Bilanz des Papstbesuchs in Genf

Gerechtigkeits- und Friedensfrage voranbringen

Als "ökumenische Pilgerfahrt" wird der Besuch von Papst Franziskus beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf offiziell bezeichnet. Doch welchen Eindruck hat der Papst hinterlassen?

Papst Franziskus besucht Weltkirchenrat / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus besucht Weltkirchenrat / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die römisch-katholische Kirche ist kein Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen. Warum nicht?

Prof. Wolfgang Thönissen (Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumene in Paderborn): Der ökumenische Rat der Kirchen hat ja schon eine lange Geschichte vor seiner Gründung von 1948. Es gibt Vorläuferbewegungen, die stammen vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Darin haben sich damals die anglikanischen Kirchen, die lutherischen und reformierten Kirchen zusammengefunden und haben Vorläuferorganisationen gebildet. Da war die katholische Kirche überhaupt nicht beteiligt. Das heißt, die katholische Kirche kommt erst mit dem Zweiten Vatikanum in den 60er Jahren dazu. Deswegen hat der Ökumenische Rat eine Struktur, die er bis heute nicht verändert hat und in diese Struktur passt die katholische Kirche mit 1,3 Milliarden Gläubigen nicht hinein, denn Mitglieder wird man dort über Delegierte, je nach der Zahl der Mitglieder, die die Kirchen haben. Das bedeutet, dass die katholische Kirche, wenn sie Mitglied würde, den Ökumenischen Rat beherrschen würde. Das will weder der Ökumenische Rat noch die katholische Kirche. Das ist der einfache Grund dafür.

DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche ist einfach zu groß, könnte man sagen. Papst Franziskus wollte die Arbeit des Weltkirchenrats aber durch seinen Besuch in Genf besonders würdigen. In welcher Phase der Ökumene findet dieser heutige Besuch statt?

Thönissen: Sicherlich ist das nicht ganz einfach zu beurteilen. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat ja eine ganz lange, auch sehr intensive Geschichte. Denken Sie einmal an das große Dokument "Taufe, Eucharistie und Amt" aus den 1980er-Jahren. Daran hat die katholische Kirche über eine bestimmte Kommission des ÖRK ja intensiv mitgearbeitet. Das alles hat der Papst natürlich im Blick und das will er auch stärken. Aber ich glaube, die heutigen Schwerpunkte der Arbeit des ÖRK liegen auf ganz anderer Ebene: Es geht um soziale Fragen, es geht um Friedensfragen, es geht um die Fragen der weltweiten Gerechtigkeit. Da hat der Papst was zu sagen. Der Papst kommt aus der Dritten Welt, wenn man so sagen darf, aus Argentinien, und das ist sozusagen sein eigentliches Ziel, den ÖRK zu stärken in dieser Frage. Er soll die Gerechtigkeits- und die Friedensfrage voranbringen. Da sind der Papst und der ÖRK auf einer Linie.

DOMRADIO.DE: In einer Frage hat er vielleicht den ÖRK doch eher geschwächt. Es geht um die ökumenischen Frage um die Handreichung zum Kommunionempfang für nicht katholische Ehepartner.

Thönissen: Ich denke, man muss ja sehen, der Ökumenische Rat der Kirchen ist ja ein weltweites Gebilde, es sind ja viele, viele evangelische und orthodoxe Kirchen dabei. Die Verhältnisbestimmung ist da sehr komplex. Was wir jetzt auf der anderen Seite hier in Deutschland vor uns haben, ist die spezifische Problematik der evangelisch-katholischen Ehepartner. Das ist sicher ein Problem das in Deutschland besonders hervorsticht, weil wir eine Vielzahl von konfessionsverschiedenen oder verbindenden Ehen vor uns haben. Ich glaube, die beiden Dinge darf man nicht miteinander vermischen. Das eine schlägt nicht auf das andere. Ich glaube, dass der Papst wohl beides im Blick hat. Aber er hat ja auch die Deutschen nicht wirklich zurückgepfiffen, die deutschen Bischöfe und die deutsche Kirche. Der Papst hat vielmehr gesagt, sie sollen eine Lösung untereinander finden. Ich glaube, diese Aufgabe steht noch bevor.

DOMRADIO.DE: Im Rahmen eines Gottesdienstes hat Papst Franziskus die Ökumene als "Verlustgeschäft" bezeichnet für das es gelte, eigene Zwecke aufs Spiel zu setzen. Ist das auch als ein Wink an die eigene Kirche zu verstehen, die in der Ökumene nicht selten auch mal als Spielverderberin auftritt?

Thönissen: Ich würde es mal so sagen: Ökumene ist, sagen wir es einmal so, ein Verlustgeschäft in dem Sinne, dass wenn ich sozusagen meine eigene Identität besonders herausstellen will, wenn ich sagen will, kein Jota darf ich einen Abstrich machen an meiner eigenen konfessionellen Identität, dann ist, wenn ich, wenn ich das so vertrete, die Ökumene eine Art Verlustgeschäft. Die Ökumene ist aber in Wirklichkeit eine Art von Vermehrung. Man gewinnt mehr, wenn man zusammenarbeitet. Man gewinnt mehr, weil man gemeinsam sich an bestimmten Dingen abarbeitet. Ich glaube, das Gemeinsame ist das Entscheidende. Und da gewinnt man etwas. Deswegen würde ich nicht sagen Verlustgeschäft, sondern positiver formulieren, man hat eine Art von Zugewinn in der Ökumene. Das will der Papst auf alle Fälle stärken. Allerdings müssen wir auch sehen: Wir leben in einem schwierigen Zeitalter, auch in politischen Verhältnissen. Ich glaube, ich nehme jetzt mal einen etwas schwierigen Begriff. Ich glaube, dieses Identitäre, das steht wohl heute ganz stark im Vordergrund. Und das wäre natürlich der Tod der Ökumene.

Das Interview führte Jann-Jakob Loos.


Wolfgang Thönissen / © Harald Oppitz (KNA)
Wolfgang Thönissen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR