Soziologe über die Bedeutung von Vertrauen

"Man braucht immer ein gewisses Maß an Kontrolle"

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise erfordern viel Vertrauen in Mitmenschen, in die eigene Person und auch in die Politiker, die Entscheidungen treffen müssen. Autor und Soziologe Jan Wetzel beleuchtet im Interview das Thema Vertrauen.

Symbolbild Vertrauen, Hilfe / © UNIKYLUCKK (shutterstock)
Symbolbild Vertrauen, Hilfe / © UNIKYLUCKK ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie haben zusammen mit Ihrer Kollegin Jutta Allmendinger das Buch "Die Vertrauensfrage" geschrieben. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Diesen Spruch kennen wir. Und auch diesen Spruch greifen Sie in Ihrem Buch auf. Aber gerade jetzt, in dieser Ausnahmesituation, kann man sehen, dass Vertrauen und Kontrolle nicht im Widerspruch zueinander stehen oder?

Jan Wetzel (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung): Genau, wenn man vertrauen will, dann braucht man immer so ein gewisses Maß an Kontrolle. Das heißt, wenn man sein Leben gar nicht im Griff hat, wenn man das Gefühl hat, fremden Mächten ausgeliefert zu sein, dann kann man kein Vertrauen schenken. Wenn man genau das sagt, Vertrauen schenken, dann bedeutet das ja auch, dass man irgendwie erst einmal Vertrauen haben muss.

DOMRADIO.DE: Also in den Alltag übersetzt, wenn ich jetzt zum Beispiel mehr Polizei sehe, die kontrolliert, dann hab ich vielleicht auch eher das Vertrauen, dass ich auch da was richtig mache, indem ich diese ganzen Maßnahmen umsetze und einhalte. Und ich habe vielleicht Vertrauen in meine Mitmenschen, dass sie diese ganzen Maßnahmen auch umsetzen oder?

Wetzel: Genau, wenn wir gerade noch einmal bei der Polizei bleiben, dann gehört natürlich zu dem Vertrauen, was ich gegenüber der Polizei habe und gegenüber solchen Maßnahmen, die erst einmal die Freiheit beschränken, dass ich die Kontrolle habe und weiß, die Polizei macht das nicht widerrechtlich. Wenn was schiefläuft, dann habe ich den Rechtsstaat, der sich darum kümmert. Und ich habe vielleicht genau die Erfahrung gemacht, dass das alles seine Richtigkeit hat.

Wenn ich diese Erfahrung nicht gemacht habe, wenn ich das Gefühl einer Willkür habe, wenn ich mich der Polizei ausgeliefert sehe, wenn ich keine Kontrolle darüber habe, was die anderen mir antun, dann kann ich das Vertrauen auch nicht schenken. Das gilt sowohl für die Polizei, als auch für die Mitmenschen. Wenn man bei den Mitmenschen auch das Gefühl hat, die handeln genau gegen mich. Ich habe keinen Einfluss darauf. Ich fühle mich sozusagen, als wäre die Welt gegen mich und auch die anderen sind gegen mich. Dann kann ich auch nicht vertrauen.

DOMRADIO.DE: Jeder Mensch kennt hoffentlich das Gefühl, einem anderen vertrauen zu können. Wie aber definieren Sie Vertrauen? Als Soziologe?

Wetzel: Wir definieren das eigentlich so, wenn wir uns fragen, wie ist so etwas wie koordiniertes Handeln möglich? Ich habe schon gesagt, wir denken darüber nach, über mich und die anderen: Wie orientiere ich mein Handeln an dem der anderen? Und Vertrauen ist ein Mittel zu sagen, okay, ich weiß so ein bisschen was über die anderen. Zum Beispiel weiß ich, sie sind mir vielleicht nicht feindlich gesonnen, aber sehr viel mehr weiß ich über diese Leute auch nicht. Aber dieses Grundgefühl, diese Intuition, dass ich erwarten kann, die Menschen verhalten sich nicht gegen mich, das ist Vertrauen.

