Kardinal Woelki vor Beginn der Renovabis-Pfingstaktion

"Illegale Arbeitsmigration verhindern"

Am Sonntag wird im Erzbistum Köln die Renovabis-Pfingstaktion eröffnet. Das Pontifikalamt feiert der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, der sich vorab über die "stillen Migranten" äußert, die im Aktions-Mittelpunkt stehen.

Machte sich ein Bild von der Lage in Albanien: Kardinal Woelki / © Oliver Müller (CI)
Machte sich ein Bild von der Lage in Albanien: Kardinal Woelki / © Oliver Müller ( CI )

domradio.de: Mit seiner diesjährigen Pfingstaktion unter dem Leitwort "Bleiben oder gehen?" macht das katholische Osteuropa-Hilfswerk auf das Schicksal der "stillen Migranten" aufmerksam. Diese kommen aus osteuropäischen Ländern und suchen ihr Glück in Westeuropa, auch in Deutschland. Das Thema der Aktion grenzt an die Flüchtlingshilfe, für die Sie sich intensiv einsetzen. Wie beurteilen Sie das Schicksal dieser Menschen?

Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln): Ich halte das für sehr problematisch, weil innerhalb Europas augenscheinlich eine Spannung zwischen West und Ost und damit eben auch eine Spannung bei den Lebensverhältnissen existiert. Wir müssen schauen, dass wir auch in Europa eine gerechtere Verteilung des Reichtums und des Wohlstandes hinbekommen, und dafür müssen wir arbeiten.

domradio.de: Renovabis spricht von den unterschiedlichen Gesichtern der Migration: Da gibt es die Menschen, die nach Westeuropa kommen, um hier Geld zu verdienen; den Papa, der die Familie zurücklässt, die allein gelassenen, "Euro-Waisen" genannten, Kinder oder auch alte Menschen, die in der Heimat einsam zurückbleiben. Wie geht die Kirche mit diesen Migranten um, besonders mit denen, die hier bei uns sind?

Woelki: Wir haben verschiedene Einrichtungen, wo diese Menschen auflaufen, weil sie teilweise auf der Straße leben oder in der Obdachlosigkeit enden. Wir haben hier Menschen aus Polen, die ich teilweise persönlich kenne. Sie kamen hierhin, um Geld zu verdienen und landeten auf der Straße. Da helfen wir natürlich wie allen anderen, die ein ähnliches Schicksal erleiden.

Darüber hinaus muss man sagen, dass viele zu uns kommen und in den Pflegeberufen tätig sind. Sie betreuen unsere alten Menschen, damit diese in einem heimischen Umfeld weiterhin gut leben können. Dabei bleiben die eigenen Kinder, die "Euro-Waisen", und sogar die eigenen Eltern zurück. Anstatt dass diese Menschen sich um ihre eigenen Familienangehörigen kümmern, kommen sie hierher und pflegen unsere alten Menschen.

Ich denke, dass dies so auf Dauer nicht funktioniert. Wir müssen ein System entwickeln, bei dem unsere alten und kranken Bürger von jüngeren Generationen betreut werden. Und wir müssen dazu beitragen, dass Lebensverhältnisse in Ländern wie Rumänien, Polen und anderen osteuropäischen Ländern entstehen, bei denen eine ähnliche Bezahlung einer wichtigen Arbeit wie der Pflege möglich wird. Es muss sich für diese Menschen lohnen, zuhause zu bleiben, damit sie dort ihren Dienst an der Gesellschaft tun.

domradio.de: Jetzt kommen aber diese Menschen oft aus sicheren Herkunftsländern. Bedeutet dies nicht direkt, dass sie ohnehin zurück müssen?

Woelki: Ja natürlich. Man muss unterscheiden: Wenn es EU-Bürger sind, dann haben sie natürlich das Recht, sich innerhalb der EU niederzulassen und nach Arbeit zu suchen. In andere Länder, die als sichere Herkunftsländer eingestuft werden, wie Albanien oder der Kosovo, werden die Menschen auch wieder zurückgeschickt. Diese Länder verfügen über einen Beitrittsstatus, aber dieser berechtigt die Menschen aus diesen Ländern noch nicht, innerhalb der EU Arbeit anzunehmen, so wie das für EU-Bürger möglich ist.

Es ist dringend notwendig, dass in diesen Ländern nicht nur ein Bleiberecht gewährleistet ist. Wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass sich diese Länder entwickeln können. Damit sie volle EU-Mitglieder werden können und gleichzeitig die Menschen dort in ihrer Heimat bleiben, bedarf es drei Dingen: Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und die Schaffung eines Gesundheitswesens.

domradio.de: Aber gibt es nicht auch Rückkehrer, die dann einen zweiten Anlauf in Richtung Westeuropa starten?

Woelki: Doch, ich bin solchen Menschen begegnet, weil die Perspektive in diesen Ländern desolat ist. Ich bin während meiner Reise in Albanien Menschen begegnet, deren Kinder ernsthaft krank waren. Sie sagten, die Ärzte dort könnten diese Kinder nicht heilen, aber die Medizin in Frankreich oder Deutschland sei viel entwickelter. Bei meinem Besuch in Albanien habe ich einen Vater kennengelernt, der drei Monate mit seinem siebenjährigen Sohn bei uns auf der Straße gelebt hatte, bis es ihm gelang, dass sein Kind hier erfolgreich operiert wurde. Der Junge war dadurch gesund geworden. Der Vater betonte, er würde dies sofort wieder machen. Er sei zwar zurückgeschickt worden, aber dafür sei sein Kind gerettet. In Albanien habe der Vater zudem niemals die teure Operation bezahlen können, weil auch im Medizinwesen Korruption herrscht.

domradio.de: Wie kann man denn den Rückkehrern, die in ihre Heimat zurück müssen oder wollen, angesichts der Perspektivlosigkeit die Heimat wieder schmackhaft machen?

Woelki: Ich denke, dass hier Programme aufgelegt werden müssen, damit die Menschen dort wieder Fuß fassen können: Resettlement-Programme oder Starterhilfen zum Beispiel. Migration kann zudem einen positiven Nebeneffekt haben: wenn  die Menschen hier eine neue Sprache erlernen konnten, eine Schule besucht haben, einen Schulabschluss oder eine Ausbildung absolvierten – das ist ein Reichtum, mit dem sie jetzt zurückkehren. Es wäre gut, wenn Länder wie Deutschland oder ohnehin Europa Starterhilfe geben könnten, damit dort die Heimat aufgebaut werden kann und die Rückkehrer und auch die Einwohner vor Ort eine Perspektive haben.

domradio.de: Wie kann man, ganz allgemein, Aufmerksamkeit für das Schicksal dieser Menschen bei uns in Deutschland erzeugen?

Woelki: Dadurch, dass wir Aktionen, wie die von Renovabis, den Medien vorstellen. Zudem müssen wir hier bei uns sensibel werden für das Schicksal dieser Menschen. Und auch über die, die hier politisch Verantwortung tragen, muss Einfluss auf diese Herkunftsländer genommen werden, damit Bedingungen geschaffen werden, die es jungen Leuten ermöglicht, dort zu bleiben.

Es ist hier wichtig, eine legale Einwanderung zu ermöglichen. Jetzt muss ein legales Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht werden, zumindest in der neuen Legislaturperiode des Bundestages. Die illegale Arbeitsmigration muss verhindert werden. Legale Bedingungen müssen geschaffen werden, die es Menschen ermöglicht, hier auf legale Weise Arbeit zu finden.

domradio.de: Am kommenden Sonntag wird die Renovabis-Pfingstaktion 2017 offiziell mit einem Pontifikalamt im Kölner Dom von Ihnen feierlich eröffnet. Worauf können wir uns freuen?

Woelki: Auf einen festlichen Gottesdienst, auf schöne Dommusik. Und sicherlich werde ich in der Predigt das ein oder andere ansprechen, das ich jetzt gesagt habe. Denn "was Ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt Ihr mir getan" – das ist ein Wort des Herrn, das gilt. Und wir haben als Christen auch für die Menschen in Osteuropa Verantwortung zu tragen, weil wir in jedem Menschen das Antlitz Jesu entdecken. Deshalb müssen wir uns für diese Menschen einsetzen, dass sie ein Bleiberecht haben und zudem Teilhabe am Wohlstand, so wie wir das auch für die eigenen Kinder und die junge Generation erhoffen und wünschen.

Das Gespräch führte Bernd Knopp. 

Renovabis

Renovabis ist das jüngste der sechs katholischen weltkirchlichen Hilfswerke in Deutschland. Es wurde im März 1993 auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) von den deutschen Bischöfen gegründet. Seither gibt es jedes Jahr eine mehrwöchige bundesweite Aktion. Sie endet jeweils am Pfingstsonntag mit einer Kollekte in den katholischen Gottesdiensten in Deutschland.

Der lateinische Name des Hilfswerks geht auf einen Bibelpsalm zurück und bedeutet "Du wirst erneuern".

 © Renovabis
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Quelle:
DR