Wie die Filmbranche versucht, dem Corona-Stillstand zu trotzen

Der Ausnahmezustand als Normalfall

Viele Soloselbstständige im Kulturbetrieb sind durch die Corona-Krise in ihrer Existenz bedroht. Ein Stimmungsbericht über Kreative und ihre Versuche mit dem Stillstand umzugehen.

Autor/in:
Sofia Glasl
Kinosaal / © VDB Photos (shutterstock)

Social Distancing bedeutet für die Filmwelt nicht nur, dass Kinos geschlossen sind und Festivals abgesagt werden, sondern dass eine ganze Branche bedroht ist. Zwischen Unsicherheit, Existenznot und vorsichtigen Experimenten kämpfen viele Solo-Selbstständige, die den Kulturbetrieb normalerweise am Laufen halten, mit den Paradoxien der Krise.

Momentan prägt eine tiefe Unsicherheit die Stimmung. Wann und wie es weitergehen kann, steht in den Sternen. Viele scheuen davor zurück, über ihre Situation zu sprechen, auch aus Sorge, Auftraggeber zu vergraulen und ihre wackelige Existenz noch weiter zu gefährden.

"Als Produzent gehört das Meistern von Krisen ja mit zum Beruf", sagt Sol Bondy. Der Produzent feierte noch im Februar auf der Berlinale mit "Persischstunden" eine fulminante Premiere. Weitere Festivals sollten folgen, der Kinostart war für Mai geplant; der Film ist bereits in die USA verkauft. Das wirkt nun wie aus einer anderen Zeit; alles ist auf unbestimmt verschoben. "Der Film hat wirklich die Arschkarte gezogen", so Bondy.

Die Krise ist Neuland

Doch er ist nicht nur pessimistisch. Seine Firma One Two Films arbeitet normalerweise an fünf bis acht Projekten gleichzeitig, jedes in einer anderen Produktionsphase. Da bleibt weiterhin viel zu tun: "Natürlich ist eine Krise, die alle betrifft, Neuland. Aber jedes Problem und jede Krise in einem Projekt ist ja meistens so bekloppt, dass man sich das gar nicht ausdenken hätte können. Der große Unterschied ist, dass jetzt plötzlich alle Verständnis haben."

Vor allem die Förderinstitutionen leisteten gerade großartige Arbeit - im Tagesgeschäft und durch die Organisation eines Hilfsfonds mit 15 Millionen Euro. Zudem seien sie bei der Abwicklung laufender Förderprojekte sehr flexibel. Schwieriger sieht der Produzent die internationalen Co-Produktionen, und auch der Filmstart von "Persischstunden" wird zum Vabanquespiel. Ein Umschwenken auf einen digitalen Kinostart sei aber keine Option: "Wir hatten eine glorreiche Premiere und schon Zusagen von 120 Leinwänden - das wäre verschenkt."

Jakob Kijas vom Münchner eksystent Filmverleih hat den digitalen Kinostart gewagt - auch um die Kinobetreiber nicht aus der Verwertungskette auszuschließen, wie das bei den gängigen Streaminganbietern der Fall ist. Deshalb verlegte er den für April geplanten Start von "Isadoras Kinder" auf die Streamingplattform "Kino on Demand", die Einnahmen mit den Kinos teilt.

Veröffentlichung "on Demand"

"Viele Kollegen müssen überlegen, welche Filme sie nicht ins Kino bringen, sondern direkt auf Video on Demand veröffentlichen, weil es in der zweiten Jahreshälfte einen immensen Filmüberschuss geben wird", betont Kijas. Denn die Anzahl der Leinwände ist begrenzt. Das mache es für Independent-Produktionen besonders schwer, bei der Wiederöffnung der Kinos ein Publikum zu finden, selbst wenn sie auf renommierten Festivals Preise gewonnen haben wie "Isadoras Kinder", der 2019 in Locarno für die beste Regie ausgezeichnet wurde.

Deshalb sei es sowohl für den Film als auch für die beteiligten Kinos besser, jetzt möglichst viele Zuschauer anzusprechen, als dann Gefahr zu laufen, in der Flut der Wiederöffnung unterzugehen. Für einen kleinen Ein-Personen-Verleih wie eksystent ist ein digitaler Kinostart natürlich ein Wagnis. Vier bis fünf Filme bringt Kijas im Jahr heraus; neben dem Verleihgeschäft betreut er freiberuflich andere Projekte in der Filmbranche, um sich den Lebensunterhalt zu finanzieren. Das führt aktuell zu einer "100-prozentigen Zwangspause". Wie so viele Soloselbstständige hat er die Soforthilfe beantragt.

