Die Maroniten sind die größte christliche Gemeinschaft im Libanon. Ihren Namen leiten sie von dem Einsiedler Maron ab, der beim nordsyrischen Apameia lebte und laut Überlieferung 410 starb. Zwischen dem Kloster Mar Maron und der byzantinischen Reichskirche kam es im 7. Jahrhundert zu dogmatischen Spannungen. Zum Bruch mit Konstantinopel kam es 745 im Streit um die Einsetzung eines Patriarchen von Antiochien. 1182 wurde die Einheit Maroniten mit dem Papst offiziell bestätigt. Eine Trennung von Rom hat aus Sicht der maronitischen Kirche im Unterschied zu anderen unierten Ostkirchen nie bestanden. Die Maroniten haben eine eigene Liturgie in altsyrischer Sprache. Ihr Patriarch wird von den Bischöfen mit Zweidrittelmehrheit gewählt und vom Papst bestätigt. Nach Angaben des Vatikan gibt es weltweit rund 3,1 Millionen Maroniten. Nach einer Übereinkunft bei der libanesischen Unabhängigkeit 1943 stellen die Maroniten stets den Staatspräsidenten. Durch die enge Verbindung von Religion und Politik ist das Amt des maronitischen Patriarchen auch politisch von großer Bedeutung. (KNA)
22.07.2020
Corona-Pandemie, Wirtschaftszusammenbruch, zivile Unruhen - der Libanon steuert auf eine ernste Krise zu. Der einflussreiche maronitische Patriarch setzt sich nun für Neutralität ein und kritisiert die Regierung.
Im krisengeschüttelten Libanon wird der maronitische Patriarch Kardinal Bechara Rai immer mehr zu einem Akteur und Mittler auch auf politischem Parkett. Neben der Corona-Pandemie, die dort inzwischen 2.900 Infizierte und 41 Tote zählt, wird das arabische Land von einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise heimgesucht - und in der Folge von Demonstrationen und sozialen Unruhen bis hin zu Bürgerkriegsstimmung.
Auf vielen Ebenen und mit unterschiedlichsten Gesprächspartnern plädiert Rai in dieser Lage für eine entschiedene Neutralität der einstigen "Schweiz des Nahen Ostens", die sich nicht in die vielen Konflikte der Region hineinziehen lassen dürfe.
Internationale Unterstützung
Dabei sucht der 80-jährige Kardinal Unterstützung in seiner Heimat, aber auch im Weltsicherheitsrat, an den er sich bereits mit einer Resolution gewandt hatte. Rückenstärkung erhofft er sich dabei von Frankreich, ganz besonders aber von der Vatikan-Diplomatie, für die der Libanon traditionell ganz oben auf der Agenda steht. In den kommenden Tagen wird Rai Kirchenquellen zufolge zu Gesprächen in Rom erwartet.
Seit Anfang Juli hat das ostkirchliche Oberhaupt in seinen Sonntagspredigten und bei anderen Anlässen dazu aufgerufen, den Libanon zu einem neutralen Staat zu erklären. Das sei kein sektiererischer, kein persönlicher und von außen importierter Vorschlag. Neutralität sei im bis heute verbindlichen Nationalpakt von 1943 zugrunde gelegt, und setze einen stabilen Staat mit starken Institutionen, mit Recht und Gerechtigkeit voraus. Einen Staat, der sich selbst verteidigen, die Bevölkerung vereinen und politische Stabilität und wirtschaftliches Wachstum schaffen könne. Es gehe nicht an, dass eine Partei "einseitig über das Schicksal des Libanon entscheidet, seine Menschen, sein Territorium, seine Grenzen, seine Identität".
Interne Konflikte
Libanesische Medien sahen darin eine implizite Kritik an der mächtigen Schiiten-Partei Hisbollah, die zusammen mit der christlichen "Freien Patriotischen Bewegung" (FPM) um Staatspräsident Michel Aoun und der ebenfalls schiitischen Amal der Regierung angehört. Sie wird von ihren Gegnern beschuldigt, eine iranische Agenda im Libanon umzusetzen und in den Syrienkonflikt involviert zu sein.
