Wie Suizidprävention verbessert werden kann

"Gespräch über Suizid darf kein Tabu sein"

Im Jahr 2018 haben sich nach Angaben des Nationalen Suizidpräventionsprogramms 9.396 Menschen selbst getötet. Im Interview erklärt der Sprecher der Organisation, Reinhard Lindner, wie die Prävention verbessert werden kann.

Symbolbild: Verzweifelte Frau / © Torwaistudio (shutterstock)
Symbolbild: Verzweifelte Frau / © Torwaistudio ( shutterstock )

epd: 7.111 Männer und 2.285 Frauen haben sich im Jahr 2018 das Leben genommen. Warum ist die Suizidrate bei Männern mehr als dreimal so hoch wie die bei Frauen?

Reinhard Linder (Professor für Theorie, Empirie und Methoden der Sozialen Therapie an der Universität Kassel und Sprecher des Nationalen Präventionsprogramms, einem Netzwerk aus mehr als 90 Institutionen, Organisationen und Verbänden): Das ist ein Phänomen, das die gesamte westliche Welt betrifft. Dahinter stehen Konzepte von Männlichkeit, die in unserer Kultur eine tragende Rolle spielen. Ein Aspekt ist sicher der Stolz einer nicht geringen Anzahl von Männern, bei Problemen ohne Hilfe allein klarzukommen. Diese Männer haben zudem große Probleme mit Abhängigkeit, also damit, andere Menschen zu brauchen.

Schließlich können sie Wut und Ärger nicht so gut kontrollieren, haben keine gute Impulskontrolle.

epd: Ein Phänomen der vergangenen Jahre sind sogenannte "Selbstmordattentäter". Sind religiöse Menschen eher dazu geneigt, Suizid zu begehen?

Lindner: Nein. Hier handelt es sich um ein eigenes Thema, das die Prävention nicht betrifft. Ob man Selbstmordattentate als Suizid oder als Massenmord mit Inkaufnahme des eigenen Todes einschätzt, hängt ganz vom jeweiligen Fall ab. So gibt es die Situation, dass junge Menschen in bestimmten ökonomischen und gesellschaftlichen Situationen in eine solche Lage gebracht werden. Ihre Tat gilt für die Familie dann als heroisch. Grundsätzlich aber hat Religiosität verschiedene Einflüsse auf Suizidalität. So schützt sie zum einen Menschen vor Suizid, die etwa davon überzeugt sind, dass sie von einer höheren Instanz getragen werden oder auch, dass der Suizid eine Sünde ist. Auch der soziale und kommunikative Aspekt von Religion hat eine wichtige Schutzfunktion. Andererseits aber kann ein rigides, strafendes und einengendes Bild von Gott auch zum Gegenteil führen.

epd: Was kann die Gesellschaft tun, um die Suizidrate zu senken?

Lindner: Zum einen vor allem darüber reden! Das Thema darf in der Gesellschaft nicht ausgegrenzt werden, man muss darüber sprechen statt zu schweigen. Zum anderen braucht die Suizidprävention mehr gesellschaftliche und auch finanzielle Förderung. Und schließlich ist es wichtig, darüber aufzuklären, dass es wirksame Hilfe bei Suizidalität gibt.

Das Interview führte Christian Prüfer.


Quelle:
epd
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