Wie die katholische Kirche in Deutschland von niederländischen Erfahrungen lernen kann

“Will man sich richtig verstehen?“

Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich mitten im Reformprozess. Eine Orientierung könnte die Kirche in den Niederlanden geben, sie hat mit einer Reformsynode Ähnliches erlebt. Wohin könnte der deutsche "Synodale Weg" führen?

Deutsche Bischöfe / © Markus Nowak (KNA)
Deutsche Bischöfe / © Markus Nowak ( KNA )

DOMRADIO.DE: Droht eine Kirchenspaltung? Im Interview mit DOMRADIO.DE über den Reformweg der katholischen Kirche in Deutschland warf der Chefredakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur, Ludwig Ring-Eifel einen Blick auf die Niederlande und sagte: "Schließlich ist die katholische Kirche in den Niederlanden nach und nach in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, weil es eben nicht gelungen ist, die römische Linie und diese Reformlinie miteinander zu versöhnen. Etwas Ähnliches könnte auch bei uns passieren." Wie denken Sie darüber?

Prof. Dr. habil. Jan Loffeld (Professor für Praktische Theologie und Leiter an der Tilburg University, School of Catholic Theology in Utrecht): Man muss zunächst den historischen Kontext ein wenig darstellen. In den Niederlanden hat die Kirche natürlich eine ganz andere Bedeutung als bei uns in Deutschland. Es gab damals eine ideologische "Versäulung" (Anm. d. Red.: konfessionell begründeter Partikularismus) in den Niederlanden. In der katholischen Säule gab es beispielsweise schon vor und während des Konzils Bischöfe, die Fragen der Empfängnisverhütung in die Gewissensfreiheit gestellt haben – wie der Bischof von ’s-Hertogenbosch, Wilhelmus Marinus Bekkers.

Während der letzten Session auf dem Konzil hat man unter den niederländischen Bischöfen bereits gesagt: Wir müssen das ortskirchlich adaptieren. 1966 ist man angefangen mit einem sogenannten Pastoralkonzil. Später fand man den Begriff ungünstig gewählt, weil er zu viele Erwartungen geweckt hat. Von 1966 bis 1968 hat man das Konzil in regionalen Foren vorbereitet und in sechs Sitzungen bis 1970 Reformvorschläge erarbeitet. Der heutige kirchengeschichtliche Blick darauf ist sehr schwierig. Am Schluss standen Reformvorhaben etwa zum Zölibat oder zur Empfängnisverhütung. Dagegen hat damals Rom deutlichen Einspruch erhoben und in der Folge seine Politik von Bischofsernennungen verändert. Die aktuelle kirchengeschichtliche Forschung zu dieser Zeit geht in die Richtung, dass es sich damals neben vielen Unvereinbarkeiten vor allem um ein Kommunikationsproblem zwischen den Niederlanden und Rom handelte.

DOMRADIO.DE: Kann man da einen Vergleich ziehen zur jetztigen deutschen Situation?

Loffeld: Wenn es vielleicht einen Vergleichspunkt zu heute gibt, dann würde ich sagen, ist es einmal, dass heute Deutschland – wie die Niederländer damals – das Sorgenkind der Römer ist. Zum anderen ist die Frage von damals: Versteht man sich richtig oder will man sich richtig verstehen?  

Eine fundamentalere Frage schließt sich an: Ist die Säkularisierung durch diese Krise beschleunigt oder sogar ermöglicht worden? Eine bestimmte Generation in Holland würde sagen: Ja, das ist so, weil sich dieses Kommunikationsproblem festgesetzt hat und dies die Erosion von Kirchlichkeit als Konsequenz nach sich zog.

Generell müssen wir aber heute sagen, dass alle christlichen Konfessionen oder Religionen sehr starke säkularisierende Tendenzen aufweisen. Von daher scheint das Problem nochmal eine Etage tiefer zu liegen. Nach neuen Umfragen hier in den Niederlanden glauben nur noch 14 Prozent an einen persönlichen Gott. 24 Prozent sind Agnostiker und die größte und wachsende Gruppe sind die Konfessionslosen. 

DOMRADIO.DE: Sie befassen sich als Theologie-Professor in Utrecht sehr stark mit dem Thema Religiosität und Säkularismus. Ist die Entwicklung da in den Niederlanden anders als beispielsweise in Deutschland?

Loffeld: Ich glaube die Kirche hier steckt in einer anderen Phase, wenn man das etwas schematisch sagen will. Im Modell von Frau Kübler-Ross (Anm. d. Red.: schweizerisch-amerikanische Psychiaterin) geht es um Abschiede und Trauerprozesse. Da sind die Niederländer vielfach schon in der fünften Phase, nämlich in der Phase der Akzeptanz und des kreativen Nutzens. Man arbeitet sich sozusagen weniger an alten Vorstellungen oder vergangenen Zeiten ab. In Deutschland könnte man jetzt diskutieren, in welcher Phase die Kirche ist.

Diese Selbstverständlichkeit der Akzeptanz einer anderen gesellschaftlichen Rolle scheint mir der große Unterschied zu sein. Zum Beispiel erzählt einem ein Weihbischof, dass es in zehn Jahren nur noch 28 Kirchen im Erzbistum Utrecht geben wird ohne jeden trauernden oder klagenden Unterton. Der leicht depressive oder utopische Unterton, der in Deutschland manchmal mitschwingt, ist hier in den Niederlanden raus. Man spricht dann etwa von einer kreativen Minderheit als einem neuen Kirchenbild, der wir auch unsere Forschungen an der Fakultät widmen. In dieser Situation fühlt man sich dann irgendwie auch wohl – und möchte sie vor allem nutzen. Das merke ich beispielsweise bei meinen jungen Kollegen.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie aus den Niederlanden auf die derzeitige Situation der Kirche in Deutschland schauen, wo um den "synodalen Weg" gerungen wird, welche Gedanken kommen Ihnen da?

Loffeld: Ich glaube, dass wir tatsächlich an diese Themen ran müssen. Das sind Themen, die ja schon länger schwelen. Mit der Vorbereitung oder mit der Schnelligkeit, in der das jetzt geschieht, braucht es vielleicht ein wenig Entschleunigung. Man müsste vielleicht nochmal einen Schritt zurückgehen und sich nochmals über Themen verständigen, damit diese Diversität, die wir ja derzeit haben, ein bisschen eingefangen wird. Es müsste mehr vermittelt und sich Zeit genommen werden, miteinander etwa über unterschiedliche Kirchenbilder, Vorstellungen und unterschiedliche Reformvorhaben zu sprechen. Ebenso natürlich möglichst viele Leute an der Basis mitnehmen. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, jetzt nichts mit zu heißer Nadel zu stricken. 

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass es eine Stellschraube gibt, an der man drehen muss, damit es mit der Kirche in unseren Regionen wieder aufwärts geht?

Loffeld: Ich glaube, wenn es sie gäbe, hätten wir sie schon gefunden. Es wäre sozusagen der theologische "Nobelpreis", diese zu finden. Ich glaube nicht, dass es sie gibt und vielleicht ist genau diese Einsicht eine der wesentlichen geistlichen Herausforderungen der Gegenwart. Aber: In dem Moment, wo sich die Kirche hier in den Niederlanden am Nullpunkt befunden hat, hat sich auf einmal etwas ereignet bzw. ereignet sich noch, womit keiner gerechnet hat. Das ist sicher keine Trendwende, aber dennoch bemerkenswert.

Zum Beispiel ist es hier so, dass einige Orden auf einmal sehr fitte, junge Leute anziehen, die ihr Gelübde ablegen. Oder: Wir sind alle an der Fakultät sehr erstaunt und freudig überrascht, dass sich bei uns und an der Fachhochschule für das neue Studienjahr 70 Studierende gemeldet haben, um den Bachelor "Katholische Theologie" zu beginnen. Zu ihrer Motivation sagten die Studierenden bei einer Blitzumfrage, dass es vor allen Dingen die konfessionelle Identität ist, die sie attraktiv finden.

Es ist heute daher wichtig den Blick zu verändern. Der niederländische Bischof de Korte sagte mal: "Was passiert eigentlich, wenn der große Baum der Volkskirche gefallen ist daneben? Welche kleinen Pflänzchen werden sichtbar?" Davon kann man hier in den Niederlanden schon einige sehen. Wenn es auch keine Stellschraube gibt, dann ist damit das Evangelium nicht am Ende. Es lebt völlig anders weiter. Dabei zu sein, macht Freude.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Prof. Dr. Jan Loffeld (privat)
Prof. Dr. Jan Loffeld / ( privat )
Quelle:
DR
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