Eine Neutralität würde unterdessen auch das Vertrauen der Weltwirtschaft und des Internationalen Währungsfonds erhöhen, auf die der Libanon angewiesen ist. Denn die Währung ist tief eingebrochen, 35 Prozent der aktiven Bevölkerung sind arbeitslos, etwa die Hälfe der Bevölkerung lebt nach Medienangaben inzwischen in Armut.
Dialog auch mit dem Islam
Unterstützung bekam der Kardinal für seine Forderung von christlichen wie auch von sunnitischen Politikern, unter ihnen der frühere Ministerpräsident Saad Hariri. Aber auch Kritiker meldeten sich zu Wort. Scheich Abdel-Amir Kabalan vom Hohen Islamisch-Schiitischen Rat lehnte in einer Presseerklärung die Neutralität des Libanon ab, solange Israel libanesische Gebiete besetze - wie die Shebaa-Farmen im Grenzgebiet zu Syrien. "Neutralität bedeutet in der Logik des Propheten Mohammed und Jesu Christ, aufseiten des Rechts zu stehen und das mit dem Schwert einer Wirtschaftsblockade geschlachtete Land zu verteidigen", so der Scheich.
Kardinal Rai betonte dagegen, dass Neutralität nicht bedeute, sich Israel öffnen zu müssen. In Beirut wie in seinem Sommersitz Dimane traf der Kirchenmann mit höchsten Vertretern des Staates zusammen, darunter Staatspräsident Aoun und der aktuelle Ministerpräsident Hassan Diab. Er werde demnächst einen Plan vorlegen, der die Grundlage für einen breiten nationalen Dialog über Neutralität bilden soll, hieß es aus seinem Umfeld. Vor allem aber werde er seine Gespräche auf vielen Ebenen fortsetzen.
Wegen der in der Verfassung verankerten engen Verbindung von Religion und Politik kommt den Religionsführern im Libanon auch eine hohe politische Bedeutung zu, gerade in Krisenzeiten oder Phasen eines Machtvakuums. Das gilt seit jeher besonders für die maronitischen Patriarchen als Leiter der mit einer Million Mitgliedern größten christlichen Gemeinschaft im Libanon. Wie seine Vorgänger, insbesondere der vor einem Jahr verstorbene Kardinal Nasrallah Sfeir (1986-2011), nutzt Rai diesen Einfluss für die Souveränität und Unabhängigkeit des Libanon. Gleichberechtigung und Freiheit der verschiedenen Religionsgruppen sollen gestärkt werden.
Johannes Schidelko
Die Maroniten sind die größte christliche Gemeinschaft im Libanon. Ihren Namen leiten sie von dem Einsiedler Maron ab, der beim nordsyrischen Apameia lebte und laut Überlieferung 410 starb. Zwischen dem Kloster Mar Maron und der byzantinischen Reichskirche kam es im 7. Jahrhundert zu dogmatischen Spannungen. Zum Bruch mit Konstantinopel kam es 745 im Streit um die Einsetzung eines Patriarchen von Antiochien. 1182 wurde die Einheit Maroniten mit dem Papst offiziell bestätigt. Eine Trennung von Rom hat aus Sicht der maronitischen Kirche im Unterschied zu anderen unierten Ostkirchen nie bestanden. Die Maroniten haben eine eigene Liturgie in altsyrischer Sprache. Ihr Patriarch wird von den Bischöfen mit Zweidrittelmehrheit gewählt und vom Papst bestätigt. Nach Angaben des Vatikan gibt es weltweit rund 3,1 Millionen Maroniten. Nach einer Übereinkunft bei der libanesischen Unabhängigkeit 1943 stellen die Maroniten stets den Staatspräsidenten. Durch die enge Verbindung von Religion und Politik ist das Amt des maronitischen Patriarchen auch politisch von großer Bedeutung. (KNA)