Experte über Corona-Konsequenzen für den Tourismus

Pilgern als Krisengewinner

Erlaubt die Pandemie diesen Winter einen Urlaub? Wird das Fliegen teurer? Welche Form von Urlaub ist "krisenfest"? Auf solche Fragen hat Harald Pechlaner, Tourismus-Professor an der katholischen Universität Eichstätt, eine Antwort.

Pilgern auf dem Jakobsweg / © Gabriel Luengas (shutterstock)
Pilgern auf dem Jakobsweg / © Gabriel Luengas ( shutterstock )

KNA: Wird Corona das Reisen langfristig verändern?

Prof. Dr. Harald Pechlaner (Tourismus-Professor an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt): Davon gehe ich aus. Dabei sind drei Aspekte zentral: die zunehmende Digitalisierung, der krisenbedingt kleiner werdende Finanzrahmen für Urlaub sowie das sich wandelnde Motiv dafür. Das Fliegen wird wegen der Marktbereinigung bei den Gesellschaften wohl teurer werden. Dass Menschen nachhaltig reisen und Authentizität und Exklusivität erfahren wollen, nimmt seit einiger Zeit zu. Jetzt ist die Nachfrage nach gesundheitlich sicherer Erholung dazugekommen.

KNA: Ist das nicht ein Widerspruch: Einerseits will man Indigene im Urwald treffen, andererseits Sterilität wie in einer frisch desinfizierten Kreuzfahrtkabine?

Pechlaner: Das Bedürfnis ist nicht Sterilität, sondern Raum und Distanz. Letztere ließe sich im Dschungel schon einhalten, wenn man da allein oder in einer Kleingruppe unterwegs wäre. Aber Reisetrosse aus Dutzenden Leuten lehnen immer mehr Menschen ab. Diesen Trend von Masse zu Klasse hat Corona in Deutschland sicher beschleunigt.

KNA: Warum?

Pechlaner: Im Corona-Sommer haben die Deutschen das inländische Reisen entdeckt. Auf einmal war dadurch der Übertourismus für viele vor der eigenen Haustür zu sehen: Hunderte Autos parken die Landschaft zu, für die einheimische Bevölkerung reduziert sich der Lebensraum. Die Sensibilität für die Folgen des Reisens hat das gestärkt. Auch in Bezug auf die Servicemitarbeiter.

KNA: Inwiefern?

Pechlaner: Sie haben ständig Kontakt mit Menschen, und ähnlich wie bei den Mitarbeitern im Gesundheitsdienst wird vielen jetzt klar, was da geleistet wird. Viele erwarten, dass sich dieser Einsatz bald in höheren Löhnen und zeitlichen Entlastungen im Schichtdienst niederschlagen wird. Denn schon vor Corona hatte das Gewerbe Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Das braucht es aber zum Überleben. Dies gilt umso mehr, als Urlauber wie gesagt verstärkt nach Authentizität und Personalität verlangen. Die Menschen wünschen sich mehr denn je eine Beziehung zum Gastgeber. Das erfordert künftig eine bessere Besucherlenkung, um Massen gar nicht erst entstehen zu lassen.

KNA: Es heißt, kaum eine Branche leide so sehr unter der Pandemie wie der Tourismus. Wie passt das mit dem inländischen Reiseboom zusammen?

Pechlaner: Den hat es unter Urlaubern gegeben, ja. Aber auch fast nur auf dem Land, wo man gut Abstand halten kann. Daneben steht für die Branche ein riesiger Verlust wegen des Ausfalls von Messen und Kongressen. Aber einzelne Bereiche dürften durchaus von Corona profitiert haben. Das Pilgern etwa. Das passt erstens zum Trend Naturhinwendung und Vereinzelung. Zweitens hat die Krise dazu geführt, dass sich mehr Menschen für Spiritualität interessieren.

KNA: Welche Wege muss die Branche als Ganzes gehen, um aus der Krise zu kommen?

Pechlaner: Sie muss auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen eingehen. So arbeiten künftig immer mehr Menschen ohne festes Büro projektweise an wechselnden Orten. Hotels, gerade in der Stadt, sollten darauf mit neuen Zwischenformen antworten. Ich denke etwa an länger bewohnte Appartements, die eingebettet sind in Gastgewerbsstrukturen wie die Zimmerreinigung. Außerdem braucht es besonders auf dem Land endlich eine digitale Kultur. Jede Pension muss im Netz vertreten und buchbar sein.

KNA: Bleiben wir beim Landboom. Der führte auch zu Klagen über mangelnde Vernunft von Touristen. Aus dem Alpen-Nationalpark Berchtesgaden hieß es etwa, dort brächten sich Menschen bei verbotenen Wasserfall-Klettertouren in Lebensgefahr. Ist man im Urlaub enthemmter als im Alltag?

Pechlaner: Nicht unbedingt. Vielmehr ist die ganze Gesellschaft instagramisiert. Jeder braucht heute ein Beweisfoto für seine ganz eigene Erfahrung an einem außergewöhnlichen Ort. Diesem Zeitgeist mögen viele nach der Zwangspause durch den ersten Lockdown verstärkt gefrönt haben.

KNA: Gerade gibt es viel Reisewerbung für südliche Ziele mit entspannten Corona-Lagen. Kann man der kalten Jahreszeit zurzeit wirklich guten Gewissens nach Kuba entfliehen?

Pechlaner: Das muss jeder selbst entscheiden. Bedenken sollte man jedenfalls die massiven Sicherheitsvorkehrungen vor Ort: Mehrfachtestungen oder Zwangsquarantänen etwa. Andererseits sind Urlauber für viele Menschen in aller Welt die Existenzgrundlage.

KNA: Abgesehen davon: Was fehlt eigentlich dadurch, dass das Reisen gerade kaum möglich ist?

Pechlaner: Das Reisen gibt uns wenigstens ein minimales Gefühl für die Welt. Für Zusammengehörigkeit, für die großen Fragen der Menschheit oder die globale Dimension der Nachhaltigkeit. Deshalb muss die Reisefreiheit sofort wieder hergestellt werden, sobald dies die Pandemie zulässt.

Das Interview führte Christopher Beschnitt.

Jakobsweg

Der Jakobsweg ist ein europaweites Netz von Straßen und Wegen. Seit dem neunten Jahrhundert führt er Pilger vom Baltikum über Polen, Deutschland, die Schweiz und schließlich Frankreich zum angeblichen Grab des Apostels Jakobus ins spanische Santiago de Compostela. Im Mittelalter erstreckten sich die Tagesetappen meist von einem "heiligen Ort", an dem Reliquien verehrt wurden, zum nächsten.

 © Sonja Geus (DR)
© Sonja Geus ( DR )
Quelle:
KNA