25 Jahre medica mondiale: Gründerin Monika Hauser im Interview

"Wer zerstörte Seelen hinterlässt, fördert Radikalisierung"

Die Bilder vom Jugoslawienkrieg gaben den Ausschlag: Monika Hauser gründete vor 25 Jahren die Frauenrechtsorganisation medica mondiale. Problemfelder gebe es auch in Deutschland, betont Hauser: "Durch die inhumane Politik der "C"-Parteien."

Monika Hauser / © Ulla Burghardt (MM)
Monika Hauser / © Ulla Burghardt ( MM )

DOMRADIO.DE: Wir gehen jetzt einmal die 25 Jahre zurück. Was war der Impuls für Sie zu sagen: "Ich kann nicht mehr zusehen, ich muss handeln"?

Monica Hauser (Gründerin und geschäftsführendes Vorstandsmitglied von medica mondiale): Als ich damals als junge angehende Gynäkologin die Medienberichterstattung zu dem mitbekommen habe, was sich in Jugoslawien abspielte - zwei Flugstunden von Köln entfernt -, ist etwas in mir aufgebrochen. Ich wollte nicht, dass so über Frauen in den Medien gesprochen wird. Natürlich haben die Frauen Schreckliches erlebt, aber die Medienberichte damals waren sensationsgierig. Es war von Tränen, Blut und von Scham die Rede. Dem wollte ich etwas Kraftvolles entgegensetzen.

Mir war klar: Diese Frauen brauchen empathische Unterstützung. Das Thema sexualisierte Gewalt habe ich bereits vorher in der Klinik, in der ich gearbeitet habe, aber auch hier in Nordrhein-Westfalen miterlebt. Ich habe erlebt, wie viele Frauen hierzulande sexualisierte Gewalt erlebt haben und wie oft das Schweigen danach kommt. Und wie nicht die Frauen als Subjekt im Mittelpunkt stehen und die Unterstützung für sie organisiert wird, sondern das Thema weggeschoben werden soll.

Es hat mich sehr wütend gemacht, was ich in der Presse über die Frauen gelesen habe. Dass die internationale Welt zuließ, dass die Vergewaltigungslager dort immer weiter gingen. Daher habe ich mich in Bewegung gesetzt und Hilfsorganisationen angefragt, wo ich mitarbeiten kann. Die Antworten, die ich bekam, haben mich erneut wütend gemacht. Ich bekam zu hören: "Das sind doch muslimische geschändete Frauen, denen kann man nicht mehr helfen". Dabei wusste ich sehr wohl – auch aus meiner bisherigen Tätigkeit als Ärztin –, dass natürlich Frauen mit einer empathischen solidarischen Unterstützung wieder ins Leben zurückkehren können.

Ich habe mich dann auf den Weg nach Bosnien gemacht und bin in den letzten Dezembertagen 1992 in die Stadt Zenica gekommen, wo über 100.000 Flüchtlinge in und um die Stadt lebten – oft sehr dahinvegetierend, in Schulen, in Turnhallen und so weiter. Ich habe dann relativ rasch 20 bosnische Fachfrauen gefunden, die sehr motiviert waren, mit mir zusammen ein interdisziplinäres Frauen-Therapiezentrum aufzubauen.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie in Bosnien erlebt? Was waren die Hauptprobleme?

Hauser: Jeden Tag kamen neue Probleme dazu. In einer relativ sicheren Situation kam dann irgendwann ein kroatischer Beschuss. Das heißt, auch die physische Sicherheit war nicht mehr gegeben. Mit den Monaten, das war 1993, kam es zu einer Blockade. Das heißt, weder Nahrungsmittel noch Medikamente kamen in die Region. Es gab eine Kommunikationsblockade: Man konnte nicht mehr rein und raus telefonieren und immer mehr Flüchtlinge sind in die Stadt gekommen, die  Schreckliches berichtet haben, was ihnen geschehen ist.

Die Stadtbevölkerung war natürlich sehr aufgewühlt über das, was geschah. Ich denke, dass die Psychologinnen und Krankenschwestern, die mit mir zusammen Medica Zenica aufgebaut haben, auch deswegen so hochmotiviert waren, weil sie sozusagen ihre Schwestern, die jenseits der Front so Schreckliches erlebt haben, unterstützen konnten. Wir waren ein multi-ethnisches Team aus mehr als 20 bosnischen Fachfrauen und ich. Und wir haben diesem Kriegswahnsinn unsere Kraft entgegengestellt und ein tolles Projekt auf die Beine gestellt, was auch für die Bevölkerung um uns herum sehr viel Mut gegeben hat.

DOMRADIO.DE: Und das nicht nur im Kriegsgebiet. Sie sind auch in Deutschland sehr aktiv. Sexualisierte Gewalt ist nicht nur ein Problem von Krisengebieten Sie beklagen auch eine anhaltende Straflosigkeit hier in Deutschland. Warum ist das so?

Hauser: Wenn man sich die Statistiken anschaut, dann ist es für sehr viele Frauen schwer, eine Anzeige zu machen, weil sie Angst haben auf der Polizeistation oder vor Gericht erneut gedemütigt zu werden. Und leider ist das auch so, dass wir im Justizwesen kaum Wissen beim Personal vorfinden, sowohl für die Ermittlungen als auch bei den Strafverfahren selber. Es gibt kaum ein Wissen über Trauma und die Zusammenhänge und darüber, was sexualisierte Gewalt bedeutet. Daher werden die Frauen sehr, sehr oft völlig falsch behandelt und dadurch erneut verletzt.

Und deswegen ist es auch sehr abschreckend für viele. Und die Frauen, die doch den Mut haben auszusagen, erleben dann oft erneut Diskriminierung vor Gericht. Sehr oft sind die Anwälte der Angeklagten sehr hochbezahlte gewiefte Anwälte, die jegliche Strategien benutzen, um die Glaubwürdigkeit der Opfer in Zweifel zu ziehen und dann sehr oft die Täter eben nicht verurteilt werden. Das ist ein Armutszeugnis für eine solche, angeblich hoch entwickelte Gesellschaft wie die deutsche. Hier muss dringend nachgebessert werden, dass Frauen wirklich ihr Recht vor Gericht bekommen.

DOMRADIO.DE: Welches sind heute die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Hauser: Wir arbeiten natürlich weiterhin in Bosnien, im Kosovo. Dort haben wir damals auch ein ähnliches interdisziplinäres Therapiezentrum aufgebaut. Wir sind jetzt seit 15 Jahren in Afghanistan. Ich bin sehr stolz, dass wir dort eine mittlerweile eigenständige Frauenrechtsorganisation aufbauen konnten, die wirklich täglich sehr, sehr mutige Arbeit macht. Wir sind auch in Afrika, Liberia, Westafrika tätig, wo auch im Krieg über 80 Prozent der Frauen vergewaltigt worden sind. Dort sind wir seit über zehn Jahren und konnten nun die Leitung in die Hände der liberianischen Kolleginnen eines Zentrums legen.

In der Region der Großen Seen, im Osten des Kongo, in Burundi, in Ruanda arbeiten wir mit sehr vielen kleineren Organisationen zusammen, die wir finanziell aber auch mit Knowhow unterstützen – damit sie lernen können, wie sie selbständig und langfristig diese Arbeit machen können. Uns ist es immer wichtig, auch eine solidarische Verbindung mit den Kolleginnen vor Ort zu haben. Zum einen ist das Geld sehr, sehr wichtig. Ohne das könnte man keine Arbeit tun. Daneben ist das fachliche Knowhow sehr wichtig, gerade auch für die Helferinnen, damit sie selber nicht immer wieder erneut verletzt werden, sondern gesund und stabil bleiben können.

Wichtig ist aber natürlich auch die solidarische Verbindung. Deswegen tun wir ja diese Arbeit letztendlich, um Menschen in schwierigen Situationen zu unterstützen, auch weil es uns hier gut geht. Weil wir teilen und unser Wissen weitergeben wollen. Und letztendlich wissen Frauen weltweit, was sexualisierte Gewalt bedeutet. Das vereint uns auch in dieser feministischen Überzeugung, dass Geschlechtergerechtigkeit weltweit nötig ist.

DOMRADIO.DE: Die sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist nicht nur ein Problem von Kriegsgebieten, sondern auch eines, das bei uns in Deutschland existiert. Momentan wird auf politischer Ebene ganz viel über diese sogenannten Ankerzentren gesprochen. Zentren, in denen schnell über Geflüchtete entschieden werden soll, wer hier bleiben darf. Sie kritisieren das.

