Bewältigung von Terroranschlägen bleibt eine Herausforderung

Allzu rascher Reflex

Nach einer Woche scheint der Anschlag von Manchester in Deutschland kaum noch ein Thema zu sein. Das zeigt, dass die Gesellschaft neue Wege braucht für Trauer, Gedenken und die Bewältigung von Traumata.

Autor/in:
Paula Konersmann
Trauer nach dem Anschlag in Manchester / © Emilio Morenatti (dpa)
Trauer nach dem Anschlag in Manchester / © Emilio Morenatti ( dpa )

"Wie lange braucht es, um zu begreifen, dass ein Freund ermordet worden ist? Wie lange braucht es, um zu verstehen, dass es keinen Abschied gab?" Diese Zeilen stammen von Friedenspreisträgerin Carolin Emcke. Sie hat sie vor zehn Jahren geschrieben - über den Mord an ihrem Patenonkel Alfred Herrhausen, der 1989 ein Opfer der RAF wurde. Nach dem Anschlag von Manchester erhalten ihre Fragen traurige Aktualität - schon wieder.

Trauer braucht Zeit

Wie lange Trauer und Bewältigung brauchen, ist einerseits höchst individuell. Traumapsychologen haben nach Anschlägen wiederholt darauf hingewiesen, dass jeder anders mit einem solchen Ereignis umgeht. Manchen hilft es, schnell in den Alltag zurückzukehren; andere brauchen Zeit. Und es gibt Folgen, die sich spät zeigen oder auf unerwartete Weise. Nach dem 11. September 2001 haben Studien belegt, dass die psychische Belastung teils auch für Menschen hoch war, die tausende Kilometer von den Anschlagsorten entfernt waren.

Anteilnahme und Betroffenheit wandeln sich indes. Je häufiger Europa von Anschlägen getroffen wird, je näher der Terror kommt, desto höher wird offenbar das Bedürfnis nach emotionaler Distanz. Das erscheint als sinnvoller Selbstschutz und wird von Politikern wie Psychologen empfohlen. "Wir dürfen nicht nachgeben, das Spiel dieser Terroristen mitspielen, indem wir uns verängstigen, indem wir unsere Gesellschaft militarisieren, indem wir sozusagen psychotisch werden", sagte kürzlich auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, im Deutschlandfunk.

Wahrscheinlich ist das der einzige Rat; wahrscheinlich bleibt (Über)Lebenden nichts anderes übrig. Doch solche Worte der Ermutigung können ihre tröstliche Kraft verlieren, wenn daraus ein allzu rascher Reflex wird.

Debatten um angemessene Trauer

So monierten Kritiker nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember, dass der Opfer von offizieller Seite nicht ausreichend gedacht werde. Nach den Attentaten, die folgten - London, St. Petersburg, Stockholm - drehten sich die Debatten noch schneller ausschließlich um Sicherheitsfragen und die mutmaßlichen Täter. Wer Solidaritäts-Hashtags auf Twitter forderte oder über das Anstrahlen von Wahrzeichen debattieren wollte, wurde abgefertigt: Das könne man doch nicht jede Woche machen.

Diese Debatten, online oder im Büro, zeigen, dass die Gesellschaft zerfasert: Den Fußballfan hat der Anschlag beim Nationalmannschaftsspiel in Paris besonders mitgenommen, den London-Liebhaber die Bluttat in jener Stadt, in der er schon so oft Urlaub gemacht hat. Ein Schweigemarsch europäischer Spitzenpolitiker und hochemotionale Gedenkveranstaltungen wie nach dem Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" scheinen heute fast undenkbar. In den gut zwei Jahren seither ist viel passiert.

Man fragt sich unwillkürlich, was passieren müsste, damit es wieder eine solche Welle der Solidarität gäbe. Wie viele Menschen müssten sterben? Müssten sie auf besonders grausame Art umkommen, prominent sein, auf eine besondere Weise für demokratische Werte stehen?

Angriff auf Kinder

Insofern ist der Anschlag von Manchester eine Zäsur: Dort wurden gezielt Kinder und Jugendliche attackiert. Nicht zum ersten Mal; Kommentatoren erinnerten an Utoya, wo 2011 über 60 Jugendliche erschossen wurden, und an die Anschlagsserie in den Pyrenäen 2012, bei der unter anderem eine jüdische Schule angegriffen wurde. Die Rituale von Trotz und Selbstvergewisserung, die wiederkehrenden Aufrufe, sich nicht unterkriegen zu lassen, erscheinen angesichts toter Kinder besonders schal. Noch sucht die Gesellschaft recht erfolglos nach Alternativen.

Der nächste Anschlag, so viel scheint gewiss, wird kommen. Vor kurzem kritisierte Friedenspreisträgerin Emcke in ihrer Kolumne in der "Süddeutschen Zeitung" eine "ritualisierte Pflicht zur Kontinuität", die meine, "den Schmerz der Opfer, der einer Gewalterfahrung folgt, einfach überspringen zu können". Sich vom Terror die Lebensfreude nehmen zu lassen, ist vielleicht nicht richtig. Nur dann Betroffenheit zuzulassen, wenn der vorige Schrecken wieder und wieder überboten wird, ist nicht weniger unangemessen.


Quelle:
KNA