Warum Totenfürsorge in der Vergangenheit anders gehandhabt wurde

Wird der Tod politisiert?

An Allerseelen rücken Dinge in den Mittelpunkt, die für viele Menschen heute tabu sind, wie etwa der Umgang mit Verstorbenen. Welche Rückschlüsse lassen sich aus der Vergangenheit für heute ziehen?

Grabsteine auf einem Friedhof / © Andrzej Lisowski Travel (shutterstock)
Grabsteine auf einem Friedhof / © Andrzej Lisowski Travel ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Im Mittelalter hat man Leichen zerstückelt oder sterbliche Überreste eingekocht. Sie sagen, das war damals ein Teil der Totenfürsorge. Wie lässt sich das erklären?

Prof. Dr. Michael Grünbart (Exzellenzcluster "Religion und Politik" WWU Münster): Einerseits ist das ein Kampf gegen den Verfall - und dann auch eine besondere Ehrung des Toten, der länger präsentiert werden und auch konserviert werden kann. Die Leichenteile eines Herrschers etwa können an unterschiedlichen Orten auch bestattet werden. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass man Teile eines Herrschers an mehreren Orten zu Grabe trägt und damit sein Wirken über den Tod hinaus auch bestärkt. Das findet man bei Friedrich Barbarossa etwa. Oder auch wenn Sie an die Kapuzinergruft in Wien denken, wo auch Teile von Herrschern liegen, das Herz liegt meistens in einer anderen Kirche. Es ist eine ganz übliche Form der Verehrung und Ehrung des verstorbenen Herrschers, der an mehreren Orten noch weiter verehrt wird, wo auch an ihn erinnert werden kann.

DOMRADIO.DE: Wieso ist es wichtig, über diese Thematik zu sprechen? Sie haben gerade eine Tagung dazu veranstaltet.

Grünbart: Der Ausgangspunkt war die Idee, wie wird Tod politisiert? Was macht man etwa mit Friedhöfen in der Vormoderne im Mittelalter? Da ist immer auch eine gewisse politische Komponente dabei. Herrschergräber sind eben auch eine Selbstdarstellung. Friedhöfe können zerstört werden. Man kann eine andere Religionsgemeinschaft treffen, weil Friedhöfe, Grabstätten sind immer Orte der Erinnerung. Und wenn man einen Friedhof devastiert oder ein Grab zerstört, ist das auch immer ein Auslöschen einer Erinnerung, einer Familie oder auch einer Gesellschaft. Diese Handlung hat dann immer auch sehr stark die politische Komponente. Das war der Ausgangspunkt. Und wir haben ein sehr schönes Leitwort, "Deathscape". Das ist so ein englischer Begriff, der seit circa 15 Jahren ein Begriff ist. Das bezeichnet man auch als Sepulkrallandschaft. Es bedeutet, wie sieht so eine Landschaft aus, mit Friedhöfen, Kapellen, Kirchen und in der Antike auch Tempel? Und wie wirkt das in einer Gemeinschaft? Was ist da wichtig? Und dieses Wort, Deathscape, ist immer auch verbunden mit Erinnerung einerseits und andererseits auch mit Emotionen. Das ist so ein Konzept, das aus der Sozialanthropologie kommt und das sich für diese Tagung auch sehr gut anbietet, weil man da Phänomene sehr gut erklären kann, die bis weit vor Christi Geburt zurückreichen. Solche Grabgemeinschaften stiften eben Identität. Auch hier im Münsterland gibt es Funde, wo man ganz eindeutig zeigen kann, dass solche Grabanlagen eine Dorfgemeinschaft zusammenhalten. 5000 vor Christus etwa gibt es interessante archäologische Befunde in der Region.

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns noch über einen anderen Aspekt sprechen. Es geht ja nicht nur um den Umgang mit dem Leichnam, sondern auch um zum Beispiel Grabinschriften. Jetzt denke ich Name, Geburts- und Todesdatum reichen. Aber das war früher ein bisschen anders?

Grünbart: Auch da gibt es interessante Aspekte, beispielsweise will man sich nach dem Tod noch darstellen, aber es sind auch oft noch Regelungen eingemeißelt und draufgeschrieben. Zum Beispiel ist man sehr bemüht, Grabschänder oder Grabräuber abzuhalten bzw. auch die Belegung eines Grabplatzes zu sichern. Da gibt es spannendes Material aus der römischen Kaiserzeit, erstes bis drittes Jahrhundert, wo genau festgelegt wird, dass man da eine große Geldsumme zahlen muss, wenn ein Grab anders belegt wird. Da ist auch ein juristischer Akt mit verbunden und auch ein interessantes Phänomen. Das ist quasi im öffentlichen Recht dann verankert, dass ein Grabplatz einer Person oder einer Familie gehört.

Und im byzantinischen Bereich gibt es das natürlich auch. Fluchformeln gegen Grabräuber sind da ein Dauerthema, weil ja die Gräber meistens nicht nur den Leichnam enthielten, sondern oft auch Grabbeigaben, also von Schmuck angefangen bis zu anderen Beigaben. Das interessierte natürlich Grabräuber.

DOMRADIO.DE: Wäre es denn heute problematisch zum Beispiel die politische Gesinnung oder Kritik an irgendetwas auf den Grabstein zu schreiben, geht das?

Grünbart: Kritik wird so gemacht, dass man einen Namen etwa ausradiert, dass ein Name entfernt wird, das wäre ja etwas Politisches. Aber so richtig Kritik am System wird man in Grabinschriften selten finden.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR
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