Andreas Baum erzählt vom Scheitern politischer Utopien

"Wir waren die neue Zeit"

"Wir haben es doch alle so gut gemeint, doch was ist dabei heraus gekommen?", fragt Andreas Baum. In seinem Buch "Wir waren die neue Zeit" erzählt er vom Scheitern der Idealisten, die nach 1989 im Osten Berlins leerstehende Häuser besetzten und mit ihren Utopien die Welt verändern wollten.

Andreas Baum / © Ekko von Schwichow (Rowohlt)
Andreas Baum / © Ekko von Schwichow ( Rowohlt )

Berlin 1989. Die Mauer ist gefallen, ein von Braunkohlenebeln umwabertes, verwunschenes Land tut sich auf. Doch märchenhaft bleibt es nicht lange. Das merkt auch die bunte Truppe, die das große Gründerzeithaus in der Nähe des Rosenthaler Platzes besetzt hat. Mittendrin Erzähler Sebastian Brandt, der in Berlin eine Alternative zur miefigen westdeutschen Provinz sucht. Im Haus glaubt er sie gefunden zu haben. Aber so richtig warm wird er nicht mit der gelebten Utopie. Denn Brandts kühlem Blick bleibt nicht verborgen, dass hinter den vielen Diskussionen um den politisch richtigen Weg zu oft und zu deutlich das Eigeninteresse hervorscheint. Es geht um Macht: Wer beherrscht wen mit welchen Mitteln? Es geht um Raum: Wer kriegt das größte Zimmer? Die jungen Weltverbesserer, von denen Andreas Baum erzählt, kommen fast alle aus dem Westen. "Das waren Konquistadoren aus West-Berlin oder aus Westdeutschland", erzählt der Autor, "die haben die Mauer fallen sehen und hatten als erste auch einen Blick für den Wert der Immobilien, die da waren. Und dann haben sie gesagt: `Diese Idee des Sozialismus, so wie es in der DDR war, ist nicht gut gegangen, aber wir machen das jetzt besser. Wir haben jetzt die Räume, das zu machen. Der Gedanke war ja auch gar nicht schlecht, weil – ich glaube – in diesen ersten Monaten konnte man eine Menge drehen´".

Nicht nur ein Buch über Hausbesetzer

Schnell ändert sich aber die Atmosphäre. Die unterschiedlichen Gruppen prallen aufeinander. Jeder versucht mit aller Macht, seine ganz bestimmten politischen und gesellschaftlichen Ideale durchzusetzen, denn es ging damals um nicht weniger, als die ganze Welt zu retten. Man war eben so größenwahnsinnig zu glauben, dass man dazu berufen und ermächtigt sei. "Ich habe versucht, nicht nur ein Buch über Hausbesetzer zu schreiben, sondern auch ein Buch über politische Idealisten, die es in allen Zeiten gab, die das Richtige wollen und das mit aller Macht, so dass am Ende nicht das Richtige dabei heraus kommt", sagt Autor Andreas Baum.

Nicht immer Recht haben wollen - sondern an das große Ganze denken

Am Ende eskaliert die Gewalt. Der Romanheld Sebastian Brandt, der zwischen den Gruppen vermitteln will, scheitert, weil er nach Kompromissen sucht, aber keiner bereit ist, Kompromisse zu  machen, keiner will den anderen neben sich gelten lassen. Und die Moral von der Geschichte? "Nein", wehrt sich Andreas Baum, ein moralisches Buch habe er nicht schreiben wollen. Und doch kann man aus seinem Roman etwas lernen – denn "es ist vorbei, und es ist vieles falsch gelaufen", sagt er, "das Dilemma, in dem die Leute steckten, das war nicht zu lösen und das kann ich auch im Roman nicht tun. Aber wir können es heute besser machen, wenn wir versuchen, unterschiedliche Positionen unter einen Hut zu bringen und an das große Ganze zu denken - und wenn wir damit aufhören, immer Recht haben zu wollen – das muss man ja nicht".