Vatikanexperte über das Auftreten von Päpsten

"Die Gefahr der Selbstdarstellung ist da"

Der Schriftsteller Martin Mosebach hatte in einem Interview die Stilmittel des Papstes mit Stalin und Hitler verglichen - und damit auch die Frage nach der Inszenierung des Papsttums aufgeworfen. Wie inszenieren sich Päpste? Eine Einordnung.

Die roten Schuhe des Papstes. Sie wurden indes als Mode-Gag oder Eitelkeit verstanden / © Wolfgang Radtke (KNA)
Die roten Schuhe des Papstes. Sie wurden indes als Mode-Gag oder Eitelkeit verstanden / © Wolfgang Radtke ( KNA )

DOMRADIO.DE: Martin Mosebach bedauert in der Herder-Korrespondenz, dass der Papst sich heute anders - er nennt es totalitärer - inszeniere; anders als früher, wo es ein bescheideneres, umständliches, vielleicht auch verstaubtes Hofzeremoniell gegeben habe. Sehen sie das auch so?

Ulrich Nersinger (Vatikan-Experte): Ich habe mir das Interview vor gut einer Stunde noch einmal durchgelesen. Es ist ein Doppelinterview mit Thomas Sternberg und Martin Mosebach. Ich war etwas verwundert und enttäuscht, dass zwei Menschen - die ja nun eine doch beachtliche intellektuelle Präsenz haben - sich so in einem Interview geäußert haben. Mir fehlte sehr viel Sachlichkeit. Mir fehlten auch Argumente und Angaben, die wirklich der Realität entsprechen. Ich habe auch dort Ansichten gehört, die man so nicht stehen lassen kann - also fern jeder Ideologie.

DOMRADIO.DE: Muss man nicht sagen, dass der Papst früher viel eher - sagen wir mal - verherrlicht wurde. Ich denke da an die Zeiten zurück, wo er auf einem hohen Thron durch den Petersdom getragen wurde?

Nersinger: Im Prinzip nicht. Man muss sehen, dass das Hineintragen nach Sankt Peter oder auf den Petersplatz auch praktische Gründe hatte. Wir müssen uns in die Zeit hineinversetzen: Es war eine Zeit, wo es noch kein Papamobil oder so etwas gab. Und damit die Gläubigen den Papst sahen, musste er natürlich getragen werden. Das ist ein Argument, das auch die Päpste selber immer angeführt haben.

Dass bei dem einen oder anderen Papst auch so ein bisschen Triumphalismus oder Selbstdarstellung hineinschlittert, ist eigentlich ganz natürlich, auch teilweise menschlich. Aber ich denke, diese Gefahr ist eigentlich in jedem Pontifikat bei jedem Papst da - eben nur in einer ganz anderen Ausprägung.

DOMRADIO.DE: Jeder Papst hat eine andere Sprache. Johannes Paul II. ist viel offener und den Menschen zugewandter aufgetreten als Paul VI. Das war schon eine ganz andere Formsprache, oder?

Nersinger: Ja, auch etwas begründet durch die geschichtlichen Hintergründe oder die Biografie. Denken wir daran, dass Johannes Paul II. sich in seiner Jugend als Schauspieler versucht hat und auch aufgetreten ist. Das schafft natürlich auch eine ganz andere Voraussetzung, mit einer größeren Masse von Menschen umzugehen.

Von daher sehe ich bei den einzelnen Päpsten zwar Unterschiede, aber die Intention ist ähnlich: die Botschaft den Menschen nahezubringen, im konkreten Sinne die Botschaft Christi nahezubringen. Und dann bedient man sich eben an Mitteln, die manchmal sehr gut klappen und manchmal natürlich auch schief gehen

DOMRADIO.DE: Was hat sich von Papst Benedikt zu Franziskus geändert? Es sagt doch schon etwas aus, dass Franziskus die roten Schuhe im Schrank stehen lässt und im Gästehaus des Vatikan wohnt und nicht in den päpstlichen Gemächern, oder?

Nersinger: Ja, das muss man aber auch differenziert sehen. Ich denke von der Persönlichkeit war Benedikt ja nun wirklich nicht großspurig und großprotzig. Es ist natürlich auch so, dass die Umgebung darauf einwirken kann. Ich glaube, dass ein Benedikt nicht von sich aus rote Schuhe getragen hat - das muss man auch beachten. Und bei Franziskus ist natürlich der Gedanke da, auch durch Zeichen seinem Namen eine Kraft und Bedeutung zu geben - in dem er dann nach Santa Marta zieht oder indem er bestimmte Gewänder nicht trägt.

Aber es ist natürlich auch sehr schwierig, wenn man das entscheidet und wenn man vielleicht geschichtliche Hintergründe nicht zum Tragen kommen lässt. Oder wenn man in der eigenen Biografie geschichtliche Hintergründe hat, die dann das Auftreten bestimmen, ohne das irgendwie zu werten und zu deuten. Man muss natürlich schon sehen, dass der Papst aus Argentinien auch ein wenig von der argentinischen Mentalität und vielleicht auch von den politischen Strömungen, die ja lange Zeit dort herrschte - den Peronismus - geprägt ist.

Jeder Papst hat seine eigene Geschichte und lässt sie natürlich einfließen. Und das Problem ist eben, dass in den Medien ein solches Auftreten sehr pointiert und überspitzt gesehen wird. Was natürlich dann auch der Person und auch dem Auftreten manchmal nicht immer gerecht wird.

DOMRADIO.DE: Wofür steht denn die Formsprache von Papst Franziskus. Sie steht doch eigentlich für das Gegenteil von Totalitärem, oder?

Nersinger: Eigentlich ja. Aber es kann, wenn man es so stark macht, natürlich bei dem einen oder anderen Beobachter genau das Gegenteil erreichen. Man sagt, das ist inszeniert, das ist gemacht, obwohl es gar nicht so sein muss. Von daher, wie schon gesagt, man muss eben bei diesen öffentlichen Auftritten heute mehr denn je darauf achten, wie es ankommt. Das ist leider so. Das merken wir in allen Medienbereichen. Es nützt nichts, wenn wir jetzt so lange fachlich über etwas diskutieren. Das muss irgendwie pointiert kommen, das muss gerafft kommen und das ist natürlich etwas, was dann der Sachlichkeit abgeht.

DOMRADIO.DE: Aber trotzdem: Ein Vergleich mit diesen totalitären Machthabern des 20. Jahrhunderts Hitler, Stalin - der ist doch einfach absurd, oder?

Nersinger: Das darf man so natürlich nicht machen. Das hat er auch so klar nicht gesagt, aber er hat es natürlich in den Raum geworfen. Da müssen die Leute, die gefragt werden und die Interviews geben, auch überlegen, wie weit sie gehen können und inwieweit sie Vergleiche machen können. Das ist natürlich eine Sache, die wir heute alle lernen müssen.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.


Ulrich Nersinger / © privat
Ulrich Nersinger / © privat
Quelle:
DR