Warum sich ein Jesuitenpater nach "Containern" selbst anzeigt

Den Finger in eine Wunde gelegt

Auf Missstände und Fehlentwicklungen hinweisen und Lösungen vorschlagen. Das hat Jesus damals getan, vor einigen Tagen der Jesuitenpater Jörg Alt. Er hat sich selbst angezeigt, da er durch "Containern" Nahrungsmittel verteilt hat. Was hat ihn motiviert?

Lebensmittel im Müll / © Frank May (dpa)
Lebensmittel im Müll / © Frank May ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wer Lebensmittel aus Müllcontainern von Supermärkten fischt, macht sich strafbar. So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Pater Jörg Alt hat es trotzdem gemacht und sich selbst angezeigt. Jetzt läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls in besonders schweren Fall gegen ihn. Fühlen Sie sich jetzt wie ein Krimineller?

Pater Jörg Alt SJ: Nein, überhaupt nicht. Man muss ja immer unterscheiden zwischen dem, was irgendwie unsinnig ist und was gerechtfertigt ist. Essbare Lebensmittel zu vernichten, ist einfach nicht in Ordnung. Da bin ich in einer Linie mit Papst Franziskus. Ich fühle mich sehr gut, dass ich auf diesen Missstand hingewiesen habe.

DOMRADIO.DE: Sie sagen ja, die Aktion sei ziviler Ungehorsam. Was genau wollen Sie mit der Aktion erreichen?

Pater Jörg Alt: Ziviler Ungehorsam ist das symbolische Brechen einer Rechtsnorm unter Verweis auf höhere Rechtsnormen. Indem ich einen Diebstahl begehe, also in dem Fall eine Straftat – nach Paragraf 243 des Strafgesetzbuchs – in besonders schwerer Form, tue ich das unter Verweis auf Artikel 14 des Grundgesetzes, wo der Umgang mit Eigentum geregelt ist. Dort steht im Artikel 14(1) das Eigentum unter besonderem Schutz steht und in 14(2), dass Eigentum verpflichtet.

Aber im Moment ist es in Deutschland eben so, dass vor allen Dingen Artikel 14(1) des Grundgesetzes gilt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, eigentlich könnte man bei Lebensmitteln ja betonen, dass Artikel 2, also Sozialtüchtigkeit, in besonderer Weise gilt und damit eben auch Containern entkriminalisiert werden könnte. Das hat der Gesetzgeber bis heute überhört und darauf weise ich hin, dass eben ein Gesetz kommt, was Containern entkriminalisiert.

DOMRADIO.DE: Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag ein Lebensmittel-Rettungs-Gesetz versprochen. Jetzt ist die Regierung aber ja noch nicht so lange im Amt. Wollen Sie da jetzt schon Druck machen und Aufmerksamkeit erzeugen?

Pater Jörg Alt: Aber selbstverständlich. Hinzu kommt ja auch, dass Robert Habeck sich für eine Entkriminalisierung von Containern ausgesprochen hat. Es gibt einen fertig ausgearbeiteten Gesetzesvorschlag von "German Zero" zum Thema. Den müsste man einfach nur durchwinken.

Es ist ja bekannt, dass die Politik dankbar ist, wenn Interessensgruppen ihnen schon fertig ausformulierte Gesetzesvorhaben gibt. Also im Fall des Cum-Ex Betrugs ist das ja bekannt geworden, dass hier die Finanzindustrie quasi sich selbst eine Lücke ins Gesetz geschrieben hat, um das Gemeinwesen um Milliarden zu betrügen. Hier fordere ich eigentlich nur, dass ein Gesetzesvorschlag aufgegriffen wird, der vorliegt und dem Gemeinwohl dient.

DOMRADIO.DE: Sie sind ja Jesuitenpater, katholischer Priester. Wie hilft Ihnen denn Ihr Glaube bei dieser Aktion?

Pater Jörg Alt: Für Jesuiten war und ist der Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit wichtig, sodass man eben immer überlegt, wie kann das, was das Evangelium und Jesus Christus damals sagte, heute lebendig werden. Und insofern glaube ich, dass das, was ich getan habe, durchaus den Finger in eine Wunde legt, wo man sagen kann: hier geschieht etwas, das nicht im Einklang mit dem Evangelium ist.

DOMRADIO.DE: Bei Twitter haben wir jetzt in wenigen Tagen schon Tausende Unterstützer und Follower bekommen. Was hören Sie denn so? Wie sind Sie die Rückmeldungen bisher?

Pater Jörg Alt: Das ist wirklich unglaublich. Ich habe noch nie so viel positiven Zuspruch bei einer Aktion bekommen wie jetzt bei dieser. Und was mich besonders freut, es sind ausdrücklich sehr viele Leute darunter, die der Kirche kritisch gegenüberstehen oder ihr fernstehen. Also ich glaube wirklich, dass die Aktion gut und richtig war. Wenn es ein Zeichen der Zeit gibt, dann glaube ich, habe ich das gut gelesen.

DOMRADIO.DE: Und ein Spendenkonto haben Sie auch eingerichtet, um damit Anwalts- und Verfahrenskosten beispielsweise bezahlen zu können. Wie läuft die Spendenaktion?

Pater Jörg Alt: Nachdem ich mitbekommen habe, dass die Staatsanwaltschaft mich nicht nur wegen Diebstahl, sondern wegen besonders schwerem Diebstahl drankriegen will, habe ich gedacht, dass ich wahrscheinlich tatsächlich einen Anwalt brauche, aber die sind nicht billig. Deswegen habe ich das Spendenkonto eingerichtet und bis zur ersten Instanz schaffe ich es locker.

DOMRADIO.DE: Wie geht es jetzt weiter mit Ihnen, mit dem Ermittlungsverfahren? Wir sind die nächsten Schritte?

Pater Jörg Alt: Keine Ahnung. Wir haben ja die Akte angefordert, die werden wir studieren, dann überlegen wir uns eine Verteidigungsstrategie. Aber was für mich entscheidend ist, ist ja, dass ich dieses Verfahren dazu nutze, der Politik eben auch Druck zu machen, dass diese Änderung jetzt kommt.

Dazu ermuntere ich auch die Leute auf Twitter und Facebook, dass sie der Ampelkoalition schreiben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir schneller die Entkriminalisierung und ein Lebensmittel-Rettungsgesetz bekommen, als dass der bayerische Staat es schafft, mich vor Gericht zu stellen.

Das Interview führte Florian Helbig.


Jörg Alt / © Harald Oppitz (KNA)
Jörg Alt / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR