Wenn man sich aufgrund des Lebensalters benachteiligt fühlt

Die Zahl der Lebensjahre entscheiden

Weise oder abgeschrieben? Über Chancen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entscheidet oft das Lebensalter. Alten Menschen wird oft mit Vorurteilen begegnet.

Eine Seniorin blättert im Adressbuch in ihrem Zimmer in einer Senioren-Wohngemeinschaft. / © Joanna Nottebrock (KNA)
Eine Seniorin blättert im Adressbuch in ihrem Zimmer in einer Senioren-Wohngemeinschaft. / © Joanna Nottebrock ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ab wann ist man eigentlich alt?

Hanne Schweitzer (Journalistin und Vorsitzende des Büros gegen Altersdiskriminierung): Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Als der Philosoph Immanuel Kant zum Beispiel 50 Jahre wurde, gab es eine Laudatio, in der er als "ehrwürdiger Greis" angesprochen wurde.

Wenn man 65 Jahre alt ist, ist man für die Weltgesundheitsorganisation alt. Für die Rentenversicherung ist man alt, sobald man ins Rentenalter kommt. Als Student ist man alt, wenn man 30 Jahre ist, denn dann kann man nicht mehr in die studentische Krankenversicherung eintreten. Für Arbeitgeber ist man alt, wenn man 40 ist, dann kriegt man keine Arbeit mehr, wenn man Pech hat. Das ist sehr variabel und schwer zu definieren.

DOMRADIO.DE: Man sagt aber ja heute gerne: "50 ist das neue 30". Es hat sich ja eigentlich etwas gewandelt. Werden die Menschen heute anders alt und bleiben sie länger fit?

Schweitzer: Früher war das so: Man saß hinter dem Ofen, wenn man alt war. Heute ist es ins Gegenteil gedriftet, denn die gesellschaftliche Forderung an ältere Menschen ist eine andere: "Fit bis in die Kiste". Das heißt also: Sieh gut aus, sei sportlich, mache ehrenamtliche Arbeit, beschäftige dich gefälligst selber. Die Familie ist sowieso nicht da, die Kinder sind in Australien.

Die Anforderungen sind sehr gestiegen in dieser Zeit, in der sowieso schon sehr viel Stress herrscht und es einen sehr hohen Anspruch an allem gibt, vor allem an das, was man neu lernen soll. Jeder ältere Mensch muss ja jetzt unbedingt ein Handy haben und am Computer arbeiten können. Das sind Anforderungen, die gab es früher nicht.

DOMRADIO.DE: Sie sind die Leiterin des Büros für Altersdiskriminierung. Wer meldet sich da und mit was für Schwierigkeiten kommen die Menschen?

Schweitzer: Das Büro gibt es seit 1999, also seit 20 Jahren. Wir haben damals damit angefangen, dass wir einen bundesweiten Beschwerdetag eingerichtet haben. Die Leute konnten an einem bestimmten Tag anrufen und ihre Beschwerden vortragen. Wir bekamen 1500 Beschwerden an einem Tag, ein bestimmtes Thema gab es eigentlich nicht.

Jetzt ist es so, dass sich der Universitätsprofessor meldet, aber auch der 15-jährige Schüler, der aus Altersgründen nicht mehr in eine Schul-AG kommt, weil er zu jung ist. Die Menschen haben Anliegen, die erstrecken sich von der altersdiskriminierenden Behandlungen in Kfz-Versicherungen bis hin zu einer Geschäftsfrau, der man mit 70 Jahren kein neues Ladenlokal mehr vermietet hat. Oder es sind Studenten, die keine Stipendien bekommen sowie Klagen über den öffentlichen Bereich, der nicht altersgerecht ist. Es ist wirklich alles dabei.

DOMRADIO.DE: Wie kann man eigentlich festmachen oder beweisen, dass jetzt irgendetwas eine Altersdiskriminierung ist?

Schweitzer: Wir haben von Anfang an gesagt, das, was die Leute als Altersdiskriminierung empfinden, ist auch eine Altersdiskriminierung. Gesetzlich ist es ja ganz anders geregelt.

DOMRADIO.DE: Durch das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Jahr 2006 müsste doch Ihr Büro eigentlich überflüssig sein, oder?

Schweitzer: Das ist es leider nicht. Die Altersdiskriminierung ist sehr viel subtiler geworden. Also ich sehe das immer in der Bahn. Da gibt es beispielsweise Werbeplakate von Zeitarbeitsfirmen, die illustrieren Fotos mit Menschen, die maximal 30 Jahre alt sind und da steht: "Macht den Karrieresprung". Mit Bildern kann man ja auch wegen des Alters diskriminieren. Als 50-Jähriger käme ich nie auf die Idee, mich bei dieser Firma zu bewerben, weil mir diese Jugendlichkeit auf dem Plakat so ins Auge springt.

DOMRADIO.DE: Was sind denn eigentlich die Faktoren, die ältere Menschen vom Leben ausschließen?

Schweitzer: Das ist einmal die Selbstdiskriminierung. Wenn ich immer zu mir sage: "Ach, das kann ich nicht mehr, dazu bin ich zu alt." Da ist man dann schon selber Schuld. Ich habe den Eindruck im Vergleich zu anderen Ländern haben die Deutschen einen Hang zu Selbstdiskriminierung. Das ist in anderen Ländern nicht so.

Dann sind aber natürlich auch die Faktoren vorhanden, die von außen kommen. Das ist zum einen die Gestaltung des öffentlichen Raumes. Wenn ich nicht weiß, wie man zur Straßenbahn kommt oder der Aufzug mal wieder nicht geht, habe ich ein Problem. Ein weiteres Problem ist natürlich die Absenkung des Rentenniveaus, die es ganz vielen Rentnerinnen überhaupt nicht mehr erlaubt, ein ungezwungenen Rentner-Dasein zu führen.

Dazu kommt, dass es fast überhaupt keine Ermäßigungen mehr für Senioren gibt. Es gibt Studenten-Ermäßigungen und sogar welche für bis zu Dreißigjährige. Für Rentner gibt es noch nicht einmal mehr bei der Bahn eine Ermäßigung.

DOMRADIO.DE: Dazu kommt der ganze Bereich Digitalisierung, oder?

Schweitzer: Ja, da wird ein unheimlicher Druck aufgebaut, weil die ältere Generation ja auch eine riesige Konsumentengruppe ist. Die sollen das alles kaufen und den Anschluss nicht verlieren.

Also wir versuchen erstmal den Druck zu nehmen, dass ich fit sein muss bis ich hundert bin oder in die Kiste falle. Dieser Druck muss weg. Wenn ich den Druck weg habe, wird man merken, man kann auch ruhig mal zwei Tage abends zu Hause bleiben oder nachmittags nicht ins Café gehen. Es ist nicht schlimm. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR