Wer war der "Cyber-Apostel" und warum wird er seliggesprochen?

"Carlo Acutis ist eher ein Stachel im Fleisch der Kirche"

Das Wunder für die Seligsprechung des "Cyber-Apostel" Carlo Acutis war eigentlich nur ein Nebeneffekt, sagt Vatikanexperte Ulrich Nersinger. Man habe es aus rechtlichen Mitteln gebraucht. Die Heiligkeit habe man unabhängig davon gesehen.

Symbolbild: Digitale Welten / © PabloLagarto (shutterstock)
Symbolbild: Digitale Welten / © PabloLagarto ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es ist ein Teenager, der da im Oktober selig gesprochen werden soll...

Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Das ist eigentlich gar nicht so ungewöhnlich. In den früheren Zeiten, wenn wir einen Blick zurückwerfen in die Vergangenheit, haben wir relativ viele Teenager oder junge Leute, wie sie damals genannt wurden, die selig- oder heiliggesprochen wurden. Für die jüngere Zeit ist das eher ungewöhnlich. Ich denke, fürs 20. Jahrhundert fällt einem da Maria Goretti ein. Aber sonst ist es eher dünn gesät.

DOMRADIO.DE: Carlo Acutis ist jetzt gerade mal 15 Jahre geworden. Was hat er gemacht?

Nersinger: Er ist ein junger Italiener, der in London geboren ist, auch dort eine Zeit lang sein Leben verbracht hat, weil die Eltern dort beruflich tätig waren. Und er ist jemand gewesen, der sich schon sehr, sehr früh mit dem Internet oder auch mit dem Thema Computer beschäftigt hat und das dann fast perfektioniert hat.

Er war jemand, der sehr früh Algorithmen aufstellen und damit umgehen konnte, der Programme schreiben konnte, der Webseiten entworfen hat. Und das halt in sehr jungen Jahren und mit einem sehr religiösen Hintergrund. Er war ein sehr frommer, ein sehr gläubiger Mensch, der versucht hat, das miteinander zu kombinieren.

DOMRADIO.DE: Und 2006 ist er schon gestorben, warum?

Nersinger: Er ist an Leukämie gestorben und hat diese Krankheit auch interessant angenommen. Weil er ein sehr religiöser, ein sehr spiritueller Mensch war. Er hat dann auch die Zeit, die ihm verblieben ist, zum Apostolos genutzt, indem er beides verbunden hat – seine Frömmigkeit, sein Empfinden, auch etwas für die Verbreitung des Glaubens zu tun. Das hat er umgesetzt, mit den modernsten Mitteln, via Computer, via Internet.

DOMRADIO.DE: Carlo Acutis ist in Assisi begraben. Hatte er eine besondere Beziehung zu diesem Ort?

Nersinger: Ja, er hat schon sehr früh eine Beziehung zu Assisi und zum heiligen Franziskus empfunden und hat dann auch mehr oder weniger testamentarisch sogar verfügt, dass er dort beigesetzt wird.

DOMRADIO.DE: Und da findet ja jetzt auch die Seligsprechung statt. Voraussetzung dafür ist eigentlich ein Wunder. Gibt es da eins, das Carlo zugesprochen wird?

Nersinger: Wir haben ein Wunder in Übersee. Aber ich würde sagen, das ist fast nur sowas wie ein Nebeneffekt. Man hat es gebraucht aus rechtlichen Mitteln. Aber die Heiligkeit, die man in ihm gesehen hat, hat man eigentlich völlig unabhängig und selbstverständlich empfunden.

DOMRADIO.DE: Seit dem Weltjugendtag 2013 wird Carlo als möglicher "Patron des Internet" gehandelt. Ist seine Seligsprechung jetzt auch vielleicht ein bisschen strategisch, um jungen Katholiken eine neue Identifikationsfigur zu bieten?

Nersinger: Könnte man meinen. Aber ich glaube, dass Carlo Acutis eher ein Stachel im Fleisch der Kirche ist. Der aufzeigt: Man kann auch mit sehr modernen oder mit den modernsten Mitteln den Glauben bekennen und ihn mit verkünden. Und man ist natürlich dann auch verpflichtet, diese neuen Mittel, diese sozialen Kommunikationsmittel - Internet, Computer - als Möglichkeit zu erkennen. Was die Kirche lange Zeit nicht getan hat. Und zwar das in der ganzen Fülle zu erkennen.

Denn Carlo Acutis ist jetzt nicht derjenige, der sich nur auf Religion ausgerichtet hat. Er hat sehr gern Playstation gespielt, hat Action-Filme geschaut. Also alles so Sachen, die eigentlich auch von der Kirche hätten schon früher erkannt werden müssen.

Wenn ich daran denke, wie die Kirche zum Beispiel mit Computerspielen umgegangen ist oder noch umgeht, indem sie sie mehr oder weniger negiert. Ein Gebiet, auf dem heute viele Jugendliche unterwegs sind. Und von daher, denke ich, kann dieser junge Mann - der neue Seelige - auch so ein Stachel sein, der uns zeigt, wie man Glauben und Glaubensleben verbinden kann mit den neuesten technischen Möglichkeiten.


Carlo Acutis / © Romano Siciliani (KNA)
Carlo Acutis / © Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR