Kirchenhistoriker über den Häresievorwurf an Papst Franziskus

"Er setzt sich der Kritik aus"

Konservative Kritiker haben Papst Franziskus wegen seines Schreibens "Amoris Laetitia" Häresie vorgeworfen. Für den Kirchenhistoriker Prof. Hubert Wolf ist das eine neue Qualität der Auseinandersetzung, sagte er bei domradio.de

Gut gelaunter Papst Franziskus / © Andrew Medichini (dpa)
Gut gelaunter Papst Franziskus / © Andrew Medichini ( dpa )

domradio.de:  Darf man dem Papst Häresie, also von der Lehre abweichende Positionen, vorwerfen?

Prof. Dr. Hubert Wolf (Kirchenhistoriker an der Universität Münster): Das ist schon sehr ungewöhnlich. Natürlich gibt es in der Tradition der Kirche die Bestimmung über den häretischen Papst, von dem man sich distanzieren müsse. Aber man muss bedenken, dass man seit 1870 durch das Unfehlbarkeitsdogma und durch die Erfindung des Ordentlichen Lehramtes, wonach nicht nur Dogmen des Papstes, sondern alle seine Äußerungen in einer besonderen Weise verbindlich sind, nicht mehr einfach so hergehen und den Papst der Häresie bezichtigen kann.

Wenn also der Papst nach der alten Tradition der Kirche und dem Unfehlbarkeitsdogma von niemandem gerichtet werden darf, dann finde ich es schon etwas problematisch, dass die Konservativen jetzt nicht mehr zu dem von ihnen vorher eingeforderten Gehorsam bereit sind. In den letzten beiden Pontifikaten hatten sie jedem katholischen Theologen ständig einen Vorwurf gemacht, wenn gefragt wurde, ob eine bestimmte Lehre von zum Beispiel Johannes Paul II. möglicherweise anders zu interpretieren sei.

domradio.de: Müsste man dann diese Konservativen nicht zurechtweisen?

Wolf: Ich glaube schon, dass da eine Zurechtweisung dringend notwendig ist. Der Papst hat eine Beratung durch die Bischofssynode durchgeführt. Er hat sich nicht leichtfertig über Dogmen oder andere Dinge hinweggesetzt, sondern er hat versucht, eine authentische Interpretation von Aussagen des Lehramts der Kirche zu machen. Das ist genau seine Funktion nach 1870. Dass Franziskus auf so eine Zurechtweisung verzichtet, ist ja der Versuch, eine neue Form der Ausgestaltung des obersten Lehr- und Hirtenamtes in der Kirche zu installieren.

Hätten Kritiker sich das unter Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. herausgenommen, dann wären sie ganz schnell ihren Lehrstuhl losgeworden oder gar exkommuniziert worden. Interessanterweise sind dieses Mal die Fronten verkehrt. Bisher haben immer Linke den Papst kritisiert, weil er zu konservativ ist. Jetzt plötzlich kritisieren Rechte den Papst, weil er auf die seelsorgerischen Herausforderungen der Menschen zu sehr eingeht. Das finde ich einen spannenden Punkt.

domradio.de: Also so lange es Päpste gibt, wird es auch Kritiker aus verschiedenen Lagern geben?

Wolf: Ja, sie kommen aus verschiedenen Lagern. Nur waren wir in den letzten 150 Jahren eher gewohnt, dass die Kritik von links kommt. Und wer von rechts kritisiert hat, ist am Ende dann aus der Kirche herausgegangen. Lefebvre zum Beispiel hat einige Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils wie beispielsweise die Religionsfreiheit kritisiert und sich dann von der Kirche getrennt.

domradio.de: Sehen Sie durch diese Grabenkämpfe die Autorität des Papstes gefährdet?

Wolf: Ich glaube schon, dass man über die Autorität des Papstes diskutiert. Er hat die Erwartungen sehr hoch gelegt. Jetzt hat er mit dem Schreiben "Amoris Laetitia" ganz vorsichtige Reformen begonnen. Manche haben sich wesentlich mehr erwartet. Und die Autorität des Papstes wird nicht stärker dadurch, dass er kritisiert wird.

Und deshalb finde ich interessant, dass sich jetzt die andere Seite zu Wort meldet und versucht, den Papst zu unterstützen. Denn, was hätten andere Päpste vor Franziskus gemacht? Sie hätten die Kritiker einfach herausgeschmissen. Und das tut der Papst nicht. Und das, finde ich, ist auch ein Zeichen von Stärke. Er greift nicht zu harten disziplinarischen Maßnahmen, sondern er setzt sich der Kritik aus. 

domradio.de: Gab es denn schon früher so eine Kritik an Päpsten?

Wolf: Natürlich gab es Kritik an Johannes Paul II. und seinen Äußerungen. Aber nie in dem Sinne, dem Papst Häresie zu unterstellen. So wurde zum Beispiel gesagt, die Lehre von Johannes Paul II. sei möglicherweise in Hinblick auf die Unmöglichkeit der Priesterweihe von Frauen schwierig. Da gab es ja theologische Proteste.

Aber es hätte sich nie jemand herausgenommen zu sagen: wir werfen dem Papst Häresie vor. Was dahinter steckt, ist schon klar: nach der alten Tradition im Kirchenrecht verliert ein häretischer Papst sein Amt von selbst. Das ist der letzte Hintergrund, auf den diese Argumentation der Konservativen zielt. Wenn ein Papst häretisch ist, kann er nicht Papst sein. Das ist schon eine neue Qualität in der Auseinandersetzung.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR
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