Papst Franziskus hat am Samstag im italienischen Assisi seine Enzyklika "Fratelli tutti" unterschrieben. Das dritte große Lehrschreiben des amtierenden Kirchenoberhaupts soll eine Gesellschaftsordnung für die Zeit nach der Corona-Pandemie entwerfen. Es ist nach seinen Anfangsworten dem Ordensgründer Franz von Assisi (1181/82-1226) und dessen Offenheit gegenüber allen Menschen verpflichtet. Anlässlich der Unterzeichnung reiste der Papst eigens in die umbrische Pilgerstadt Assisi, um am Grab des Heiligen in der Basilika San Francesco eine Messe zu feiern. Das Dokument wird am Sonntag veröffentlicht.
Auf dem Weg besuchte Franziskus am Vormittag das Klarissenkloster in Spello, wo er auch zum Mittagessen blieb. Anschließend begab er sich in Assisi zu einem Moment des Gebets in die Kirche Santa Chiara, die der Gefährtin des heiligen Franziskus gewidmet ist. An der Messe in der Krypta von San Francesco nahmen aufgrund der Corona-Schutzvorkehrungen nur etwa zwei Dutzend Personen teil, hauptsächlich Ordensleute. Bevor Papst Franziskus drei Exemplare der Enzyklika auf dem Altar signierte, dankte er in einer persönlichen Geste den Mitarbeitern des vatikanischen Staatssekretariats, die an der Erstellung und Übersetzung mitgewirkt hatten.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin erläuterte den Titel des Lehrschreibens "Fratelli tutti", die Geschwisterlichkeit aller Menschen verpflichte zu gegenseitiger Offenheit und Solidarität. Diesen Weg gelte es trotz häufiger Rückschritte geduldig zu beschreiten, sagte der Chefdiplomat des Papstes dem italienischen Sender TG1.
Wie "Fratelli tutti" ist auch die fünf Jahre zuvor veröffentlichte Umwelt-Enzyklika des Papstes "Laudato si" von Franz von Assisi inspiriert. Die Veröffentlichung des aktuellen Schreibens fällt auf den 4. Oktober, den Festtag des heiligen Franziskus. Als päpstliches Grundsatzschreiben besitzt eine Enzyklika besondere Verbindlichkeit für die 1,3 Milliarden katholischen Gläubigen weltweit; sie gilt aber nicht als unfehlbare Lehräußerung. (KNA, 3.10.2020)
06.10.2020
Mitten in den neusten Finanzskandal veröffentlicht Papst Franziskus die Sozialenzyklika "Fratelli tutti". Für den Journalisten Andreas Englisch ist klar: Das ist ein deutliches Signal an seine Feinde im Vatikan.
DOMRADIO.DE: In Ihrem neuen Buch "Der Pakt gegen den Papst" sprechen Sie ganz klar von Feinden, die aktiv versuchen, Papst Franziskus und seine Arbeit zu behindern. Wie gefährlich lebt der Papst im Vatikan? Mit dieser Frage starten Sie Ihre Überlegungen. Muss Franziskus tatsächlich um Leib und Leben fürchten?
Andreas Englisch (Journalist): Ich glaube nicht um Leib und Leben. Aber ich finde es unglaublich, mit welcher Hartnäckigkeit über so viele Jahre so gut organisierte Gruppen versuchen, diesen Papst zum Aufgeben zu zwingen. Und das hat sich in den letzten Jahren immer nur verstärkt.
DOMRADIO.DE: Bei Reizthemen wie verheiratete Priester und Frauen in Weiheämtern will Franziskus offenbar nicht vom Status quo abrücken. Über welche Art Reformen sprechen wir dann?
Englisch: Er weiß ganz genau - und das sagen seine Gegner ja immer wieder - wenn er nur einen Zentimeter weiter geht, dann kommt eine Kirchenteilung, dann kommt ein Schisma. Das, was der Papst in den letzten Jahren unternommen hat, ist so revolutionär, dass die katholische Kirche in ihrem Inneren und vor allem an der Spitze wirklich aufs Äußerste gespannt ist.
Das ist der erste Papst in der Geschichte, der gesagt hat: Wir müssen uns bei Menschen homosexueller Orientierung entschuldigen. Das war ein totaler Wechsel in der Haltung des Vatikans. Und so geht das weiter. Es gibt ja jede Menge Punkte, aber ich glaube, die radikalsten waren seine Entscheidung, sich vollkommen klar auch politisch an die Seite der Armen und Schwachen mit seiner ersten Reise nach Lampedusa zu stellen. Das war das Erstaunliche an diesem Pontifikat, dass er gar nicht lange gewartet hat, um zu sagen, was er will. Er reiste sofort an das Massengrab im Mittelmeer. Da hat er gesagt: Wir müssen die Menschen aufnehmen, den Armen helfen, ob das Muslime oder Christen sind, ganz egal. Und vom ersten Augenblick an war klar, dass wird ein total revolutionäres Pontifikat und das ist es auch geworden.
DOMRADIO.DE: Wo ist denn Ihrer Ansicht nach der Widerstand gegen Franziskus am deutlichsten geworden?
Englisch: Ich glaube, es gibt zwei Punkte, die ganz wichtig sind. Das Revolutionärste an diesem Papst ist, dass er den Menschen, die es im Vatikan gewohnt waren, Champagner zu trinken und auf Empfänge zu gehen, im diplomatischen Dienst oder auch hochkarätige Wissenschaftler waren, gesagt hat: So, mindestens ein Jahr lang geht ihr ganz normaler Arbeit nach. Sie sollten mal in einem Altenheim oder in einen Kindergarten oder eine ganz normale Pfarrei arbeiten.
Das hat unglaublich viele Menschen gegen ihn aufgebracht, dass er gesagt hat: Die Zeiten, in denen wir in einer Kirche sitzen konnten in aller Ruhe, die sind vorbei. Die Leute da draußen brauchen unsere Hilfe.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass das ganz vielen im Vatikan nicht gefallen hat. Wer ist denn in Ihren Augen der gefährlichste Widersacher für Franziskus?
Englisch: Es gibt einige. Aber einer der hartnäckigsten ist ganz sicherlich Kardinal Raymond Burke. Um ihn herum gibt es noch viele andere, die im Hintergrund oder auch relativ offen immer wieder sagen: Dieser Papst ist ein Kommunist. Dieser Papst ist gegen den Kapitalismus. Das stimmt. Der Papst hat auch in seinem neuen Lehrschreiben klar gesagt: Der Kapitalismus produziert die falschen Dinge. Kein Mensch braucht ein Auto mit 600 PS. Es gehe auch nicht, dass einige Nationen sich immer weiter entwickeln und andere immer ärmer werden. Diese Aussagen haben große Proteste nach sich gezogen, sodass es vor allem in den USA, aber auch in Europa, heißt: Dieser Papst ist einfach nicht mit der Wirtschaftsordnung kompatibel.
DOMRADIO.DE: Schauen wir auf die aktuellen Ereignisse im Vatikan: Ein Kardinal verliert sein Amt, ein anderer höchst umstrittener ist in den Vatikan zurückgekehrt. Wie bewerten Sie die Ereignisse rund um Kardinal Becciu und Kardinal Pell?
Englisch: Erst einmal finde ich vor allem eins daran erstaunlich: Dieser Papst hat ja nun seit 2013 ganz klar gesagt, was er will. Er hat gesagt: Ich will, dass Schluss ist mit der Protzerei und der Korruption. Ich will, dass das Geld, das der Vatikan hat, für die Armen ausgegeben wird. Dass sieben Jahre später immer noch Skandale hochkommen - das betraf ja nicht nur Kardinal Becciu, sondern auch die Dombauhütte des Petersdoms - zeigt, dass es ganz offensichtlich gut organisierte Kräfte gibt, die vor allem ganz gezielt eins wollen: Die Kirche gibt das Geld an der falschen Stelle aus.
Für sie ist dieser Papst mit seiner Politik, die Kirche an die Seite der Armen zu stellen und zu reformieren, gescheitert. Sie wollen, dass er versagt. Sie wollen, dass er scheitert. Das ist der wahre Grund, warum es immer wieder zu Skandalen kommt. Becciu hat das jetzt noch mal ganz deutlich gezeigt. Er war ja Substitut (zweiter Mann im vatikanischen Staatssekretariat, Anm. d. Red.) Ich glaube, deswegen war es auch für den Papst so schmerzlich, er kennt ja Becciu sehr gut. Er hat ihn jeden Tag getroffen, er war so etwas wie der Innenminister. Er hat mit ihm jede Menge einzelne Probleme durchgesprochen. Das ist ein guter Bekannter, wenn nicht sogar ein Freund gewesen.
