern können?

Pater Bödefeld: Ohne korrigieren zu wollen: es ist ein interessantes Detail, dass ihm das nicht auf Anhieb gelungen ist. Die Gruppe, die dann später das Fundament der Ordensgemeinschaft geworden ist, war nicht der erste Kreis von Freunden, die Ignatius um sich gesammelt hat.

Vermutlich war dieser Ignatius dann schon auch für einzelne Menschen ein bisschen anstrengend aufgrund seiner Entschiedenheit und seines klaren Willens als erkennbare Führungspersönlichkeit. Ich denke, es muss einiges von dem gewesen sein im Zusammenhang mit seiner tiefen Spiritualität, die aus einer Erfahrung lebt, also nicht aus Gedanken oder Empfindungen, sondern aus dem, was wir heute religiöse Erfahrung nennen. Diese Erfahrung finden wir verdichtet in seinem Exerzitienbuch, das er geschrieben hat.

Beides dürfte also fasziniert haben: einerseits war er ein sehr entschiedener und klarer, reifer Charakter und andererseits jemand, der Religion und Glaube nicht nur als äußere Übung oder als traditionelle Geisteshaltung versteht, sondern wirklich aus der Erfahrung der Begegnung und Verbundenheit mit dem Auferstandenen lebt.

DOMRADIO.DE: Zentral für Ignatius sind die geistlichen Übungen, die Exerzitien und dabei auch ganz wichtig: die sogenannte Unterscheidung der Geister. Was meint er denn mit diesem Ansatz?

Pater Bödefeld: Ignatius war vor 500 Jahren in einer Situation, die wir heute eine Art Lockdown nennen würden. Nach seiner schweren Verletzung war er über Monate ans Krankenbett gefesselt, weil die Erholung sehr mühsam war. Er hat aber nicht die Zeit einfach nur totgeschlagen oder ganze Bibliotheken konsumiert, sondern er hat im Laufe der Zeit immer weniger gelesen - aber das immer aufmerksamer. Das heißt, Ignatius hatte - zunächst erzwungen durch die Lockdown- Erfahrung - Zeit und Ruhe, um in sich wahrzunehmen, was bestimmte Lektüren, was bestimmte Vorstellungen oder Gedanken in ihm anklingen lassen. Das kann Begeisterungen sein, Euphorie, Einsatzwille, das kann aber auch Abneigung sein, Traurigkeit.

Das ist das Prinzip der Unterscheidung der Geister: Die Erfahrung, dass bestimmte Vorstellungen, Gedanken, auch biblische Stoffe - das ist dann eben auch die Erfahrung der Exerzitien - in uns eine Resonanz auslösen. Und diese Resonanz zu betrachten und im Gebet zu betrachten, kann nach unserer Erfahrung und Vorstellung im Orden helfen, klarer zu sehen, was Gott sich mit mir und meinem Leben vorstellen könnte.

DOMRADIO.DE: Heute stehen ja die Kirche und auch der christliche Glaube vor großen Herausforderungen. Wie kann denn da der Zugang von Ignatius zu Glaube und Kirche, den Sie eben skizziert haben, auch heute noch eine Hilfe sein?

Pater Bödefeld: Ich denke, dass dieser erfahrungsunterstützte Zugang zu Religion, zu dem, was wir Gott nennen, schon ein Tor, ein Weg ist, der uns mit Gläubigen anderer Religionen verbindet. Damit meine ich weniger die dogmatische Lehre, sondern mehr die innere Erfahrung, die mystische oder spirituelle Seite des Glaubens.

Einige unserer Mitbrüder sind in einem intensiven Erfahrungsaustausch, beispielsweise mit Buddhisten und sammeln Erfahrungen in der buddhistischen Meditation. Einige von uns sind stark engagiert im Dialog mit Gläubigen des Islam. Ich glaube, dass es diese Dimension ist, dass es nicht nur ums Denken geht, sondern auch um das Erfahren, die uns grundsätzlich hilft, mit Menschen unterschiedlicher Religionen, auch unterschiedlicher Kulturen, ins Gespräch zu kommen.

DOMRADIO.DE: Religiöse Erfahrung ist das eine; viele Schulen und Hochschulen werden von den Jesuiten getragen. Bildung ist also auch ein ganz großes Thema bei den Jesuiten. Kommt daher der Ruf, dass Jesuiten besonders schlau seien und eine Art Elite-Orden?

Pater Bödefeld: Also, betonen wir, dass es nur der Ruf ist (lacht). Es ist aber tatsächlich so, dass der Orden aus der Gründungszeit heraus viel Wert auf Ausbildung legt und dass bei uns die Ausbildung relativ lang in Theorie und Praxis angelegt ist und dass sie auch möglichst umfangreich sein soll. Zur Theologie kommt dann im Studium vergleichsweise viel Philosophie dazu und möglichst auch noch eine andere Qualifikation. In meinem Fall beispielsweise ist das die Erziehungswissenschaft. Das kann aber bei jedem Jesuiten etwas ganz anderes sein.

Die Entscheidung von Ignatius geht darauf zurück, dass nach seiner Analyse und seinem Eindruck die Kirche zu seiner Zeit, also vor 500 Jahren während des Reformationsgeschehens, die Bildung des Klerus und die solide Ausbildung künftiger Priester ein großes Desiderat war. Das sind die geschichtlichen Hintergründe, dass bei uns Ausbildung und Studium einen hohen Wert haben. Das ist bis heute noch so, dass eben je mehr wir uns einerseits auf religiöse Erfahrung verlegen, wir aber andererseits die Reflexion brauchen, um nicht in eine religiöse Schwärmerei zu geraten.

Das eine bedingt das andere: Eine rein kopflastige Theologie, ein rein kopflastiges Denken über Gott wird ihm genauso wenig gerecht wie ein rein emotionales Schwärmen. Aber: die Erfahrung zu wagen und dann die Erfahrung zu reflektieren, das ist, glaube ich, eines unserer Charakteristika.

DOMRADIO.DE: Sie sind seit über 20 Jahren Jesuit und haben schon verschiedene Funktionen in ihrem Orden innegehabt, auch im Ausland. Was fasziniert Sie denn ganz persönlich an Ignatius von Loyola?

Pater Bödefeld: Ein Blick auf Ignatius zeigt mir, dass je enger wir mit Christus verbunden sind, desto flexibler wir im Leben lernen können. Ignatius hat mehrmals in seinem Leben Positionen, Vorstellungen radikal neu aufsetzen müssen. Er wollte einen hoch mobilen Orden gründen und saß selber lange Zeit seines Lebens in Rom fest am Schreibtisch. Er wollte Soldat werden und fand sich nach einer Niederlage schwer verletzt und nicht mehr einsetzbar wieder. Er wollte ins Heilige Land und dort bleiben und wurde wieder vertrieben.

Also, man macht eigene Pläne und dann die Erfahrung, dass das so doch nicht weitergeht. Dann aber nicht aufzugeben und zwar aus dem Vertrauen darauf, dass Gottes Wege und Gottes Treue nochmal größer ist als unsere Vorstellung, das finde ich faszinierend. Und das hat mich in meinen bisherigen Lebens- und Ordensjahren auch an Orte, an Aufgaben herangeführt, die ich so nicht unbedingt erwartet hätte und durch die ich auch mehrmals radikal eigene Vorstellungen und Pläne aufgeben musste.

DOMRADIO.DE: Und was erhoffen Sie sich jetzt von dem Ignatianischen Jahr für sich und vielleicht auch für die gesamte Kirche?

Pater Bödefeld: Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingt, als Orden und auch als Kirche diese Erfahrungen von Ignatius aufzugreifen, dass es nicht ums Viel-Lesen, ums Viel-Reden, ums Viel-Machen geht, sondern darum, dass das, was wir tun, mit Aufmerksamkeit getan wird und mit der Frage: Was bewegt mich da, was löst das in mir aus? Also lieber weniger tun, das aber aufmerksamer. Das wird uns, glaube ich, näher an das heranführen, was wir den Willen Gottes für seine Kirche und für die Welt nennen.

Das Interview führte Mathias Peter.


Ignatius von Loyola / © Morphart Creation (shutterstock)
Ignatius von Loyola / © Morphart Creation ( shutterstock )

Pater Axel Bödefeld SJ, Jesuit und Pater Minister der Kommunität des Berchmanskollegs in München / © privat (SJ)
Pater Axel Bödefeld SJ, Jesuit und Pater Minister der Kommunität des Berchmanskollegs in München / © privat ( SJ )
Quelle:
DR