Kölner Stadtdechant mahnt am Holocaust-Gedenktag

"Wir müssen eigentlich gelernt haben"

Ohne große Gedenkfeiern wird am Mittwoch an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen erinnert. Für den Kölner Stadtdechanten Robert Kleine ist die Erinnerung daran wichtig. Er erklärt, wie er in Corona-Zeiten innehält.

Stadtdechant Robert Kleine (l.) legt Blumen am Edith-Stein-Denkmal nieder / © Robert Boecker (Kirchenzeitung Koeln)
Stadtdechant Robert Kleine (l.) legt Blumen am Edith-Stein-Denkmal nieder / © Robert Boecker ( Kirchenzeitung Koeln )

DOMRADIO.DE: Heute vor einem Jahr haben Sie noch bei der Aktion "Glanz gegen Rechts" Stolpersteine in Köln geputzt. In diesem Jahr ist das alles ein bisschen anders. Wie werden Sie heute den Gedenktag begehen?

Monsignore Robert Kleine (Kölner Stadtdechant): Normalweise treffen sich Vertreter der evangelischen, der katholischen Kirche und der Synagogen-Gemeinde am sogenannten Löwenbrunnen. Der ist gar nicht weit entfernt von der Kölner Innenstadt. Da stand früher die Jawne, das war das einzige jüdische Gymnasium im Rheinland und dort ist ein sogenannter Löwenbrunnen. Er zeigt den Löwen von Juda. Da sind die Namen von 1.180 jüdischen Kindern und Jugendlichen aus Köln eingraviert, die in der Zeit des Nationalsozialismus deportiert, ermordet wurden oder es noch geschafft haben, zum Beispiel nach England verbracht zu werden. Dort kommen oft Schulklassen hin, die sich mit einzelnen Biografien beschäftigen und die stellen dann die Kinder dort vor.

Dann gibt es noch Gebete. Es wird vom Kantor der Synagogen-Gemeinde ein Psalm gesungen. Das ist mit der Oberbürgermeisterin oder einer Vertretung immer ein sehr eindrücklicher Gedenkakt. Der findet in diesem Jahr leider nicht vor Ort statt, sondern zum ersten Mal virtuell und jeder hat seinen Part dazu per Video eingeschickt.

DOMRADIO.DE: Wie lautet ihr Part?

Kleine: Traditionell habe ich ganz zum Abschluss immer ein Gebet, das in die Zukunft weist. Das lautet dann "Herr, Gott des Himmels und der Erde, Schöpfer der einen Menschheitsfamilie, wir rufen zu dir. Dein Name ist Leben, Friede, Schalom und Salam. Mit allen, die deinen Namen kennen, bitten wir um Frieden für die Nahen und den Fernen, um Frieden in den Herzen, Frieden in allen Zelten, Häusern und Palästen, um Frieden zwischen Religionen und Kulturen, um Frieden für die Schöpfung. Mach uns alle zu Werkzeugen deines Friedens".

Das ist ja der Auftrag dieser Gedenkstunde. Nicht nur Erinnerung, sondern Mahnung, dass es so etwas nie wieder geben darf. Und dann die Bitte um Frieden, gerade auch der unterschiedlichen Religionen und Kulturen, die auch bei den Schülerinnen und Schülern natürlich vor Ort vertreten sind.

DOMRADIO.DE: Der Antisemitismus hat in der Pandemie leider zugenommen. Stichwort antijüdische Verschwörungstheorien. Wie sehr beunruhigt Sie das in dieser ohnehin schon schwierigen Zeit?

Kleine: Wir müssen doch eigentlich gelernt haben, wenn wir die Bilder von der Befreiung des Konzentrationslagers sehen, was Menschen anderen Menschen antun können. Aus einem Rassenwahn heraus so etwas zu tun, das muss doch jedem normal denkenden und normal fühlenden Menschen in eine Schockstarre versetzen.

Über 75 Jahre danach kommen Leute mit Verschwörungstheorien des internationalen Judentums und bringen dies mit der Corona-Pandemie in Verbindung. Das ist im wahrsten Sinn des Wortes verschwurbelt. Das macht mir wirklich Angst, weil ich denke, wer daran glaubt, der sieht vielleicht auch eine Motivation, sich dann irgendwann aggressiv, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten zu äußern.

DOMRADIO.DE: Viele Menschen haben durch den Lockdown und die Beschränkungen jetzt mehr Zeit als sonst. Inwiefern können wir denn von dieser Ruhe sogar profitieren am Holocaust-Gedenktag?

Kleine: Wir haben viele Einschränkungen, aber wenn ich jetzt im Homeoffice bin oder einen Moment der Ruhe habe, dann kann ich einmal über das nachdenken, was damals geschehen ist, was für eine Entwicklung der Nationalsozialismus genommen hat.

In wenigen Tagen haben wir den Gedenktag der Machtergreifung Adolf Hitlers. Wie war das möglich? Mich erschüttert das immer wieder und rüttelt mich auch persönlich. Warum hatten die Menschen damals weggeguckt? Wir haben dazu im Augenblick im Dokumentationszentrum NS-DOK eine Ausstellung, die man leider nur virtuell sehen kann.

Wir müssen in der Nachbarschaft gucken, was Menschen umtreibt und vielleicht heute den einen oder anderen Moment daran denken oder ganz bewusst eine Kerze für die Opfer des Nationalsozialismus anzünden. Ich tue das gleich am Edith-Stein-Denkmal, wo ich auch Blumen niederlege. Edith Stein wurde dort am 9. August 1942 umgebracht. Und so viele sind noch gefolgt. Für all die Opfer dieses Rassenhasses und dieser Verblendung des nationalsozialistischen Regimes der Schreckensherrschaft, lege ich da Blumen nieder.

Das Interview führte Tobias Fricke.

 

Quelle:
DR