Debatte um einen neuen NS-Gedenkort nimmt an Fahrt auf

Erinnerung, Dokumentation und Dialog

Zwei Briefe haben neue Dynamik in eine Debatte gebracht, die zwischenzeitlich festgefahren schien. Es geht um einen Erinnerungsort für die Opfer deutscher Besatzungsherrschaft in Europa während des Zweiten Weltkriegs.

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus / © Stefan Jaitner (dpa)
Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus / © Stefan Jaitner ( dpa )

Ciepielow, Polen: Deutsche Soldaten erschießen am 8. September 1939 rund 250 polnische Kriegsgefangene. Leningrad, Sowjetunion: Die Wehrmacht und ihre Verbündeten hungern zwischen 1941 und 1944 die Millionenmetropole aus. Asq, Frankreich: Angehörige einer SS-Division ermorden in der Nacht vom 1. auf den 2. April 1944 in einem Racheakt 86 Zivilisten. Während des Zweiten Weltkriegs brachten die Deutschen Tod und Terror über weite Teile Europas.

Im Osten des Kontinents hatte die Gewalt "systemischen Charakter", wie der Bonner Historiker Martin Aust sagt. "Der Tod von Millionen Menschen wurde billigend und bewusst in Kauf genommen, um in diesen Regionen, so sah es der 'Generalplan Ost' vor, später einmal deutsche Volksgenossen anzusiedeln." Während in Berlin inzwischen zentrale Gedenkstätten etwa an den Holocaust oder die ermordeten Sinti und Roma erinnern, fehlt ein Platz, an dem der Folgen der deutschen Besatzung gedacht wird.

Idee des polnischen Außenministers

Der Auschwitz-Überlebende und ehemalige polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski (1922-2015) war einer der ersten, der die Idee einer Erinnerungsstätte für die polnischen Opfer des Krieges ins Spiel brachte. Ein Gedanke, den auch eine Initiative um den ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, Florian Mausbach, und den damaligen Leiter des Deutschen Polen-Instituts, Dieter Bingen, vorbrachte.

Dem gegenüber stand ein unter anderen von Peter Jahn, ehemals Direktor des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst, formuliertes Konzept, das ein gemeinsames Gedenken an alle Opfer der deutschen Besatzungspolitik im Osten Europas vorsah. Dieses Ansinnen griffen Aust, sein Berliner Kollege Heinrich August Winkler und die Konstanzer Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann unlängst in einem Brief an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble auf und erweiterten es zu einem "Ort der Dokumentation deutscher Besatzungsherrschaft in ganz Europa und des Gedenkens an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs insbesondere in Polen und der Sowjetunion".

Kompromissvorschlag

Seit Mittwoch gibt es einen Kompromissvorschlag. Das Deutsche Polen-Institut und die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas werben in einem Brief an die politischen Entscheidungsträger in Bundestag und Regierung für einen "Gedenkort an den Überfall auf Polen und ein Dokumentationszentrum deutsche Besatzungsherrschaft in Europa". Er soll die Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg dokumentieren, daran erinnern und Möglichkeiten der Begegnung und des wissenschaftlichen Austauschs bieten. Über den genauen Standort macht das Schreiben keine Angaben. Zuletzt war dafür häufiger der Askanische Platz unweit der Kriegsruine des Anhalter Bahnhofs im Gespräch.

So oder so liegt der Ball endgültig im Feld der Politik. Die SPD-Bundestagsabgeordete Marianne Schieder zeigte sich erfreut darüber, "dass jetzt neue Bewegung in die Diskussion gekommen ist". Sie ist die zuständige Berichterstatterin ihrer Fraktion und will mit der Union noch vor den Sommerpause einen Antrag zu einem Gedenkort für alle Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungskriege in Europa erarbeiten.

Gemeinsamer Erinnerungsort

Im Koalitionsvertrag von SPD und Union heißt es zu dem Thema: "Wir stärken in der Hauptstadt das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten im Dialog mit den osteuropäischen Nachbarn." Bei CDU und CSU scheint es allerdings Vorbehalte gegen einen gemeinsamen Erinnerungsort für alle Opfer zu geben. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass Bundestagspräsident Schäuble als Befürworter des Polen-Denkmals gilt.

"Angesichts des besonderen Charakters der deutsch-polnischen Geschichte mit dem Tiefpunkt der deutschen Besatzung und Kriegführung in Polen zwischen 1939 und 1945 braucht Deutschland einen eigenen Ort des Erinnerns und der Begegnung", zitierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Mittwoch) Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU).

Historiker Aust dagegen begrüßt den Kompromiss grundsätzlich. Allerdings müsse der geplante Gedenkort die "Vernichtungserfahrungen" etwa in Belarus, der Ukraine, Russland und der Sowjetunion ausdrücklich erkennen lassen.


Quelle:
KNA