"Job-Patchwork" ist für viele Soloselbstständige in der Branche Alltag und hat momentan vielfältige Auswirkungen. Die in Berlin lebende Schauspielerin und Moderatorin Tania Carlin ist froh, selbstständig zu sein, da sie auf diese Weise meist mehrere Projekte gleichzeitig verfolgt und nicht von einem einzigen Auftraggeber abhängig ist.

Staatliche Unterstützung

Ihre kleinteilige Auftragslage als Moderatorin für Filmfestivals, Schauspielerin für Fernsehen und Theater sowie als Schauspiellehrerin habe ihr ein engmaschiges Sicherheitsnetz geschaffen. Das gebe ihr die Gelassenheit, sich um ihre Existenz erst einmal keine Sorgen machen zu müssen, obwohl sie mit einem Auftraggeber noch um die Bezahlung ringe.

Generell fühlt sich Carlin von den staatlichen Maßnahmen gut beschützt - ihr Antrag auf Soforthilfe sei innerhalb weniger Tage genehmigt und das Geld auch direkt überwiesen worden. Es ist ihr bewusst, dass sie sich damit glücklich schätzen kann; denn es gebe durchaus Kollegen, die sich um Förderung erst bemühten, als der Topf schon leergeräumt war.

Filmemacherin Sophie Kluge empfindet die erzwungene Pause im Hinblick auf ihr Schreiben als Paradoxie: "Momentan existiert kein strenger Schaffensdruck, weil ja Corona-Krise ist. Da ist man um alles froh, was man schafft." Andererseits hemme sie die aktuelle Situation aber auch beim Scheiben.

Kein Corona-Projekt

Ein Corona-Projekt, wie einige Kollegen es direkt in Angriff genommen hätten, kann sich Kluge nicht vorstellen. "Ich merke beim Schreiben, dass ich alles, was ich schon geschrieben habe, als veraltet empfinde. Jede Szene, in der Menschen miteinander auf Tuchfühlung gehen, kommt mir irgendwie komisch vor. Muss ich das der momentanen Situation anpassen? Das ist ja das Verrückte: Man weiß nicht, wie die Geschichte ausgeht."

Diese Zweischneidigkeit findet sie sehr bezeichnend für die aktuelle Situation zwischen Stagnation und Innehalten. "Wir können nur bedingt kontrollieren, welche Seite die Oberhand gewinnt." Kluges Film "Golden Twenties" lief im Herbst 2019 im Kino und ist gerade digital erschienen. Auch für sie ist es normal, sich als Drehbuchautorin und Regisseurin von Projekt zu Projekt zu hangeln. Momentan verfolgt sie zwei Schreibprojekte, die noch "normal" weiterlaufen. Drehbücher entstehen in mehreren Entwicklungsphasen und werden entsprechend in Schritten bezahlt; deshalb brechen für Kluge akut noch keine Einnahmen weg.

Moment des Innehaltens

Für das Kino wünscht sich Kluge, dass die Krise ein Moment des Innehaltens wird: "Wir alle vermissen das Kino, aber wir müssen uns bewusst darüber werden, was genau wir vermissen, und für welche Form von Filmen und Erfahrungen wir es brauchen." Dann könnte vielleicht auch die scheinbar verfahrene Situation zwischen Kino und Streaming klarer betrachtet werden. "Aus der Not heraus werden momentan viele Sachen ausprobiert, die man vorher nicht ausprobiert hätte, weil man ja noch alle Möglichkeiten hatte. Vielleicht funktionieren manche Online-Formate tatsächlich besser; das muss man ausprobieren. Kino und Streaming müssen einander nicht ausschließen."

Wie ein für das Kino und die digitalen Formate gewinnbringendes Nebeneinander nach der Coronakrise aussehen kann, wagt aber keiner der Gesprächspartner zu beantworten. Dafür ist es möglicherweise auch noch zu früh. Deutlich wird aber, dass die Krise nicht nur die oftmals schwierigen Beschäftigungsverhältnisse in der Branche offenlegt, sondern auch die Notwendigkeit eines Dialogs aufzeigt, der die Grenzen, Facetten und Möglichkeiten von Film, Kino und Streaming auslotet und offen diskutiert.


Quelle:
KNA