"Kirche in Not" zum Papstbesuch in Peru

Streben nach Einheit und Kampf gegen Elend

Zweite Länderstation der Südamerikareise von Papst Franziskus ist ab diesem Donnerstag Peru. Welche aktuelle Situation im Land ihn dort erwartet, erklärt der Lateinamerikareferent des Hilfswerks "Kirche in Not" im Interview.

Ordensfrau mit einer indigenen Einwohnerin im Bergland von Peru / © N.N. (KiN)
Ordensfrau mit einer indigenen Einwohnerin im Bergland von Peru / © N.N. ( KiN )

Kirche in Not: Wie in vielen Ländern des Subkontinents sind auch in Peru die prekären Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung und die Verelendung in den Vororten der Städte, Ausbeutung der Umweltressourcen, aber auch die Inkulturation des katholischen Glaubens sowie die Auseinandersetzung mit Sekten wichtige Themen. In welcher Verfassung findet Papst Franziskus die Kirche Perus bei seinem Besuch vor?

Marco Mencaglia (Lateinamerikareferent des weltweiten päpstlichen Hilfswerks "Kirche in Not"): Der Glaube ist in Peru tief verankert. Die volkstümliche Religiosität ist ein Schatz. Die Kirche ist vielerorts der einzige Anwalt und Anlaufstelle der überwiegend armen Bevölkerung. Um die Verhältnisse der Kirche in Peru zu beschreiben, muss man die große geografische Vielfalt des Landes berücksichtigen. Riesige Städte einerseits, gigantische Waldgebiete mit indigener Bevölkerung andererseits, schaffen unterschiedliche pastorale Herausforderungen.

Kirche in Not: Worin bestehen diese Herausforderungen?

Mencaglia: Die wichtigste ist wohl, Einheit zu schaffen. Das heißt auch, die Kirche Perus noch stärker in der Gesellschaft zu verwurzeln. Denn noch haben nicht überall die einheimischen Kleriker die volle Verantwortung. Gut die Hälfte der peruanischen Bischöfe kommt aus dem Ausland. Es gibt positive Erfahrungen der Evangelisierung in schwierigem Umfeld. Aber es bleiben zwei weitere Herausforderungen: Die Berufungspastoral verstärken und den Glauben vertiefen.

Kirche in Not: In welchem Bereich engagiert sich die katholische Kirche derzeit am stärksten?

Mencaglia: Eine Priorität liegt auf der Seelsorge für die Menschen in den Vororten der Großstädte. Hunderttausende Peruaner verlassen jedes Jahr die Bergregionen und ziehen in die Städte. Die Vororte dehnen sich immer weiter aus. Die Kirche Kämpft gegen Armut und Verelendung.

Sie setzt sich auch dafür ein, dass die Zuwanderer zu einer Gemeinschaft werden. Denn die Leute kommen ja aus verschiedenen Regionen und haben aufgrund der Arbeitssituation wenig Zeit, sich kennenzulernen. Das schafft dann wieder neue Probleme.

Kirche in Not: Und was tut die Kirche für die Menschen in den Bergregionen?

Mencaglia: In den entlegensten Dörfern, auf 4000 Metern Höhe oder im Amazonasgebiet, ist die Kirche oft die einzige Institution, die die Bewohner zu Gesicht bekommen. Diese Menschen zu erreichen ist von grundlegender Bedeutung. Eine Pfarrei betreut bis zu fünfzig entlegene Außenstellen. Der Besuch eines Priesters oder einer Ordensschwester ist dort ein echtes Ereignis!

Kirche in Not: Wie in vielen anderen Ländern Lateinamerikas verzeichnen Sekten und evangelikale Bewegungen ein großes Wachstum. Papst Franziskus hat mehrmals darauf hingewiesen. Eine "Konkurrenz" für die Kirche?

Mencaglia: Bei meinen Reisen nach Lateinamerika hatte ich immer den Eindruck, dass das Gefühl der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche sehr stark ist. Besonders in den ländlichen Gebieten konnte ich feststellen, dass gerade die volkstümlichen Frömmigkeitsformen wie Heiligenverehrung, religiöse Feste, Rosenkranz und Andachten den Glauben lebendig halten, obwohl die offizielle Präsenz der Kirche nur schwach ausgeprägt ist. Gleichzeitig haben die evangelikalen Sekten mit teilweise abstrusen Heilsversprechungen Fortschritte gemacht – vor allem in den Vororten der Städte. Dort ist das schwindelerregende Bevölkerungswachstum der Grund, warum die Kirche nicht mehr alle Menschen erreichen kann. Das ist eine große Zukunftsaufgabe: Die Familien wieder ansprechen, die den Kontakt zur Kirche verloren haben.

Kirche in Not: Dazu braucht die Kirche natürlich Personal …

Mencaglia: Das stimmt. Wenn in Europa als Optimum gilt, die Zahl der Priester und pastoralen Mitarbeiter in etwa auf dem gleichen Stand zu halten, dann reicht das in Lateinamerika nicht aus. Ein simpler Zahlenvergleich zeigt, warum: In Peru ist die Bevölkerung in den letzten 50 Jahren um 170 Prozent gewachsen, in den 28 Mitgliedsländern der Europäischen Union waren es im selben Zeitraum unter 20 Prozent. Darum unterstützt "Kirche in Not" zum Beispiel aktuell die Ausbildung von 650 peruanischen Priesteramtskandidaten in zwanzig Seminaren, die Ausbildung und den Unterhalt von Ordensschwestern und Katecheten.

Kirche in Not: Peru hat in den vergangenen Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Das Land war mehrmals Spitzenreiter in der Region, was die Wachstumsraten angeht. Hat sich dadurch auch die Situation der Einwohner gebessert?

Mencaglia: Das Wachstum verläuft in den Regionen des Landes keineswegs gleich. Wie schon angesprochen, sind die ländlichen Regionen weitgehend abgehängt. Immer mehr Menschen gehen von dort weg. Städte wie Lima und Arequipa wachsen unaufhörlich. Es gibt viele Familien, in denen Eltern ihre Kinder tagelang allein zu Hause lassen, um weit entfernt zu arbeiten. Diese traurige Realität führt zu einem Wachstum von Banden, Drogenhandel und Kriminalität. In Peru ist der Aufschwung von der Lebenswirklichkeit entkoppelt. Da gibt es kaum Verbesserungen. Und hier muss die Kirche natürlich einen wichtigen Beitrag leisten.

Das Interview führte Amélie Berthelin-de la Hougue.

 

Marco Mencaglia / © N.N. (KiN)
Marco Mencaglia / © N.N. ( KiN )

 

Taufe in einer Behelfskirche im peruanischen Amazonas-Gebiet / © N.N. (KiN)
Taufe in einer Behelfskirche im peruanischen Amazonas-Gebiet / © N.N. ( KiN )

 

Kinder einer katholischen Gemeinde in Lima lesen in der Kinderbibel von "Kirche in Not" / © N.N. (KiN)
Kinder einer katholischen Gemeinde in Lima lesen in der Kinderbibel von "Kirche in Not" / © N.N. ( KiN )
Quelle:
KiN