Hauser: Ich halte diese "Anker-Massenzentren" für ein Verbrechen an den Menschen, die hierher kommen. Die fliehen vor Gewalt, Genozid, Vergewaltigungen und Verelendung und haben sehr gefährliche Fluchtwege auf sich genommen. Und jetzt sollen sie hier in solche Massenzentren gesteckt werden, wo sie über Monate hinweg nicht wissen, was Ihre Perspektive ist. Das ist doch dazu angelegt, dass neue Gewalt passiert. Und wir sprechen hier von traumatisierten Menschen, die sicherlich erneut traumatisiert werden. Doch das, was sie da erleben – und noch die Perspektivlosigkeit – ist für mich der völlig falsche Weg. Auch steht es einer wirklich reichen, wohlhabenden Gesellschaft nicht gut zu Gesicht.

Natürlich gibt es hier viele Probleme. Aber welche Schwerpunkte setzt die Politik? Ich halte es für schlimm, dass wir zu wenige Sozialwohnungen haben. Das Problem ist natürlich dann explodiert, als die Flüchtlinge 2015 gekommen sind. Es war aber doch schon für die deutsche verarmte Bevölkerung vorher ein Problem. Ich denke, die schwarze Null ist ein sehr unchristliches Vergehen an der Menschheit und an der Bevölkerung hier in Deutschland.

Es müssten ganz andere Schwerpunkte gesetzt werden: Dass Menschen, die hierherkommen, wirklich gesunden können, ein Stück weit zur Ruhe kommen können, Perspektiven aufbauen können, etwas erlernen können, um dann gestärkt und mit neuer Kraft in ihre zerstörte Heimat zurückzugehen. Da hätten wir echte Fluchtursachenbekämpfung, wenn sie dann mithelfen, ihre Länder wieder aufzubauen. Wenn wir zerstörte Seelen hinterlassen, sarkastisch gesagt, auch mithilfe dieser Ankerzentren, dann fördern wir doch neue Radikalisierung und brauchen uns nicht zu wundern, wenn es wieder zu neuen Kriegswellen vor Ort kommt.

DOMRADIO.DE: Ein anderes Thema ist der Familiennachzug. Auch der soll gedeckelt werden, damit nur eine begrenzte Zahl ihre Ehepartner und Kinder holen können. Was sagen Sie dazu?

Hauser: Das halte ich für fatal. Denn Leidtragende sind sicherlich wieder die Frauen und Mädchen der Familien, die zurückbleiben – irgendwo auf der Balkanroute, auf den griechischen Inseln, wo sie auch wieder in Massenzentren dahinvegetieren. Oder sie haben wieder – man muss es wirklich so sagen – in KZ-ähnlichen Lagern in Libyen Zwangsprostitution und Vergewaltigungen zu erwarten. Und die Männer hier wissen überhaupt nicht, was mit ihren Familien ist.

Im Übrigen wissen wir doch mittlerweile aus der Traumaforschung, dass stabile Familienbeziehungen ein Schutzfaktor davor sind, chronische Traumasymptome auszubilden. Es wäre viel klüger, viel menschlicher, viel christlicher. Das sage ich natürlich auch zu den Parteien, die das "C" in ihrem Namen führen und jetzt diese inhumane Politik gestalten. Es wäre also viel klüger und sinnvoller, die Menschen gut zu unterstützen, dass sie wieder gesund werden können und sich neue kraftvolle Lebensperspektiven aufbauen können.


Beratung für Frauen durch medica mondiale / © Cornelia Suhan (MM)
Beratung für Frauen durch medica mondiale / © Cornelia Suhan ( MM )

Sabiha Husić, Direktorin von Medica Zenica / © Ulla Burkhardt (MM)
Sabiha Husić, Direktorin von Medica Zenica / © Ulla Burkhardt ( MM )

Trainings zu den Symptomen sexualisierter Gewalt / © Director of Health Dohuk (MM)
Trainings zu den Symptomen sexualisierter Gewalt / © Director of Health Dohuk ( MM )

Gemeinsam gegen Gewalt in Liberia / © Sybille Fezer (MM)
Gemeinsam gegen Gewalt in Liberia / © Sybille Fezer ( MM )
Quelle:
DR