Ein Jahr nach dem Amoklauf in München

Mahnmal "Für Euch"

Vor einem Jahr erschoss ein 18-Jähriger in München am Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen und sich selbst. An der Gedenkfeier an diesem Samstag nimmt auch Pfarrer Cambensy teil, der sich schmerzvoll an den 22. Juli 2016 erinnert.

Trauer in München / © Sven Hoppe (dpa)
Trauer in München / © Sven Hoppe ( dpa )

domradio.de: Wir gehen ein Jahr zurück: Wie haben Sie damals diesen Abend des 22. Juli 2016 erlebt?

Monsignore Martin Cambensy (Leiter des Pfarrverbandes Moosach-Olympiadorf München): Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern: Wir waren im Pfarrgarten, der ungefähr 500 bis 800 Meter weit vom Olympia-Einkaufszentrum entfernt ist. Die Schüsse haben wir gehört, konnten sie aber nicht einordnen. Es waren viele Kinder da, weil wir den Abschluss des Kinder-Bibel-Cafés hatten, die Firmlinge ihre Urkunden bekamen und die Jugend sich auf das Sommerfest vorbereitete.

Dann kam ganz schnell diese schreckliche Nachricht, dass irgendetwas im Olympiadorf los ist, dass es Tote gibt. Man hörte auch überall schon die Sirenen der vorbeifahrenden Einsatzfahrzeuge. Gleichzeitig probte der Kirchenchor für ein großes Konzert. Sie haben sich dann eingesperrt.

Es hat sich immer mehr Panik ausgebreitet bei den Leuten. Viele haben versucht, ihre Angehörigen im OEZ zu erreichen, weil viele Moosacher abends noch dorthin gehen. Es war ziemlich hektisch und eine unheimliche Angst im Raum.

domradio.de: Waren Sie denn selbst im Einsatz, haben Sie kirchliche Seelsorge geleistet?

Cambensy: Wir mussten krisenstabmäßig schauen, was wir machen, und haben entschieden, unsere Räume für alle, die kommen wollen und Sicherheit suchen, zu öffnen. Weil wir auf das Sommerfest eingestellt waren, waren wir auch darauf vorbereitet, den Leuten etwas zu trinken geben zu können. Es kam die Debatte auf, ob wir das Konzert absagen sollten oder nicht.

Mit der direkten Seelsorge vor Ort waren wir nicht beauftragt. Wahrscheinlich hätte uns auch niemand hereingelassen. Da wenden sie sich direkt an die entsprechenden Institutionen wie "Krisen-Interventions-Team" (KIT) und die Notfallseelsorge. Bei uns in München ist das gut ausgebaut, so dass auch sehr schnell Seelsorger vor Ort sind, mit denen wir wiederum erst später Kontakt hatten.

domradio.de: Am Samstag ist dieser Tag genau ein Jahr her. In einer Gedenkfeier ab 10 Uhr wird ein Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer eingeweiht. Daran teilnehmen werden auch der Oberbürgermeister von München, Dieter Reiter, und Ministerpräsident Horst Seehofer. Auch Sie selber werden dabei sein. Wie fühlt es sich an, hat man ein bisschen Angst vor einem solchen Tag?

Cambensy: Ja, es ist ein gewisser Druck. Man möchte die richtigen Worte finden, die man eigentlich nicht finden kann. Gott sei Dank wünschen sich die Angehörigen einen religiösen Akt, was uns in der Vorbereitung der Veranstaltung gesagt wurde. Das ist schon einmal eine gute Voraussetzung. Sie wünschen sich Worte des Trostes, um in die Zukunft schauen zu können. Ich hoffe, dass uns das gut gelingen wird.

domradio.de: Laut einer Studie der beiden großen Kirchen in Bayern ist das Bedürfnis nach ökumenischen Gottesdiensten in der Gesellschaft gestiegen, besonders nach Katastrophen wie dem Amoklauf in München. Nehmen Sie auch wahr, dass das gut angenommen wird?

Cambensy: Ja. Wir hatten in der ganzen Woche nach dem Amoklauf jeden Abend unsere Pfarrkirche geöffnet und haben kleine Feiern angeboten, gestaltet mit Taizé-Liedern und anderen Elementen. Die Kirche wurde jeden Tag voller.

domradio.de: Heute haben Sie Firmung in Ihrer Gemeinde, das heißt junge Menschen, die ihren Glauben festigen wollen, sind da. Was werden Sie denen, gerade auch mit Blick auf traumatische Stunden im Leben, mit auf den Weg geben?

Cambensy: Die Firmung wäre sogar am Samstag gewesen. Wir haben sie aber wegen des Gedenktages verschoben. Die jungen Leute beschäftigt es unheimlich, weil sie feststellen müssen, dass diese Welt keine hundertprozentig sichere Welt, also kein Paradies ist. Diese Welt ist eine unfertige, was man auch nach einem Busunglück oder nach einer Naturkatastrophe sieht. Diese Welt ist nicht fertig, sie ist noch im Werden, wobei auch viel Schlimmes und Schmerzhaftes geschieht.

Man muss den jungen Menschen erst einmal zuhören, was sie beschäftigt, was ihnen wehtut oder was sie gerne anders hätten. Und dann muss man sie einfach an die Hand nehmen und ihren Blick in die Zukunft richten.

Vielleicht muss man ihnen auch das Angebot machen, dass die Religion mit ihrer Vorstellung vom jüngsten Tag, Gericht und Paradies die Zuversicht geben kann, dass wir doch auf eine bessere Welt zugehen. Dass es sich lohnt, auch in die Zukunft zu schauen und nicht die Hände hängen zu lassen und zu verzweifeln.

Das Interview führte Verena Tröster.


Pfarrer Martin Cambensy (Münchner Kirchenradio)
Quelle:
DR