Zoologe fordert, ökologische Landwirtschaft voranzutreiben

Artenvielfalt statt Profitmaximierung

Jedes Jahr sterben rund 45 Millionen sogenannte Eintagsküken. Die Bundesregierung hat jetzt ein Verbot für das Schreddern männlicher Küken auf den Weg gebracht. 2022 soll es in Kraft treten. Zoologe Rainer Hagencord geht das nicht weit genug.

Männliche Küken sitzen in einem Korb / © Bernd Wüstneck/zb (dpa)
Männliche Küken sitzen in einem Korb / © Bernd Wüstneck/zb ( dpa )

DOMRADIO.DE: Bundesagrarministerin Julia Klöckner hat zum Verbot gesagt, diese unethische Praxis gehöre dann der Vergangenheit an. Das sei ein bedeutender Fortschritt für den Tierschutz. Künftig solle das Geschlecht der Küken bereits im Ei bestimmt werden. Wird jetzt alles ethischer?

Dr. Rainer Hagencord (Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster): Der Begriff der Ethik wird an der Stelle tatsächlich sehr weit gefasst. Natürlich kann man sagen, ja, hier ist eine Früherkennung möglich, die werden nicht umgebracht wenn sie auf die Welt kommen sondern vorher. Ich möchte erinnern, dass wir vor zwei Jahren das Gesetz, das Urteil zu dem Thema hatten. Aufgrund dieses Urteils 2019 ist jetzt dieser Schritt erfolgt und in diesem Urteil fiel dieser sehr beeindruckende Satz, der hieß nämlich: Weil auch männliche Küken über einen Eigenwert verfügen, dürfen wirtschaftliche Interessen nicht im Vordergrund stehen.

Und wenn ich diesen Satz jetzt noch mal dazulege, dann wirft dieser Satz ja ein Licht nicht nur auf die Geflügelindustrie und das, was da mit den Küken passiert, sondern insgesamt auf das System der industriellen Tierhaltung. Alles, was da gerade passiert, vom Schreddern, vom Kürzen der Schnäbel, von der Gabe von Antibiotika und so weiter, sind alles Hinweise darauf, dass der Eigenwert weder der Küken noch der Hühner noch der Schweine noch der Rinder in irgendeiner Weise gerechtfertigt oder geschützt wird, sondern weiter das System der industriellen Tierhaltung mit der Profitmaximierung als oberste Prämisse weiterhin am Leben erhalten werden soll.

Und das zu Zeiten von Corona. Wenn wir das jetzt auf dem Hintergrund der Corona-Pandemie einmal anschauen, dann ist doch völlig klar, dass der nächste Virus kommen wird. Es ist ja nicht die Frage, ob einer kommen wird, sondern wann der nächste kommt. Und es ist absolut sicher, dass ein nächster Virus entweder aus der industriellen Tierhaltung aus den Mastanlagen kommt oder wieder mal aus Regionen, wo wir gnadenlos die Lebensräume der Tiere vernichten. Also wenn nicht jetzt über den Eigenwert der Tiere und eine völlig andere Tierhaltung in der Landwirtschaft diskutiert wird, wann denn dann?

DOMRADIO.DE: Kommen wir noch mal kurz auf diesen Eigenwert des Tieres zurück. Bisher war es ja so, die Küken wurden geboren und wurden dann geschreddert. Jetzt soll das Ei geschreddert werden. Wird das dann dem Eigenwert des Tieres gerecht?

Hagencord: Überhaupt nicht. Tatsächlich wird jetzt in der Produktionsweise von Fleisch einerseits Hühner werden aufgrund des Fleisches gezüchtet oder natürlich aufgrund der Eier und das System ist anders überhaupt nicht infrage gestellt.

DOMRADIO.DE: Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft sagt, solche Verfahren seien nicht einfach. Selbst wenn diese Verfahren in Deutschland angewendet werden, dann machen niederländische oder polnische Brütereien trotzdem weiter mit dem Kükenschreddern. Es bräuchte eine europäische Lösung für das Problem. Was sagen Sie zu dem Einwand?

Hagencord: Also dieses Argument ist ja fast schon so alt wie die Europäische Union insgesamt. Und das ist ein Thema, das wir wirklich ständig auf dem Trapez haben. Voran an den Stellen, an denen eine Innovation, also ein Mehr an Tiergerechtigkeit, ein Mehr an ökologischer Vielfalt besprochen wird. Und ich würde an der Stelle wirklich mal sagen, warum drehen denn die Machthaber in der Politik hier nicht mal endlich den Spieß um und sagen, wir in Europa gehen jetzt voran weltweit oder in Europa, wenn ich es kurz fasse, Deutschland geht voran, indem wir hier Ökologie, Arterhalt auf die Fahnen schreiben und nicht mehr Profitmaximierung. An der Stelle könnte Europa jetzt Vorreiter werden und die Europäische Union mitnehmen.

DOMRADIO.DE: Sie haben ja eben schon die Krankheiten angesprochen. Die Viren, die Krankheiten breiten sich aus, natürlich auch in den großen Tierbetrieben und in Schlachtbetrieben. Wie könnte jetzt eine zukünftige Geflügelzucht aussehen? Wir können weder Küken schreddern ethisch noch können wir Eier schreddern. Wie müsste es Ihrer Meinung nach aussehen?

Hagencord: Also der Welternährungsbericht von vor zehn Jahren, das muss man sich auch mal vorstellen, also die UNO hat einen Welternährungsbericht herausgebracht, publiziert in dem eindeutig kleinteilige, mittelständische, kleinbäuerliche Landwirtschaft mit Ökologie, ökologischer Nachhaltigkeit und Tierwohl als die Weise von Landwirtschaft und Tierhaltung, die weltweit Zukunft hat, gepriesen. Dem ist die herkömmliche Politik aber überhaupt nicht gefolgt.

Und noch mal: Wir haben ja nicht nur die Pandemie als großes Thema, sondern wir haben die Klimakatastrophe als großes Thema. Und wir wissen, das sagen Forscher und Forscherinnen, dass wir gerade einmal zehn Jahre haben, zehn Jahre, um das Schlimmste zu vermeiden. Und innerhalb dieser zehn Jahre ist ein wesentlicher Faktor der Faktor der Landwirtschaft, der Tierzucht und so weiter. Also wir müssten dringend jetzt in den kommenden zehn Jahren auf eine ökologische, nachhaltige Landwirtschaft setzen, die kleinbäuerliche, mittelständische Betriebe fördert und nicht mehr die großen.

DOMRADIO.DE: Das eine ist ja die Politik, ob es die deutsche ist, die europäische, aber mich gehen Eier ja auch was an. Spätestens dann, wenn ich samstags im Supermarkt stehe und einkaufe. Es heißt ja immer, ich muss bereit sein, ein paar Cent mehr für mein Ei zu bezahlen. Ist das ausreichend oder kann ich da noch mehr machen als Verbraucher?

Hagencord: Ich glaube immer, eine Unterscheidung zwischen Realo und Fundi-Position ist da hilfreich. Ich finde der Fundi, und wir haben grad über diese fundamentalen Fragen gesprochen, die eine ökologische Landwirtschaft versus Massentierhaltung aufwirft. Der Fundi fragt es, wie ist es da mit dem Eigenwert der Tiere und so?

Der Realo sagt, wir müssen hier, wo wir natürlich von Landwirtschaft leben, wo wir landwirtschaftliche Betriebe unterstützen, schauen, was wir jetzt auch bereit sind zu geben. Und immerhin gibt es diese "Bruder Hahn"-Aktion, das heißt, sie können jetzt Eier kaufen, die sozusagen aus Ställen kommen, in denen auch die männlichen Küken aufgezogen werden.

Also da gibt es, glaube ich, ganz viele Möglichkeiten, dann zu schauen, wo lebe ich, wo gibt es Betriebe, die ökologisch und nachhaltig arbeiten, die auch diese "Bruder Hahn"-Produkte auf den Markt bringen und die bitteschön kaufen.

Das Interview führte Gerald Mayer.


Rainer Hagencord, Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Rainer Hagencord, Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
DR