Beethovens Botschafterin, Richard Wagners und Franz Liszts Erbin Nike Wagner wird 75

"Keine Lust auf Geburtstagstrubel"

Zu ihren Ahnen zählen Franz Liszt und Richard Wagner. Das kann Fluch und Segen zugleich sein, wie Nike Wagners Auseinandersetzung mit ihren Wurzeln zeigt. Längst hat die Intendantin einen eigenen Namen im Kunstkosmos.

Nike Wagner, Intendantin des Beethovenfestes / © Harald Oppitz (KNA)
Nike Wagner, Intendantin des Beethovenfestes / © Harald Oppitz ( KNA )

Das Jahr 2020 hätte in Nike Wagners Karriere ein Höhe- und Schlusspunkt werden können: Ihre Zeit als Intendantin des Beethovenfests Bonn wäre durch die Jubiläumsfeiern für den Komponisten gekrönt worden. Doch statt Elysium kam Corona. Und selbst ihren 75. Geburtstag am 9. Juni würde die Nachfahrin von Franz Liszt und Richard Wagner am liebsten vergessen.

"Wer hat Lust auf Geburtstagstrubel, wenn das Kulturleben ringsum auf Null gestellt wird? Von schwerwiegenderen Dingen ganz zu schweigen", sagt sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Ich lasse meinen Geburtstag einfach ausfallen." Stattdessen blickt sie auf 2021: "Der kleine persönliche Zahlenschwindel sei gestattet!"

Auseinandersetzung mit dem Ahnen

Schließlich wurden auch die Feiern zu Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag um zehn Monate verlängert - genau wie Wagners Vertrag. Nun bleibt sie bis 31. Oktober 2021 Intendantin jenes Festes, das ihr Ururgroßvater Franz Liszt 1845 ins Leben rief. "Es hat Liszt geärgert, dass die Bonner offenbar nichts zustande bringen würden zu Beethovens 75. Geburtstag, deshalb nahm er die Sache in die Hand", umreißt Wagner das Engagement ihres Ahnen für eine Festhalle und ein Denkmal zu Ehren Beethovens. Ein Erbe, dem sich die Musik-, Theater- und Literaturwissenschaftlerin mit Leidenschaft widmet - wenn auch nicht ganz ohne Verwerfungen.

Geboren am 9. Juni 1945 in Überlingen am Bodensee, wuchs Nike Wagner in der "Villa Wahnfried" ihres Urgroßvaters Richard Wagner in Bayreuth auf. Ihre Eltern waren die Tänzerin und Choreografin Gertrud Reissinger (1916-1998) und der Regisseur Wieland Wagner (1917-1966). Ihm kam es zu, gemeinsam mit seinem Bruder Wolfgang (1919-2010) die Bayreuther Festspiele neu zu erfinden und auch Verquickungen mit dem Nationalsozialismus aufzuarbeiten - ein Thema, mit dem sich Nike Wagner eingehend auseinandergesetzt hat, etwa in ihren Büchern "Wagner Theater" und "Über Wagner".

Nach dem frühen Tod Wielands führte Wolfgang Wagner allein das Zepter auf dem "Grünen Hügel". Immer wieder machte Nike, die unter anderem in Berlin, Paris, Wien und den USA studierte und mit einer Arbeit über Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne promoviert wurde, ihren Anspruch auf Beteiligung an der Festspielleitung geltend. Doch - ob durch Entscheidungen von Findungskommissionen oder Ränke des "Wagner-Clans" - es kam anders.

Eigener Weg

Nike Wagner schlug als Publizistin und Kulturwissenschaftlerin einen eigenen Weg ein. Unter anderem wurde sie 1999 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 2003 Sachverständige der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages und 2012 Honorarprofessorin der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Von 2004 bis 2013 war sie Intendantin des Kunstfestes Weimar, gab ihm den Titel "Pelerinages" ("Pilgerfahrt") und widmete es Franz Liszt. Für ihre Dramaturgie, die Zusammenspiel von Musik, Tanz, Bild und Wort künstlerische Maßstäbe gesetzt habe, erhielt sie 2013 den Thüringer Verdienstorden.

Auch beim Internationalen Beethovenfest, das sie seit 2014 leitet, bringt Nike Wagner gekonnt verschiedene Kunstgattungen zusammen. Allerdings hat sie damit zu kämpfen, dass Bonn eine große, angemessene Spielstätte fehlt. Die Sanierung der Beethovenhalle ist vielleicht erst zum 200. Todestag des Meisters im Jahr 2027
abgeschlossen, wie böse Zungen behaupten. Und statt eines neuen Festspielhauses, das vor Jahren an diversen Widerständen in der Stadtgesellschaft scheiterte, weicht man seit 2017 ins World Conference Center Bonn (WCCB) aus; ein Kongresszentrum, das bei aller Bemühung weder Akustik noch Atmosphäre eines klassischen Konzertsaales bietet.

Kritik wegen fehlender Nachfrage 

Obendrein gab es Kritik an der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Intendanz. Die hohe Auslastung des Festivals sei seit Beginn ihrer Amtszeit zurückgegangen, hieß es. Bonn wolle es gemütlich und althergebracht, kritisierte ihrerseits Nike Wagner. Zum Beethoven-Jubiläum scheinen jedoch die Wogen geglättet, die Bonner sind stolz auf ihren großen Sohn und seine Botschafterin.

Zu ihrem - ausgefallenen - Geburtstag dürfte Nike Wagner damit beschäftigt sein, möglichst viel des geplanten Programms von 2020 ins kommende Jahr hinüberzuretten. "Das wäre der Traum!", sagt sie. "Er wird aber wohl nur teilweise zu realisieren sein."

Dass sie sich mit Herz und Hirn, Eloquenz und Erfahrung für die Musik einsetzt, mag auch mit ihrer künstlerischen Prägung als "eine Wagner" zu tun haben - auch ihre Tochter Louise ist Tänzerin, Choreografin und Bühnenbildnerin. "Natürlich ist das Erbe eine Herausforderung, natürlich gibt es die 'Dynastie' und den unsichtbaren Leistungsanspruch", sagt Nike Wagner, "Dem versuche ich, auf meine Weise gerecht zu werden."

Von Sabine Kleyboldt


Quelle:
KNA
Mehr zum Thema