Vor 50 Jahren gingen die Studenten auf die Barrikaden

Schüsse und Tränengas

Vor 50 Jahren wurde Rudi Dutschke in Berlin durch ein Attentat beinahe getötet; in Frankreich versuchte die Polizei wenig später, die Mai-Unruhen mit robusten Mitteln einzudämmen. Die Zeichen standen auf Sturm.

Autor/in:
Joachim Heinz
Rudi Dutschke (KNA)
Rudi Dutschke / ( KNA )

Die großen Schlachten sind geschlagen - und doch wecken "die 68er" zuverlässig Emotionen. "Ich bin und bleibe ein 68er", bekannte Grünen-Ikone Joschka Fischer mit einer Portion Pathos. Das dürfte manchem "Revoluzzer" von einst ein verklärtes Lächeln ins Gesicht gezaubert haben. Wenn AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen dagegen wettert, er wolle weg vom "rot-grün verseuchten und leicht versifften 68er-Deutschland", ist ihm der Beifall seiner Parteifreunde gewiss.

Manche Historiker warnen davor, die Bedeutung von 1968 zu überhöhen. Die Protestler schüttelten den Muff von tausend Jahren aus mancherlei Talaren. Aber nicht alles, was an die Stelle trat, war unbedingt besser. Trotzdem: Die mit dieser Jahreszahl verbundene Epoche lieferte ikonographische Momente, die sich im kollektiven Bewusstsein festgesetzt haben.

Dutschke war gläubiger Protestant

Dazu gehören die Schüsse auf einen der prägenden Köpfe der Studentenbewegung in Deutschland, Rudi Dutschke, am 11. April 1968. Und dazu gehören die Bilder der Unruhen in Paris, die vom 10. auf den 11. Mai in der "Nacht der Barrikaden" gipfeln. Auch die Proteste in Frankreich haben ein Gesicht: das von Daniel Cohn-Behndit. "Ganz schön große Töne" habe der rothaarige Deutsch-Franzose gespuckt, erinnert sich Mitstreiter Alain Geismar an "Dany le Rouge". Doch "plötzlich rollt die Rebellion".

Während sich Cohn-Bendit bald in der Rolle als Anführer sonnt, fühlt sich Dutschke dabei nicht immer wohl, wie Richard Vinen in seinem neuen Überblick "1968 - Der lange Protest" schreibt. Dutschkes Freund Bernd Rabehl habe dessen Reden mit dem Auftritt eines Jazzmusikers verglichen, der nicht so genau wisse, wohin seine brillanten Improvisationen führen würden. Auch sonst verliefen beider Leben unterschiedlich: Dutschke, der einst Sportreporter werden wollte, wuchs als gläubiger Protestant auf. Cohn-Bendit stammte aus einer jüdischen Familie, seine Eltern waren vor den Nazis nach Frankreich geflohen.

Die Zeichen stehen auf Sturm

Die Gründe für die Proteste sind vielfältig. Der von den USA in Vietnam geführte Krieg politisiert junge Leute weltweit. In Deutschland wie in Frankreich kommen soziale und wirtschaftliche Umbrüche hinzu. "Damals wird auch die Messe in Latein abgeschafft, und der Sozialist Francois Mitterrand fordert im Wahlprogramm das Recht auf Verhütungsmittel", fügt Alain Geismar für Frankreich hinzu.

In der Bundesrepublik ist das Erbe der NS-Zeit immer noch lebendig. Die Debatte um die Notstandsgesetze weckt zudem Erinnerungen an die Endphase der Weimarer Republik. Die Zeichen stehen auf Sturm - zumindest in Teilen der Gesellschaft. Das herablassend bis autoritäre Auftreten der Staatsgewalt heizt die Stimmung unter den Studenten zusätzlich an. Auf alarmierende Berichte über "subversive Elemente", die drohen, das öffentliche Leben lahmzulegen, reagiert Frankreichs Staatschef Charles de Gaulle mit ungläubigem Erstaunen: "Diese Kinder? Diese Spaßvögel?" In Berlin knüppeln Polizisten 1967 Demonstrationen gegen den iranischen Schah Mohammed Reza Pahlevi und seine Gattin Farah Diba nieder. Einer von ihnen schießt dem Studenten Benno Ohnesorg in den Hinterkopf. Kurz darauf erliegt der junge Mann den  Verletzungen.

Tod in Aarhus

Rudi Dutschke spricht wenig später vom "langen Marsch durch die Institutionen", der vor den Protestlern liege. Viele sollen sich später tatsächlich auf den Weg machen. Dutschke selbst ist das nicht beschieden. Der Hilfsarbeiter Josef Bachmann beendet mit seinem Attentat eine mögliche politische Karriere. Dutschke überlebt zwar schwer verletzt, stirbt aber am Heiligabend 1979 im dänischen Aarhus an den Spätfolgen.

In Paris ziehen ein paar Wochen nach dem Anschlag Schwaden von Tränengas durch die Straßen. Barrikaden wecken Erinnerungen an die Revolutionen von 1830 und 1848 - auch wenn das Ganze mehr an "Werke der Performancekunst" gemahnt, wie Vinen meint. Einen Giganten zwingen die Unruhen allerdings doch in die Knie. Am 29. Mai verschwindet de Gaulle plötzlich nach Baden-Baden. "Alles ist hin", klagt der Präsident. Im Jahr darauf tritt er tatsächlich zurück. Nur eine Episode im "langen Protest" der 68er.


Quelle:
KNA