Reform des Pflege-TÜV soll helfen

Verloren im Pflegebetrieb

Der Pflege-TÜV soll verschärft werden - doch auf die Noten für die Heime können sich Betroffene wohl auch künftig nicht verlassen. Über Missstände in der Pflege spricht Anke Martiny von Transparency International im domradio.de-Interview.

Pflege: Thema wird immer wichtiger  (dpa)
Pflege: Thema wird immer wichtiger / ( dpa )

Das Pflegesystem sei zu komplex und biete an vielen Stellen Möglichkeiten zur Korruption, kritisiert Anke Martiny, Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von Transparency International im domradio.de-Interview. Vorallem die Finanzierungsströme seien sehr kompliziert. "Es kommt die Krankenkasse, es kommt die Pflegekasse, es gibt die Sozialhilfe, es ist das private Vermögen von Menschen, es kommen auch noch andere Versicherungselemente mit hinein und da ist es eben sehr schwer die Verantwortung zu zuordnen“, so Martiny. Es sei relativ leicht in solch einem intransparentem System, die Kontrolldefizite, die zwangsläufig entstünden, auszunutzen.

Martiny ist Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von Transparency International. Die Organisation hat am Dienstag in Berlin die Studie "Transparenzmängel, Betrug und Korruption im Bereich der Pflege und Betreuung" vorgestellt. Für die Studie waren unter anderem 13 anerkannte Experten nach ihren Erfahrungen befragt wurden.

Pflege-TÜV - zu bürokratisch?

Der sogenannte "Pflege-TÜV", der gerade überarbeitet wird, ist aus Sicht von Transparency keine Hilfe, sondern nur ein weiteres Beispiel für "die überbordende Bürokratie".

Jahrelang verhandelten Heimbetreiber und Krankenkassen über einen besseren sogenannten Pflege-TÜV. Hinter verschlossenen Türen gab es einen Kompromiss, der bald in Kraft treten soll. Künftig soll es weniger Bestnoten geben. Angehörige sollen im Internet besser erkennen können, wie eine Einrichtung in Kernbereichen wie etwa der Abwehr von Druckgeschwüren und Flüssigkeitsmangel abschneidet. In einem internen Brief schreibt der Verband vdek an die Mitgliedskassen wie Barmer GEK, Techniker Krankenkasse und DAK: "Das Verhandlungsergebnis ist aus Sicht der Ersatzkassen insgesamt positiv zu bewerten."
Kann der Pflege-TÜV künftig Missstände gründlich aufdecken - und Betroffenen schnell Auskunft über die Qualität eines Heims geben? Der Hamburger Gesundheitswissenschaftler Johannes Möller hatte das bisherige Prüfsystem untersucht - und Mängel festgestellt. Nun sagt er, eine verständliche Beurteilung könne es nur geben, wenn die Noten etwas über die Qualität aussagen. "Das gibt es auch künftig nicht."
Der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe, der über die Reform mitverhandelt und am Ende gegen den Kompromiss gestimmt hatte, geht sogar noch weiter - die Reformpläne sind für ihn nur ein Feigenblatt, um das ungeeignete Transparenzsystem zu legitimieren. Die Grünen fordern einen Neustart. "Wenn man Transparenz in der Pflege erzeugen will, dann muss man eine Vorstellung davon haben, was gute und schlechte Qualität ist - darüber kann man nicht verhandeln", sagt die Grünen-Politikerin Elisabeth Scharfenberg.

Vorwurf: Akten wichtiger als sterile Verbände
Forscher Möller erläutert Schwachstellen. "Wer einen Verbandswechsel nicht steril hinbekommt, der darf keine Eins oder Zwei bekommen." Das könne aber trotz der Nachbesserungen weiter passieren. "Außerdem bleibt unklar, ob Ergebnisqualität gemessen wird oder Dokumentationsqualität." Auch künftig könne also ein Heim gut abschneiden, wenn es nur seine Akten ordentlich führt. Und die Prüfer des Medizinischen Dienstes hätten bei mehreren Kriterien nicht ausreichend differenzierte Bewertungsmöglichkeiten.

Der Bundespatientenbeauftragte Wolfgang Zöller (CSU) meint: "Ich möchte in Zukunft besonders pflegerelevante Kriterien bei der Gesamtbeurteilung hervorgehoben wissen, weniger Strichlisten, die letztendlich keine Aussagekraft haben." Stichproben müssten außerdem zeigen, ob Patienten auch die verordneten Medikamente bekommen. Folgt man den Kritikern, gibt es aber wohl vor allem wegen der Blockade von Heimbetreibern nicht mehr Licht im Dickicht der Pflegeangebote.

Für die Anti-Korruptions-Organisation Transparency ist der Pflege-TÜV nur eines von vielen Beispielen für Überbürokratisierung in der Pflege, wie die ehemalige SPD-Landesministerin und Transparency-Mitarbeiterin Barbara Stolterfoht kritisiert.

Transparency holt weit aus: Korruption, Betrug und Geldmacherei auf Kosten der Schwächsten der Gesellschaft seien bei den Heim- und Dienste-Betreibern an der Tagesordnung. Zwischen Pflegediensten gebe es sogar modernen Menschenhandel - Betroffene würden von Dienst zu Dienst "verkauft". "Das System ist so gestrickt, dass das mehr sind als Einzelfälle", sagt Stolterfoht. Sie fordert mehr Offenheit, ein bundesweites Register für Betrügereien und Einsichtsrechte in Gutachten und Akten für Pfleger und Betroffene.

"Legt Beweise vor oder schweigt"
Der Rundumschlag geht nicht nur dem Bundesgesundheitsministerium zu weit. Auch der Paritätische Gesamtverband meint: "Die Forderungen von Transparency sind irreführend, da bereits geltendes Recht." Und der Hamburger Forscher Möller sagt an die Adresse von Kritikern wie Transparency: "Legt Beweise vor oder schweigt." Die Organisation beruft sich unter anderem auf Interviews mit Insidern. Diese müssten geschützt bleiben.


Quelle:
dpa , epd , DR