Was noch ganz wichtig bei Vertrauen ist, dass das nicht wirklich etwas Bewusstes, Reflektiertes ist, sondern das es so ein bisschen im Alltag drin steckt. Zum Beispiel kann ich dem Busfahrer vertrauen oder der Busfahrerin, dass sie eine gute Ausbildung gemacht haben und dass sie nüchtern sind. In den meisten Fällen funktioniert es auch so, ohne dass ich jetzt speziell darüber nachdenke, vertraue ich hier eigentlich der Welt, wenn ich im genannten Beispiel in diesen Bus einsteige. Im Gegenteil, man kennt das vielleicht von Frau Merkel, wenn sie den Leuten ihr Vertrauen ausgesprochen hat, wenn das kommuniziert wird, dann ist meistens schon ein Zweifel im Raum.

DOMRADIO.DE: Merken die Menschen denn gerade jetzt in dieser komischen Situation, wie sehr sie darauf angewiesen sind, einander zu vertrauen?

Wetzel: Das würde ich schon sagen. Also den meisten Teil des Tages funktionieren wir ja so ein bisschen wie Roboter und denken gar nicht so spezifisch darüber nach, was wir wann, wie und wo machen. Und diese Krise zeichnet sich schon dadurch aus, dass sie jetzt in ganz viele Alltagspraktiken beeinflusst. Das reicht vom Händeschütteln, über das Händewaschen, bis zum Kontakt. Das zeigt sich zum Beispiel an der Supermarktkasse, wo man normalerweise überhaupt gar nicht drüber nachdenkt, wie da die Situation geregelt wird.

Überall funktionieren bestimmte Koordinationen jetzt nicht mehr. Überall müssen Sonderregeln, Sondergesetze eingeführt werden. Und das ist potenziell auch immer eine Situation, wo genau diese gegenseitige Abstimmung, die für das Vertrauen so wichtig ist, sichtbar wird.

DOMRADIO.DE: In Ihrem Buch gehen Sie auch der Frage nach, wie Vertrauen für eine neue Politik des Zusammenhalts sorgen kann. Wie können wir denn einander mehr vertrauen? Wie kann das gelingen?

Wetzel: Unsere Analyse ist da, das für die Gesellschaft im Großen, da wo Politik auch wirkt, dass da sowas wie Großorganisationen ganz wichtig sind. So was wie Parteien, Gewerkschaften, insbesondere aber natürlich auch die Kirchen, weil das Orte sind, die ganz unterschiedliche Leute in einem Kontext zusammenbringt, der trotzdem so etwas wie Verlässlichkeit bringt.

Dadurch, dass man sich dort eben nicht wirklich aus dem Weg gehen kann, in der Kirche muss man sich zum Beispiel eben auch irgendwie zusammenraufen. In den meisten Fällen klappt das auch irgendwie. Das sind Orte, in denen man Vertrauen aufbauen kann. Jetzt werden die Großorganisationen immer weniger wichtig. Das wird sich wahrscheinlich auch nicht einfach umkehren lassen. Deswegen sagen wir, wir brauchen da eben eine Politik des Vertrauens, die auf anderen Ebenen sowas zusammenhält, die die Ungleichheit beschränkt, zum Beispiel im Städtebau.

Aber auch in der Sozialpolitik, dass die Menschen nicht mehr bitten müssen, sich unterwerfen müssen, um dann zum Beispiel ihr Hartz IV zu bekommen, sondern dass man da sagt, ich vertraue den Menschen und vertraue ihnen das Geld an, ohne dass sie sich um einen Haufen Sachen kümmern müssen.

DOMRADIO.DE: Sind unsere Vertrauensreserven bald aufgebraucht? Müssen wir nach der Corona-Krise dann erst einmal wieder Vertrauen aufbauen?

Wetzel: Das kann man so allgemein, glaube ich, gar nicht sagen, weil wir sehen ja eigentlich auch gerade, dass besonders der Politik ungewöhnlich viel vertraut wird. Wenn man die Kritik sonst immer hört, läuft das ja jetzt eigentlich alles. Ich glaube aber, dass die Aufgabe jetzt ist, neue Routinen, neue längerfristige Normalitäten aufzubauen kann. Jetzt Zurzeit sind wir noch in so einer Ausnahmesituation, die natürlich auf Dauer bestimmte Probleme mit sich bringen wird.


Quelle:
DR
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