Dass auch Becciu so tief darin verwickelt ist, dass der Papst ihm Kardinalswürde nehmen muss, dass er bei der nächsten Papstwahl gar nicht mitwählen darf, das ist schon heftig, wie das in seinem eigenen Laden abgeht.
Dieser Papst versucht mit seiner Enzyklika zu sagen: Wir sind alle Brüder, wir müssen zusammenstehen. Und in seinem eigenen Laden? Er erlebt ja das genaue Gegenteil. Alle rempeln gegeneinander und gegen diesen Mann aus Argentinien.
DOMRADIO.DE: Wird Franziskus sich am Ende gegen seine Feinde durchsetzen?
Englisch: Ich bin mir ganz sicher. Die Enzyklika hat noch einmal gezeigt: Der Papst hat die Nase voll. Er will nicht mehr sagen: Bitte, lasst uns vernünftig darüber reden. Er hat gesagt: Ich haue jetzt mal drauf und sage: Das ist unsere Position, ganz klar. Und solange ich am Leben bin, wird es auch dabei bleiben.
Er hat kein bisschen an Energie und Tatendrang verloren, sondern im Gegenteil: Es ist unglaublich, wie dieser Mann mit einer solchen Kraft gegen diese Wahnsinns-Widerstände, auch gegen persönliche Beleidigungen, Unterstellungen und immer wieder gegen diese Enttäuschung, dass seine engsten Mitarbeiter ihn hintergehen, dass er dagegen einfach weiter macht. Er beißt die Zähne zusammen, und ich hoffe, dass das auch so bleibt.
Das Interview führte Hilde Regeniter.
Das Buch "Der Pakt gegen den Papst: Franziskus und seine Feinde im Vatikan" von Andreas Englisch ist erschienen im Bertelsmann-Verlag.
Papst Franziskus hat am Samstag im italienischen Assisi seine Enzyklika "Fratelli tutti" unterschrieben. Das dritte große Lehrschreiben des amtierenden Kirchenoberhaupts soll eine Gesellschaftsordnung für die Zeit nach der Corona-Pandemie entwerfen. Es ist nach seinen Anfangsworten dem Ordensgründer Franz von Assisi (1181/82-1226) und dessen Offenheit gegenüber allen Menschen verpflichtet. Anlässlich der Unterzeichnung reiste der Papst eigens in die umbrische Pilgerstadt Assisi, um am Grab des Heiligen in der Basilika San Francesco eine Messe zu feiern. Das Dokument wird am Sonntag veröffentlicht.
Auf dem Weg besuchte Franziskus am Vormittag das Klarissenkloster in Spello, wo er auch zum Mittagessen blieb. Anschließend begab er sich in Assisi zu einem Moment des Gebets in die Kirche Santa Chiara, die der Gefährtin des heiligen Franziskus gewidmet ist. An der Messe in der Krypta von San Francesco nahmen aufgrund der Corona-Schutzvorkehrungen nur etwa zwei Dutzend Personen teil, hauptsächlich Ordensleute. Bevor Papst Franziskus drei Exemplare der Enzyklika auf dem Altar signierte, dankte er in einer persönlichen Geste den Mitarbeitern des vatikanischen Staatssekretariats, die an der Erstellung und Übersetzung mitgewirkt hatten.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin erläuterte den Titel des Lehrschreibens "Fratelli tutti", die Geschwisterlichkeit aller Menschen verpflichte zu gegenseitiger Offenheit und Solidarität. Diesen Weg gelte es trotz häufiger Rückschritte geduldig zu beschreiten, sagte der Chefdiplomat des Papstes dem italienischen Sender TG1.
Wie "Fratelli tutti" ist auch die fünf Jahre zuvor veröffentlichte Umwelt-Enzyklika des Papstes "Laudato si" von Franz von Assisi inspiriert. Die Veröffentlichung des aktuellen Schreibens fällt auf den 4. Oktober, den Festtag des heiligen Franziskus. Als päpstliches Grundsatzschreiben besitzt eine Enzyklika besondere Verbindlichkeit für die 1,3 Milliarden katholischen Gläubigen weltweit; sie gilt aber nicht als unfehlbare Lehräußerung. (KNA, 3.10.2020)