Zweitausend Besucher beim Brandauer-Abend im Kölner Dom

"Der Kuss brennt ihm im Herzen"

Der Schauspieler Klaus Maria Brandauer hat am Mittwochabend im Kölner Dom den "Großinquisitor" aus der gleichnamigen Erzählung von Dostojewski gegeben. Die Lesung hat gefesselt - weil Brandauer sich ganz auf Wort und Sprache konzentriert hat.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Klaus Maria Brandauer im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Klaus Maria Brandauer im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Den Greis mit seinen fast 90 Jahren, hochgewachsen und gerade, mit vertrocknetem Gesicht und eingesunkenen Augen, in denen aber noch ein schwaches Feuer glimmt – man hört ihn reden, als stünde er leibhaftig mitten in diesem erhabenen Kirchenraum mittelalterlicher Baukunst. Unaufhaltsam, nicht enden wollend spricht er mit immer wortgewaltigeren Anklagekaskaden, redet sich in Rage und von der Seele, was sich da aufgestaut hat an Unmut in langer Zeit seit Anbeginn des Christentums.

"Er trägt nicht die prächtigen Kardinalsgewänder, in denen er am Vortag prunkte, als die Feinde des römischen Glaubens verbrannt wurden", heißt es in der Erzählung "Der Großinquisitor" von Fjodor Dostojewski. "Nein, in diesem Augenblick trägt er nur seine alte grobe Mönchskutte" – die finsteren Gehilfen und Knechte im Gefolge, ein böses Feuer in seinem Blick. Der imaginäre Schauplatz ist ein düsterer Kerker: das Gefangenenverließ für verfolgte Aufständische und Schwerverbrecher zur Zeit der Heiligen Inquisition.

Brandauer hat die Rolle des Großinqisitors verinnerlicht

Unaufgeregt, mit Bedacht, mitunter einzelne Worte verkostend und ohne große Gesten gibt diesem Kardinal-Großinquisitor Klaus Maria Brandauer an diesem Mittwochabend im Altarraum des Kölner Domes seine Stimme und haucht ihm Leben ein. Auch er – der österreichische Burgschauspieler von Weltruhm, der an einem Tisch neben dem Ambo vor einem großen aufgeschlagenen Buch sitzt – monologisiert, verinnerlicht die Rolle des keinen Widerspruch duldenden Redners und ereifert sich so lediglich in immer wieder neuen Begründungen zur vorgetragenen Absichtserklärung, auch Jesus – wie die vielen Märtyrer unmittelbar zuvor – auf dem Scheiterhaufen verbrennen zu wollen.

Brandauer gibt den Repräsentanten institutioneller Kirchenmacht, der kurzen Prozess machen will mit jemandem, der seiner Autorität und dem unbedingten Willen zum Machterhalt Liebe, Charisma und letztlich eine kleine, aber wirkmächtige Geste der Zärtlichkeit entgegensetzt: den berühmten Kuss Jesu, mit dem dieser sein beredtes Schweigen besiegelt und der in der Dramaturgie der Dostojewskischen Parabel den eigentlichen Höhepunkt markiert.

Konzentration auf Wort und Sprache

Brandauer, der auf Einladung der lit.Cologne, des Kölner Stadt-Anzeigers, sowie mit ausdrücklicher Zustimmung des Domkapitels im Kölner Dom vor vollbesetzten Kirchenbänken auftritt, sorgt für gebannte Stille. Es sind die bewusste Zurücknahme aller mimischen Möglichkeiten –  die der Akteur zweifelsohne abrufen könnte, das spürt man – und die selbst auferlegte Reduktion auf bloßes Rezitieren, womit er eine geradezu feierliche Konzentration auf das Wesentliche schafft: die eindrückliche Macht des Wortes und der Sprache.

Der Ausnahme-Mime versteht sich hier ganz und gar im Dienst der Literatur. Dafür ist er nach Köln gekommen, und das will er gut machen, "mehr als gut", wie er vorab in einem Interview erklärte. Und er freut sich, an diesem besonderen Ort lesen zu dürfen – auch das spürt man –, um an einer, wie er sagt, "wichtigen Handlung beteiligt zu sein".

Keine Selbstinszenierung

Dass ihm das gelingt, bleibt bis zum Ende seines Vortrags unbestritten. Da inszeniert sich niemand selbst, auch wenn der prominente Gast den letzten, geradezu magischen Moment seiner Lesung erwartungsgemäß zelebriert. Mit einer kurzen Pause leitet Brandauer die alles entscheidende Sequenz ein, in der Jesus auf den Großinquisitor zugeht, ihn auf die "blutleeren welken Lippen" küsst.

Und bevor sich begeisterter Applaus Bahn bricht, entlässt er die Zuhörer nach einer gleichermaßen fesselnden wie berührenden Lesung mit dem finalen Satz: "Der Kuss brennt ihm im Herzen."

Dompropst Bachner: Keine Angst vor Fragen

Nur vordergründig sei Dostojewskis "Großinquisitor" kirchenkritisch, hatte Dompropst Gerd Bachner in seiner Begrüßung zur diesjährigen Domlesung angemerkt. "Er ist ein visionärer Blick auf die Herrschaftsmechanismen aller ideologisch verbrämten Diktaturen, die als Pseudoreligionen im 20. Jahrhundert erst noch folgen sollten." In diesem Text gehe es um die menschliche Freiheit, mit der der Mensch – aus Sicht des Inquisitors – überfordert ist. "Hier wird die Spannung zwischen Schweigen und Reden, Hass und Liebe, Freiheit und Überforderung offenbar."

Umso wichtiger sei, fügt der Hausherr des Domes später noch hinzu, auch in einem Raum wie dem Kölner Dom die menschlichen Grundfragen, auch die nach der eigenen Gottesbeziehung, zu stellen und die Türen weit dafür zu öffnen. Ganz wunderbar sei im Dom dieser Text, der mit den eigenen Zweifeln konfrontiere, zum Klingen gekommen.

"Es ist mein Grundverständnis von Glaube und Kirche, dass wir keine Angst vor Fragen – welcher Art auch immer – haben", betonte Bachner. Nur so könne es auch Antworten geben. "Dieser Abend war wie eine einzige große Meditation und lädt uns, die wir Boten Gottes sein sollen, auf einen Weg ein, sich auf den Dialog mit dem wiederkehrenden Christus einzulassen."


Bei der Lesung im Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Bei der Lesung im Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dompropst Bachner / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dompropst Bachner / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Weihbischof em. Melzer, Prälat Assenmacher, Dompropst em. Feldhoff / © Beatrice Tomasetti (DR)
Weihbischof em. Melzer, Prälat Assenmacher, Dompropst em. Feldhoff / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR