Botschaft von Papst Franziskus zum Mediensonntag

"Der Mensch ist ein Erzähler"

In seiner Botschaft zum diesjährigen katholischen Mediensonntag lobt Papst Franziskus das Geschichtenerzählen als lebensnotwendig und warnt zugleich vor Manipulation und Banalisierung in den Medien. Einige Auszüge der Papstbotschaft.

Von Menschen umgeben: Papst Franziskus / © Evandro Inetti (dpa)
Von Menschen umgeben: Papst Franziskus / © Evandro Inetti ( dpa )

"Ich möchte die diesjährige Botschaft zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel dem Thema des Erzählens widmen, denn ich glaube, dass wir, wenn wir uns nicht verlieren wollen, die Wahrheit guter Geschichten nötig haben wie den Atem: Geschichten, die erbauen, nicht zerstören; Geschichten, die uns helfen, unsere Wurzeln und die Kraft zu finden, gemeinsam voranzugehen. Im Wirrwarr der uns umgebenden Stimmen und Botschaften brauchen wir ein menschliches Erzählen, das uns von uns und von dem Schönen spricht, das in uns wohnt. Ein Erzählen, das die Welt und die Ereignisse mit Zärtlichkeit zu betrachten versteht; das erzählt, dass wir Teil eines lebendigen Gewebes sind und das zeigt, wie sehr die Fäden, die uns aneinander binden, miteinander verflochten sind.

Der Mensch ist ein Erzähler. Seit unserer Kindheit hungern wir nach Geschichten, so wie wir nach Nahrung hungern. Ob es nun Märchen, Romane, Filme, Lieder oder Nachrichten sind: Geschichten beeinflussen unser Leben, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Oft entscheiden wir anhand der Charaktere und Geschichten, die wir in uns aufgenommen haben, was richtig oder falsch ist. Geschichten prägen uns, sie formen unsere Überzeugungen und unser Verhalten, sie können uns dabei helfen, zu verstehen und zu sagen, wer wir sind. (...)

Der Mensch ist ein erzählendes Wesen, weil er ein werdendes Wesen ist, das sich im Gewebe des täglichen Lebens entdeckt und darin Bereicherung findet. Doch unsere Erzählung ist von Anfang an bedroht: überall in der Geschichte lauert das Böse.

"Wenn du davon isst, wirst du wie Gott werden" (vgl. Genesis 3,4). Die Versuchung durch die Schlange bringt einen nur schwer zu lösenden Knoten in das Gewebe der Geschichte. "Wenn du dieses oder jenes besitzt, dann wirst du, dann erreichst du ...", flüstern uns auch heute noch jene zu, die das sogenannte "storytelling" instrumentalisieren. Wie viele Geschichten betäuben uns, machen uns glauben, dass wir, um glücklich zu sein, immer mehr besitzen, immer mehr konsumieren müssen. Wir merken schon gar nicht mehr, wie sehr wir nach Klatsch und Tratsch gieren, wie viel Gewalt und Falschheit wir "konsumieren". Oft werden auf den "Webstühlen" der Kommunikation keine konstruktiven Geschichten produziert, die die sozialen Bande und das kulturelle Gewebe zusammenhalten, sondern destruktive und provokative Geschichten, die die zerbrechlichen Fäden des Zusammenlebens abnutzen und zerreißen. Indem man ungeprüfte Informationen zusammenträgt, banales und manipulatives Gerede wiederholt, Hasstiraden auf die anderen entlädt, webt man nicht die Geschichte der Menschen, sondern beraubt sie ihrer Würde.

Aber während jene Geschichten, die für irgendwelche Zwecke oder zur Machtausübung instrumentalisiert werden, nur kurzlebig sind, ist eine gute Geschichte in der Lage, die Grenzen von Raum und Zeit zu überwinden. Sie bleibt über Jahrhunderte hin aktuell, weil sie dem Leben Nahrung gibt. In einem Zeitalter, in dem die Kunst der Fälschung immer raffinierter wird und ein unglaubliches Niveau erreicht hat (Deepfake), brauchen wir Weisheit, um schöne, wahre und gute Geschichten aufzunehmen und hervorzubringen. Wir brauchen Mut, um die falschen und bösartigen Geschichten zurückzuweisen. Und wir brauchen Geduld und Unterscheidungsvermögen, um jene Geschichten wiederzuentdecken, die uns helfen, inmitten der Zerrissenheit unserer Zeit nicht den Faden zu verlieren; Geschichten, die die Wahrheit unseres Seins wieder ans Licht bringen - auch in der oft übersehenen Heroik des Alltags. (...)

Die Geschichte Christi ist kein Erbe der Vergangenheit, sie ist unsere Geschichte, und sie ist stets aktuell. Sie zeigt uns, dass der Mensch, unser Fleisch, unsere Geschichte, Gott so sehr am Herzen lag, dass er selbst Mensch, Fleisch und Geschichte geworden ist. Und sie sagt uns auch, dass es keine unbedeutenden, "kleinen" menschlichen Geschichten gibt. Seit Gott Geschichte geworden ist, ist jede menschliche Geschichte in einem gewissen Sinne göttliche Geschichte. In der Geschichte eines jeden Menschen erkennt der Vater die Geschichte seines auf die Erde herabgestiegenen Sohnes wieder. Jede menschliche Geschichte hat eine ununterdrückbare Würde. Und deshalb verdient die Menschheit auch Geschichten, die ihrem Niveau entsprechen, jener schwindelerregenden und faszinierenden Höhe, auf die Jesus sie emporgehoben hat. (...)

Wenn wir der Liebe gedenken, die uns geschaffen und erlöst hat, wenn wir in unsere Alltagsgeschichten Liebe einfließen lassen, wenn wir in das Gewebe unseres täglichen Lebens Barmherzigkeit hineinweben, dann schlagen wir wirklich ein neues Kapitel auf. Dann bleiben wir nicht länger in unserer Wehmut und unserer Traurigkeit gefangen und an eine krankhafte Erinnerung gebunden, die das Herz gefangen hält. Indem wir uns den anderen öffnen, öffnen wir uns auch der Vision des Erzählers selbst. Gott unsere Geschichte zu erzählen, ist nie umsonst: selbst wenn die äußeren Ereignisse unverändert bleiben, ändern sich doch der Sinn und die Perspektive. Dem Herrn von sich zu erzählen bedeutet, seine Sichtweise anzunehmen, die voll barmherziger Liebe für uns und für die anderen ist. Ihm können wir unsere Erlebnisse erzählen, ihm können wir Menschen und Situationen anvertrauen. Mit Gott können wir das Geflecht des Lebens neu weben, seine Brüche und Risse flicken - wie sehr haben wir das alle nötig!"


Quelle:
KNA