Sozialpfarrer Kossen kritisiert Arbeitsbedingungen in Bangladesch und Deutschland

"Wir haben auch bei uns moderne Sklaverei"

Über 50 Menschen sind bei einem Fabrik-Brand in Bangladesch vergangene Woche ums Leben gekommen. Für den Aktivisten und Sozialpfarrer Peter Kossen eine "Katastrophe mit Ansage", die auch Arbeitsbedingungen in Deutschland hinterfragt.

Sozialpfarrer Kossen kritisiert Arbeitsbedingungen in Bangladesch und Deutschland (dpa)
Sozialpfarrer Kossen kritisiert Arbeitsbedingungen in Bangladesch und Deutschland / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie sagen, der Brand in Bangladesch war eine Katastrophe mit Ansage. Warum?

Msgr. Peter Kossen (Katholischer Sozialpfarrer): Ich denke an die Textilfabrik vor einigen Jahren, wo bei einem Einsturz 1.130 Frauen umgekommen sind und 1.600 Frauen verletzt worden sind. Es hat andere Katastrophen dieser Art gegeben. Man weiß, dass es diese Produktionsbedingungen gibt. Trotzdem bestehen sie im großen Stil fort. Man lässt das zu. Wir in Europa und in Nordamerika profitieren von dieser Art und Weise des Produzierens von billigsten Gütern für unseren Markt. Wir wissen das und das wird fortgeführt. Deswegen war das eine Katastrophe mit Ansage.

DOMRADIO.DE: Sie selber werden nicht müde, die schlechten Arbeitsbedingungen hier in Deutschland anzuprangern, vor allem in der Fleischindustrie, in Westfalen, wo sie auch herkommen. Die sind aber nicht mit denen in Bangladesch zu vergleichen, oder?

Kossen: in dieser Art und Weise nicht. Es gelten bei uns dann doch Mindeststandards. Gleichwohl: Menschen, die nicht ständig damit zu tun haben, sind häufig erschrocken, wenn ich das berichte, was hier Arbeitsbedingungen und Lebensbedingungen sind. Man wähnt das so weit weg: in Südostasien, in Lateinamerika. Aber wir haben auch hier bei uns moderne Sklaverei, zum Beispiel in der Fleischindustrie, in der Logistik, im Paketdienst, manchmal auf dem Bau, in verschiedenen Branchen, unsägliche Arbeitsbedingungen, die es in unserem Land überhaupt nicht geben darf.

DOMRADIO.DE: Beiden Fällen ist gemein, dass sie billig produzieren und wir Verbraucher davon profitieren, etwa in Form von billiger Kleidung, billigem Fleisch. Was sagen Sie den sozial Schwachen, die jeden Euro umdrehen müssen und keine 30 Euro für ein fair produziertes T-Shirt zahlen können? Die müssen ja auch mitbedacht werden.

Kossen: Das ist richtig. Es wäre auch möglich Güter, zum Beispiel Textilien oder auch Nahrungsmittel hier bei uns günstig zu produzieren für Menschen, die wenig Geld haben, ohne dass es auf Kosten der Frauen und Männer geht, die dann in der Produktion dafür arbeiten und manchmal auch dafür sterben.

Wir sehen, dass im Handel häufig bei den Discountern sehr viel Geld stecken bleibt oder, dass der Handel und die großen Discounter-Ketten in Deutschland eine ganz unglückselige, unmoralische Rolle spielen. Dann aber auch Subunternehmer-Strukturen, also Personaldienstleister - in meinen Augen moderne Sklavenhalter - die alle Geld mitverdienen. Beim Fleisch zum Beispiel machen beim Produkt-Preis, den wir beim Discounter für das Stück Fleisch bezahlen, die Arbeitskosten keine zehn Prozent aus. Andere Kosten, die dort entstehen, könnte man durchaus minimieren und damit eben den Preis gering halten, wenn man die Arbeitsbedingungen und auch die Löhne dafür verbessert.

DOMRADIO.DE: Seit kurzem gibt es in Deutschland das Lieferkettengesetz, das Unternehmer verpflichtet, darauf zu achten, dass ihre Produkte im Ausland unter bestimmten Arbeitsstandards hergestellt werden, dass zum Beispiel eine Hose nicht mehr in Kinderarbeit entsteht. Da das Gesetz aber nur für die richtig großen Firmen gilt, kritisieren es viele als zahnlosen Tiger. Wie schätzen Sie das ein?

Kossen: Ich glaube, dass es total wichtig ist, dass es dieses Gesetz jetzt gibt. Ich war vor ein paar Tagen, bei einer Konferenz, an der auch Entwicklungsminister Müller teilgenommen hat. Er hat dann das Beispiel der Jeans genannt, die in Äthiopien oder auch in Bangladesch produziert wird: für fünf Dollar. Hier wird sie für 100 Dollar verkauft. Er sagt, die Näherin bekommt in der Stunde 40 Cent. Würde sie 80 Cent bekommen, könnte sie ihre Familie davon einigermaßen ernähren. Da sehen wir, was möglich ist. Und Minister Müller sagt: Es ist wichtig als Signal, als Ansage, dass es dieses Gesetz jetzt gibt. Das kann nur ein Anfang sein. Diese Meinung würde ich teilen. Das muss fortgeführt werden. Das muss für alle Lieferketten gelten, nicht nur für die ganz großen Konzerne und Betriebe, sondern auch für alle Lieferketten, die bis nach Bangladesch oder nach Äthiopien und wohin auch immer zurück verfolgbar sind. Das muss aber auch eine Bewegung sein von Achtsamkeit und Solidarität. Das hat ja auch etwas mit Bewusstsein zu tun. Bin ich bereit, hier für den Konsum, für den Lebensstil, den ich gerne mir leisten möchte, auch den Preis zu bezahlen, damit nicht andere dafür ihre Gesundheit, ihr Leben opfern müssen?

Das ist durchaus machbar, wenn wir das sehen. Das Beispiel mit der Jeans, dann die 40 Cent, die 80 Cent. Zum Teil würden wir es nicht mal merken, wenn die Produktionsbedingungen verbessert würden. Da ist eben der Gesetzgeber gefragt, auch die internationale Politik sicherzustellen, dass dort nicht an ganz vielen Stellen Geld rausgezogen wird von Menschenhändlern oder von fragwürdigen Handelspraktiken, um dort eben mehr Gerechtigkeit auch zu ermöglichen.

Das Interview führte Michelle Olion.


Pfarrer Peter Kossen / © Lars Berg (KNA)
Pfarrer Peter Kossen / © Lars Berg ( KNA )
Quelle:
DR
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