An der "Spiritualität" scheiden sich die Geister

Alles und nichts

Spiritualität ist ein echter "Gummibegriff" - jeder hat ein grobes Gefühl dafür, was sie ausmacht, doch packen lässt sie sich schwer. Inzwischen hat der Begriff auch Einzug in den Alltag gehalten. Der Versuch einer Annäherung.

Autor/in:
Angelika Prauß
Meditation beim Yoga / © Harald Oppitz (KNA)
Meditation beim Yoga / © Harald Oppitz ( KNA )

Schweigend am Seeufer sitzen und den Abendfrieden genießen, achtsam eine Kerze entzünden und über das Leben sinnieren, ein Buch mit Tiefgang lesen, sich in Yoga-Übungen vertiefen - gerne werden solche Tätigkeiten schon als "spirituell" verstanden. Der Begriff Spiritualität ist in aller Munde. Doch so selbstverständlich er gebraucht wird, so unterschiedlich wird er auch interpretiert.

Schwierige Begriffsklärung

Der Begriff geht auf das lateinische Wort spiritus zurück; es bedeutet sowohl Atem, Leben, Seele als auch Geist. Darunter wird das Gefühl einer geistigen Verbundenheit mit etwas verstanden, das über die eigene, individuelle Existenz hinausreicht - dem Transzendenten, dem Jenseits oder der Unendlichkeit. Ursprünglich wurde das Wort als Synonym für Frömmigkeit und Geistigkeit verstanden, definiert das Lexikon für Theologie und Kirche. Ab 1980 boome es auch im profanen Alltag und meine "besonders im esoterischen Bereich die vagabundierende, weder institutionell noch dogmatisch festgelegte Religiosität". Und da Spiritualität nur in persönlichen Vollzügen gelebt werde, gebe es "soviele Spiritualitäten wie es spirituelle Menschen gibt". 

Im Alltagsverständnis hat der Begriff etwas sehr diffuses. Sich von einer höheren Macht behütet oder geführt zu fühlen, zu spüren, dass es da "irgendwie noch mehr gibt", sich dem "Fluss des Lebens" anzuvertrauen bis hin zu der Frage, wie man sich weiterentwickeln und selbst optimieren kann - all diese Aspekte verstehen Menschen als Ausdruck von Spiritualität.

Einer, der es wissen muss, ist Bernhard Uhde. In Freiburg hat er vor fünf Jahren das bundesweit erste "Kontaktstudium Interkulturalität und Spiritualität" ins Leben gerufen. "Wir nähern uns der Spiritualität wissenschaftlich an, um bei diesem Modewort etwas mehr Klarheit zu gewinnen", erklärt der Wissenschaftler.

Für Uhde braucht Spiritualität immer "ein Gegenüber" - dahinter stehe die "dualistische Auffassung, dass es Materielles und Geistiges gibt, die miteinander in Bezug stehen". Menschen hätten das Bedürfnis, Dingen über das Materielle hinaus einen tieferen Sinn zu geben und entsprechend zu deuten. Wer etwa sage, die Welt sei nicht einfach nur Materie, sondern Schöpfung, der interpretiere etwas hinein. "Denn eine Schöpfung braucht auch einen Schöpfer."

Eine religiöse Haltung sei eine gute "Voraussetzung" für Spiritualität - unabhängig von einer bestimmten Religion, so Uhde.

Die Welt ließe sich auch insofern spirituell betrachten, "dass man beispielsweise ihre Schönheit erhalten und umweltfreundlich handeln und so dazu beitragen möchte, dass das eigene Handeln einen geistigen, ästhetischen Sinn ergibt". 

"Absolute Gegenwart"

Der katholische Theologe und Zenmeister Alexander Poraj definiert Spiritualität als "Möglichkeit einer unmittelbaren Erfahrung der Wirklichkeit". Unmittelbar versteht Pojaj "im Sinne von nicht vermittelt". Er ist einer von drei spirituellen Leitern im Benediktushof, einem Seminarhaus für Meditation und Achtsamkeit im unterfränkischen Holzkirchen. Es wurde von dem Missionsbenediktiner und innerkirchlich umstrittenen Zenmeister Willigis Jäger gegründet, einem Wegbereiter der Begegnung von Zen-Buddhismus und Christentum in Deutschland.

Das Wort Spiritualität benutzt Poraj nur ungern, weil es zu offen und unbestimmt sei. Für ihn ermöglicht der Zen als Meditationsform und Haltung "eine mögliche Sicht auf das Phänomen Spiritualität". Zen versteht er als "absolute Gegenwart - da ist nichts Magisches oder Mystisches drin".

Den Benediktushof suchen laut Poraj sinnsuchende Menschen auf." Der Theologe sieht verschiedene Gründe, warum Menschen außerhalb der Kirche nach Antworten auf Lebensfragen finden möchten. Bis zum Zweiten Weltkrieg habe es in Deutschland "relativ homogene religiöse Strukturen" gegeben; danach sei die religiöse Landschaft hierzulande vielfältiger geworden. "In großen Städten kann man heute Zugang zu allen Religionen haben." Die einstige gefühlte Sicherheit, die es früher in der Kirche gegeben habe, weiche heute einer "erweiterten Sichtweise". Menschen seien zunehmend offen, sich mit anderen Religionen auseinandersetzen.

Zudem empfänden manche Christen die Theologie als nicht mehr zeitgemäß, so der Zenmeister. Die christliche Theologie setze sich nicht konstruktiv mit der Wirklichkeit auseinander und bringe "ihre Wissenschaft nicht mit dem Weltwissen in Einklang", beobachtet der spirituelle Begleiter. Er bedauert, dass die Theologie "keine zeitgenössische Interpretation auf die Wirklichkeit" biete und stattdessen "an dem Stand von vor 800 Jahren" festhalte. Diese Diskrepanz spürten viele Menschen. Ein Grund, warum sie ihrer Kirche den Rücken kehrten und woanders nach spirituellen Erfahrungen suchten - etwa im Zen und Yoga.


Quelle:
KNA