Gemeinde verteidigt Umgang mit Grab eines Missbrauchspriesters

Das ist ein "Teil der Aufarbeitung"

50 Jahre nacht dem Tod eines Missbrauchspriesters will eine sächsische Gemeinde dessen Grab nicht verlängern. Dies sei Teil eines größeren Prozesses, der "weder reißerisch noch heimlich" ablaufen soll, so Gemeindereferent Benno Kirtzel.

Symbolbild: Schneebedeckter Grabstein auf einem Friedhof / © Adam J Hague (shutterstock)
Symbolbild: Schneebedeckter Grabstein auf einem Friedhof / © Adam J Hague ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: 50 Jahre nach dem Tod des Pfarrers soll nun mit der Aufarbeitung begonnen werden. Die Grab-Einebnung soll ein Teil dieser Aufarbeitung werden?

Benno Kirtzel (Gemeindereferent St. Heinrich und Kunigunde in Pirna) Ja, das ist richtig. Die Frage nach dem Grab hat sich bei uns gestellt, weil 2018 die Gemeinde St. Georg Heidenau mit zu Pirna gekommen ist. Sie bilden seitdem eine Pfarrei. Das erste, was bei uns mit auf dem Tisch war, war die Verlängerungen des Grabes. Da man ja, wenn man eine neue Pfarrei mit übernimmt, nicht als erstes die Vorgänger-Gräber auflöst, haben wir im guten Glauben das Grab verlängert. Hinterher haben sich dann aus der Gemeinde die Hinweise verdichtet, dass es eben nicht nur ein einfacher Pfarrer ist, sondern eben ein großer Missbrauchstäter.

Das haben wir dann zum Anlass genommen, nochmal genau beim Bistum nachzufragen und auch mit dem Seelsorgerat, dem verantwortlichen Gremium, darüber zu reden und sind letzten Endes zu der Entscheidung gekommen, dass die Auflösung des Grabes - genaugenommen der Abbruch der Verlängerung - Teil des Aufarbeitungsprozesses sein soll.

Es ist schwierig, so ein Grab zu haben. Es soll weder reißerisch groß aufgemacht werden, noch einfach still und heimlich entsorgt werden, sondern es soll eben in diesem Aufarbeitungengsprozess, der nicht auf die Toten, sondern auf die Betroffenen und auf uns als Gemeinde zielt, ein Teil sein, wie mit diesem Grab umzugehen ist.

DOMRADIO.DE: Jetzt kann so eine Grablöschung natürlich auch so wirken, als würde man den Pfarrer und seine mutmaßlichen Taten entfernen und vergessen wollen. Könnte so ein Grab nicht auch eine Art Mahnmal sein?

Kirtzel: Das kann durchaus möglich sein. Das liegt aber nicht einfach an uns als Pfarrteam, das zu entscheiden. Es soll Teil des Aufarbeitungsprozesses sein. An einem guten Punkt, den wir noch finden müssen, soll dann zusammen mit der Gemeinde überlegt werden: Wie gehen wir damit um?

Ich kann mir da auch sehr gut vorstellen, dass die Betroffenen noch eine eigene Meinung zu haben. Von "Wir räumen das Grab still auf" bis hin zu "Wir arbeiten den Stein in ein Mahnmal für die Opfer um" ist alles möglich. Aber zu diesem Zeitpunkt können wir noch nicht sagen, wann es passiert und in welcher Form. Uns ist bloß klar, es soll weder reißerisch noch heimlich passieren.

DOMRADIO.DE: Wie sieht denn der Austausch mit den Betroffenen aus? Haben die sich schon zu den Plänen geäußert oder haben sie noch Gelegenheit dazu?

Kirtzel: Wir haben das riesengroße Glück, dass eine der Betroffenen so stabil ist und auch so eine starke Frau ist, dass sie direkt an einer Aufarbeitung beteiligt wird. Die Aufarbeitung läuft über das Bistum Dresden-Meißen, über uns als Pfarrei, mit einer externen Moderatorin und mit der Betroffenen. Und die ist, wenn ich das so sagen darf, dort unser größter Schatz. Weil: In Aufarbeitung muss klar sein: An erster Stelle muss die Orientierung an den Betroffenen stehen. Dann als nächstes die Frage: Wo gibt und gab es Strukturen, die Missbrauch begünstigt haben? Die Sache des Grabes würde ich dort als nachgeordnet betrachten.

Interessant ist am Medienecho zu beobachten, dass von den säkularen Rückmeldungen, die wir bekommen, also weltliche Medien und weltliche Einzelpersonen, die nachfragen, zunächst die Frage nach den Betroffenen und der Prävention steht und in den katholischen Medien und Rückmeldungen doch sehr stark auf das Grab abgehoben wird.

Das ist meine Beobachtung. Ich weiß nicht, ob das ein Symptom dafür ist, dass wir uns als Katholiken eher an der Institution orientieren und es mehr Betroffenen-Orientierung geben müsste, aber das ist eine Beobachtung, die ich derzeit mache.

DOMRADIO.DE: Könnten Sie denn mit Ihrer Aufarbeitung auch ein Vorbild für andere Gemeinden sein?

Kirtzel: Das kann durchaus möglich sein, weil, wie ich jetzt mitbekommen habe, Vergleichbares noch gar nicht so an anderen Stellen gelaufen ist, zumindest bei uns im Bistum nicht. Wir haben die Aufarbeitung angefangen mit dem Blick auf unsere Ortsgemeinde und die Betroffenen vor Ort und nicht, um Präzedenzfälle zu schaffen.

Sollten uns Sachen gelingen, habe ich natürlich nichts dagegen, dass die von anderen übernommen werden. Vielleicht machen wir auch ein, zwei Fehler, die andere dann nicht machen müssen. Mir ist daran gelegen, dass wir uns nicht von der Schrecklichkeit der Taten lähmen lassen, sondern dass wir annehmen, dass das bei uns passiert ist und damit umgehen.

Heidenau hat sich nicht ausgesucht, Ort der Taten zu sein. Aber Heidenau kann sich jetzt sehr genau aussuchen, wie damit umgegangen werden soll.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR