Berliner Start-Up fertigt Taschen aus Flüchtlingsbooten

Fluchtgeschichte auf dem Rücken

Noch immer kommen viele Flüchltinge über das Mittelmeer nach Europa. Häufigstes Transportmittel: Schlauchboote. Aus diesen stellt die Berlinerin Nora Azzaoui mit dem Start-up mimycri nun Taschen her. Bei domradio.de erzählt sie warum.

Aus Schlauchbooten werden Taschen  / © Mimycri (Mimycri)
Aus Schlauchbooten werden Taschen / © Mimycri ( Mimycri )

domradio.de: Sie waren als freiwillige Helferin auf der Insel Chios. Was haben Sie dort gemacht? 

Nora Azzaoui (mimycri-Geschäftsführerin): Unsere Aufgaben waren ganz unterschiedlich. Die Menschen, die mit dem Boot ankommen, haben wir in Empfang genommen und mit trockener Kleidung versorgt. Es waren aber auch ganz unterschiedliche Aufgaben wie eine erste medizinische Versorgung, Lagerbestände mit Spenden auffüllen, Kleidung sortieren oder Container ausladen.

domradio.de: Die Schlauchboote sind häufig gefährlich überladen, sind auch nicht hochseefähig, das wissen wir alle. Aber sie sind immerhin aus stabilem Material. Was passierte mit diesen Booten? 

Azzaoui: Viele dieser Boote sind kaputt und an den Stränden liegen geblieben, gemeinsam mit den Rettungswesten. Wir haben die Strände aufgeräumt, so dass sie nicht vermüllen und wieder nutzbar sind. Einige Materialien haben wir gewaschen und im nächsten Schritt ist uns die Idee gekommen, die kaputten Boote einfach weiterzuverwenden. 

domradio.de: Sie haben sich überlegt, diese Boote weiter zu verarbeiten, zu recyceln. Aus Umweltschutzgründen? 

Azzaoui: Zum einen aus Umweltschutzgründen, zum anderen als Erinnerung daran, was immer noch an den Küsten Griechenlands und anderen Orten passiert. 

domradio.de: Sie haben das Startup mimycri gegründet, werden dafür auch gefördert. Und Sie machen nun Rucksäcke und andere Taschen aus gestrandeten Schlauchbooten. Wer produziert diese Taschen genau? 

Azzaoui: Wir arbeiten eben auch gemeinsam mit den Neuankömmlingen in Berlin, vor allem mit Menschen, die schon Erfahrungen mit Schneidern in ihren Heimatländern gehabt haben. Wir sind gerade dabei das Team zu erweitern, um auch Ankommensmöglichkeiten durch unser Start-Up zu schaffen. 

domradio.de: Ein Rucksack kostet immerhin 160 Euro. Verdienen Sie Geld damit? 

Azzaoui: Nein, wir sind ein Non-Profit-Projekt. Die Preise beinhalten den Transport und auch den Lohn, denn wir möchten die für uns arbeitenden Menschen auch bezahlen können und ihnen so eine Existenz ermöglichen. Der Rucksack ist handgefertigt, es springt dabei kein Gewinn für uns heraus, die Kosten werden so immerhin gedeckt. 

domradio.de: Nun kann man natürlich sagen, das ist irgendwie makaber: Viele Flüchtlinge überleben die Überfahrt ja auch nicht. Und so ein Stück Schlauchboot trage ich jetzt mit mir herum. Was sagen Sie dazu? 

Azzaoui: Ich kann verstehen, dass es zunächst irritiert - damit haben wir allerdings schon einen ganz wichtigen Teil unseres Projekts geschafft - und zwar, dass Menschen darüber reden. Wir sehen mimycri als kreative Möglichkeit, um sich mit Flucht und dem Thema Neuanfang auseinanderzusetzen. 

Das Gespräch führte Tobias Fricke.


mimycri-Gründerinnen / © Jean-Pierre Vicario (Mimycri)
mimycri-Gründerinnen / © Jean-Pierre Vicario ( Mimycri )
Quelle:
DR