Katholischer Auslandsseelsorger zur Situation in der Türkei

"Können Glauben ohne Hindernisse ausüben"

Bei jedem Gottesdienst der Sankt Nikolaus Gemeinde im türkischen Antalya gibt es Polizeischutz. Das sei aber nur eine Vorsichtsmaßnahme, sagt Auslandsseelsorger Pfarrer Ludger Paskert. Von Druck auf Christen könne er nichts spüren.

Mond über dem Kirchenkreuz / © Patrick Pleul (dpa)
Mond über dem Kirchenkreuz / © Patrick Pleul ( dpa )

domradio.de: Im Sommer gab es in der Türkei den Putschversuch, der von Teilen des Militärs ausgegangen war, mit dem Ziel, die Regierung Erdogan zu stürzen. Das hat zwar relativ weit weg von Ihnen in Antalya stattgefunden, aber wie haben Sie das verfolgt?

Pfarrer Ludger Paskert (Auslandsseelsorger in Antalya): Mir fiel damals in der Nacht auf, dass es an den Tankstellen Hamsterkäufe gab und die Geldautomaten von Menschen umlagert waren. Die Stadt war in der Nacht wie leergefegt. Völlig ungewöhnlich war, dass der Muezzin um kurz nach ein Uhr in der Nacht rief und die Menschen zu einer Versammlung auf dem Platz der Republik aufforderte. Und dann kamen die Menschen auch aus den Häusern. Sie trugen dabei Türkei-Fahnen mit sich, vor allem jüngere Leute waren dabei.

Das war die erste Demonstration für die Demokratie, die dann noch eine ganze Reihe von vergleichbaren Demonstrationen nach sich zog. Ich war später auch bei solchen Demonstrationen mit dabei und habe etwas für uns Europäer ungewöhnliches gesehen und erlebt: Nach der Demonstration fand so etwas wie ein Gottesdienst statt. Es gab lange Koranlesungen, Predigten und Gebete. Wir dürfen nicht vergessen, wie tief der Glaube in den Menschen hier in der Türkei verwurzelt ist.

domradio.de: Antalya ist dafür bekannt, ein ruhiges Urlaubsdomizil zu sein. Nun gab es jetzt auch dort erstmals Zwischenfälle und zum Teil auch Verletzte. Bereitet Ihnen das Sorge?

Paskert: Ja. Es gab solche Zwischenfälle und vorgestern wurde sogar ein Mensch dabei getötet. Solche Terrorattacken bereiten uns und den Einheimischen natürlich große Sorge. Das wäre bei uns in Deutschland nicht anders. Wir fragen uns, wie lange das noch weitergehen soll und wie sicher wir uns fühlen können.

Wir trauern mit Hinterbliebenen, wir sehen die Bilder von Müttern, die mit schmerzverzerrtem Gesicht den Sarg ihres nicht einmal 30 Jahre alten Sohnes umfassen, wir sehen Bilder von jungen Ehefrauen mit ihren Kindern. Ich weiß von einem Gemeindemitglied, dass er eine großzügige Geldsumme für solche Angehörige von Anschlagsopfern gespendet hat. In unseren Gottesdiensten schließen wir die Opfer, ihre Angehörigen und auch die Situation in der Türkei in unsere Gebete mit ein.

domradio.de: Dabei sind Sie ja eine christliche, eine katholische Gemeinde in einem islamischen Land, das immer weniger als säkularer Staat auftritt. Was bedeutet das für Sie als Christen? Können Sie als Gemeinde denn Ihre Religion frei ausüben?

Paskert: Ja, voll und ganz! Als unsere Gemeinde vor zwölf Jahren gegründet wurde, bekamen die Leute, die die Gemeinde gründen wollten, Hilfe aus Ankara, um einen Rechtsstatus zu erhalten. Das war zwar nicht der Rechtsstatus einer religiösen Minderheit, aber es wurde immerhin ein Verein türkischen Rechts mit dem Namen "Sankt Nikolauskirche Antalya" gegründet. Das erlaubt uns nun, unseren christlichen Glauben ohne Hindernisse auszuüben. Wir können einen Gemeinderaum mieten oder sogar bauen. Es wurde auch in der Vereinssatzung festgelegt, dass wir religiöses Schriftgut einführen können. Wir können sogar in Krankenhäusern und Gefängnissen seelsorgerisch tätig sein. Bei unseren Veranstaltungen hat zudem jeder Zutritt - gleich, welcher Konfession, Nationalität oder Weltanschauung.

Wir stellen darüber hinaus auch fest, dass die Stadtverwaltung vor Ort auf würdige Bestattung von Christen Wert legt. Und seit März haben die christlichen Gemeinden bei allen Gottesdiensten unaufgefordert Polizeischutz. Das ist landesweit so. Unsere Leute von Sankt Nikolaus finden das sehr gut und beruhigend. Zusammengefasst haben wir also keine Hindernisse. Es gibt sogar neue Kirchbauten, die zwar nicht Kirche sondern Vereinshaus genannt werden. Der Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel hat vor einem Jahr in Alanya, das rund 150 Kilometer von Antalya entfernt liegt, eine neue Kirche für die russisch-orthodoxe Kirche geweiht. Das zeigt noch einmal, dass es hier für Christen keine Einschränkungen gibt.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR