Buchautor Thieme über religiöse Bekenntnisse von Spitzenpolitikern

"Der Politik zu moralischem Tiefgang verhelfen"

Der Publizist Daniel Thieme stellt in seinem Buch Politiker mit ihren Glaubensüberzeugungen vor und fragt: Warum sollten sich Politiker nicht in Selbstreflexion üben und darüber schreiben, wie sie es mit dem Thema Glauben halten?

Sollen deutsche Politiker mehr über ihre religiöse Überzeugung schreiben? / © Sven Hoppe (dpa)
Sollen deutsche Politiker mehr über ihre religiöse Überzeugung schreiben? / © Sven Hoppe ( dpa )

KNA: Herr Thieme, Sie haben sich in Ihrem Buch einige Politiker genauer angeschaut, unter anderem die SPD-Politikerin Andrea Nahles, den ehemaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), die ihre religiösen Überzeugungen in einem Buch bekannt haben. Warum machen Politiker das?

Thieme: Politiker wollen damit ihrer Politik einen moralischen Tiefgang geben. Sie fühlen sich in einem guten öffentlichen Meinungsklima, auch wenn die Säkularisierung in Deutschland wächst und die Bindung der Wähler an bestimmte Parteien abnimmt.

KNA: Ist dieses Phänomen neu?

Thieme: In manchen Ländern wie den USA - nein. In Deutschland ist es recht neu. Politiker-Bücher mit religiösen Bekenntnissen tauchen vermehrt seit rund 15 Jahren auf. Vielleicht weil noch vor wenigen Jahrzehnten entweder die katholische oder evangelische Konfession sehr viel selbstverständlicher genommen wurden. Es liegt sicher auch daran, dass mit der wachsenden Mitgliederzahl anderer Religionen in Deutschland wie Muslimen und Juden das Thema Religion zurück auf der politischen Bühne ist.

KNA: Ihr Untersuchungszeitraum reicht von 2004 bis 2014. AfD-Politiker, die mit dem Begriff des christlichen Abendlandes argumentieren, haben Sie deshalb nicht untersucht. Wer wäre da ein Kandidat für ein solches Buch?

Thieme: Schon vor ihrem Austritt aus der AfD hätte ich mir das vor allem bei Frauke Petry vorstellen können. Als Vorsitzende einer neuen Partei könnte das nun sogar noch schneller kommen. Schließlich versucht Petry ähnlich wie zuvor in der AfD, mit einem konservativen Familienbild auch für christliche Wähler attraktiv zu sein. Ihr Hang zur Inszenierung und die Möglichkeit zur Abrechnung mit ihrer alten Partei sprechen ebenfalls dafür, dass Petry mittelfristig ein Buch mit religiösen Bezügen veröffentlichen dürfte.

KNA: Was haben Sie über die öffentliche Religiosität deutscher Spitzenpolitiker herausgefunden?

Thieme: Vor allem bei bioethischen Fragen folgen religiöse Politiker oft nicht der Parteilinie, sondern ihrer religiösen Überzeugung. Bei sozialpolitischen Fragen ist das in der Regel nicht so ausgeprägt. Da wird dann höchstens eine getroffene Entscheidung mit religiösen Argumenten untermauert.

KNA: Welche Beispiele haben Sie gefunden?

Thieme: Etwa in der Frage der Spätabtreibungen vor rund sieben Jahren lagen die Positionen der SPD-Politikerin Andrea Nahles und der CDU-Politikerin Annette Schavan sehr nahe beieinander, beide sind katholisch und sprachen sich aus religiösen Gründen dagegen aus.

KNA: Das Gesetz für die "Ehe für alle" ist am 1. Oktober in Kraft getreten. Diskutiert wurde darüber aber schon seit Jahren. Dabei kamen gläubige Politiker nicht immer zum selben Ergebnis.

Thieme: Die Bundeskanzlerin gab die Frage als Gewissensentscheidung frei - aus gutem Grund: Schon in den Jahren zuvor argumentierte der evangelische CDU-Politiker Frank Heinrich ähnlich wie der Baden-Württembergs grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann - ein Katholik - , dass alle Menschen vor Gott gleich sind. Andere religiöse Politiker sprachen sich auch aus ihrem Glauben heraus dagegen aus.

KNA: Wie sieht es bei der Asylpolitik aus?

Thieme: Asyl zu gewähren, ist sicherlich ein grundchristlicher Wert.

Das greift Kretschmann auf, wenngleich er inzwischen sicher auch Einschränkungen machen würde. Der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein, der evangelisch ist, zieht die Grenzen sehr viel enger und begründet das mit seiner Verantwortung für den Freistaat und mit der Bedrohung des friedlichen Zusammenhalts bei einer zu großen Zahl von Asylbewerbern.

Birgit Wilke


Quelle:
KNA
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