Richard David Precht über die deutsche Utopie-Konferenz

Wie gelingt gutes Leben in der Zukunft?

Mit Blicken in die Zukunft beschäftigt sich die erste deutsche Utopie-Konferenz. Gastgeber ist der Philosoph Richard David Precht. Im Interview erklärt er, warum Gedankenentwürfe wichtig sind und wie sie Wirklichkeit werden können. 

 (DR)

DOMRADIO.DE: Versetzen wir uns in das Jahr 2025 und denken über unsere Zukunft nach – welche unterschiedlichen Bilder kommen Ihnen dann in den Kopf? Haben Sie Befürchtungen oder Hoffnungen?

Richard David Precht (Philosoph, Autor und Gastgeber der Utopie-Konferenz an der Leuphana-Universität in Lüneburg): Wenn man sich auf der Utopie-Konferenz aufhält, dann hat man eigentlich vor allen Dingen gute Ideen und sieht die Zukunft nicht so schwarz. Wenn ich aber bei Vorträgen von Digitalkonferenzen im wirtschaftlichen Kontext unterwegs bin, wird mir häufig angst und bange, weil ich denke, dass hier Szenarien entworfen werden – wie im Silicon Valley – wo ich sage: "So will ich eigentlich gar nicht leben und die meisten Menschen wollen wahrscheinlich auch nicht so leben".
 
DOMRADIO.DE: Die Entwicklungen in den vergangenen Jahren waren rasant. Technische Veränderungen führen zu gesellschaftlichen Veränderungen. Sind Ihre Befürchtungen, was sich allein nur in den nächsten sieben Jahren tun könnte, deshalb so groß?

Precht: Ich höre oft Menschen zu, die nicht danach fragen: "Wie wollen wir leben?", sondern: "Wie werden wir leben?" Diese Menschen träumen davon, dass sich Menschen mehr und mehr mit Maschinen verbinden und Chips an ihrem Körper tragen. Sie sprechen von Steuerungsmechanismen, wie man die Gesellschaft in eine Art kybernetische Diktatur verwandeln kann, so wie in China; also, wie man viele Probleme einfach technisch löst, die vorher in menschlichem Ermessen lagen und die zeigen, wie die künstliche Intelligenz moralisch aufgeladen werden soll.

Wenn ich so etwas höre, wird mir normalerweise schlecht. Und da freue ich mich, dass wir hier einen Ort haben, an dem wir viele positive Zukunftsentwürfe durchdenken.

DOMRADIO.DE: Sie sammeln Ideen für die Gesellschaft von morgen. Warum sind diese Utopien so wichtig?

Precht: Im Augenblick wissen die meisten Menschen in diesem Land, was sie nicht wollen. Das bezieht sich auf die Migrationsfrage. Das bezieht sich darauf, dass sie gerne ihren Wohlstand erhalten wollen, aber Angst haben, ihren Wohlstand oder ihre soziale Sicherheit zu verlieren.

Was der Gesellschaft völlig fehlt, sind schöne Bilder davon, wie wir in Zukunft leben wollen. Das hängt damit zusammen, dass Politik im Augenblick verwaltet, und nicht gestaltet.

Ich glaube, nur wenn man positive Bilder einer Zukunft an die Wand malt, kann das Leute motivieren, sich für Dinge einzusetzen und die Zukunft tatsächlich positiv zu gestalten.

DOMRADIO.DE: Das sind erstmal Entwürfe. Das sind Gedankenkonstrukte. Da sind sicher auch viele neue und gute Ideen dabei. Sind die auch umsetzbar?

Precht: Es gibt ein paar Sachen, die werden in sieben Jahren schon umgesetzt sein. Ich komme gerade frisch aus einer Konferenz, in der es um die Zukunft des Essens geht. Zu Gast war Marc Prost, ein niederländischer Physiologe, der Burger herstellen kann, für die kein Tier sterben muss, die aber trotzdem aus echtem Rindfleisch bestehen. Das ist sicherlich eine jener Ideen, die sich bis 2025 so sehr durchsetzen.

DOMRADIO.DE: Was muss passieren, damit Utopien Wirklichkeit werden?

Precht: Das ist die schwierigste Frage. Da gibt es theoretisch zwei Strategien: Die einen sagen, die Regierung muss dieses verbieten, jenes erlauben und das andere fördern. Die andere Strategie ist: Jeder muss bei sich selbst anfangen. Aus meiner Erfahrung sind beide Strategien für sich selbst genommen falsch. Wenn jeder bei sich selbst anfängt, verhindert das nicht den Klimawandel. Da brauchen wir auf jeden Fall auch strengere Regularien: Da müssen wir Flugbenzin angemessen besteuern. Da müssen wir starke Eingriffe ins gegenwärtige System machen.

Das heißt aber nicht, dass es falsch ist, wenn jeder bei sich anfängt. Wir müssen eine Mischung herstellen zwischen einem Bewusstseinswandel von unten und mit konkreten Ideen von oben. Nur durch diese Zange kann sich Gesellschaft verändern.

DOMRADIO.DE: Heute ist der dritte Tag ihrer Utopie-Konferenz. Wann ist die Konferenz für Sie gelungen?

Precht: Ich habe jetzt schon das Gefühl – wenn nicht noch etwas ganz Schlimmes passiert – das sie schon gelungen ist. Ich glaube, das liegt einfach daran, dass sich die meisten oder fast alle Teilnehmer sehr wohlfühlen. Es gibt eine Aufbruchsstimmung. Viele Leute, die sich nicht kennen, kommen unausgesetzt miteinander in Kontakt. Es herrscht eine unglaublich positive Stimmung. Diese verändert die Gesellschaft nicht, aber sie ist die Grundlage dafür, dass all' die Leute, die hierher gekommen sind mit ihren Ideen, diese auch sicher weiter verfolgen werden.

DOMRADIO.DE: Wird es eine zweite Utopie-Konferenz geben, um dem nachzugehen?

Precht: Mit Sicherheit. Es wird vermutlich nicht nur eine weitere große Utopie-Konferenz im nächsten Jahr geben, sondern Konferenzen zu einzelnen Themen. So haben wir im Frühjahr nächsten Jahres eine Bildungskonferenz geplant, wo es um die Zukunft der Schulen und des Bildungssystems geht. Genau so könnte ich mir Nachhaltigkeitskonferenzen vorstellen oder Konferenzen, die sich möglicherweise mit der Zukunft des Geldes und der Finanzwirtschaft beschäftigen. Das ist der Auftakt zu einer ziemlich großen Geschichte, die wir hier in Lüneburg vorhaben.

Das Gespräch führte Dagmar Peters.


Richard David Precht / © Britta Pedersen (dpa)
Richard David Precht / © Britta Pedersen ( dpa )
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