Ex-Bundespräsident Walter Scheel vor 100 Jahren geboren

Lebensfroh und knallhart

Er war nach Theodor Heuss der zweite FDP-Politiker als Staatsoberhaupt der Bundesrepublik. Populär wurde er vor allem mit einem deutschen Volkslied. Am Montag vor 100 Jahren wurde Walter Scheel geboren

Autor/in:
Christoph Arens
Walter Scheel 1962 in Köln / © KNA-Bild (KNA)
Walter Scheel 1962 in Köln / © KNA-Bild ( KNA )

"Hoch auf dem gelben Wagen..." - Älteren Bundesbürgern, auch denjenigen, die sich wenig für Politik interessieren, fällt bei Walter Scheel das Volkslied ein, das der FDP-Politiker 1973 zusammen mit Düsseldorfer Männergesangvereinen für die Aktion Sorgenkind aufnahm und damit die Hitparade eroberte. Allein bis zum Frühjahr 1974 wurde die Platte über 300.000 Mal verkauft.

Fröhlichkeit, Lebensfreude, Stil: Das war die eine Seite des FDP-Politikers und vierten Bundespräsidenten, der am Montag vor 100 Jahren in Solingen geboren wurde. Zugleich war der Sohn eines Stellmachers ein gewiefter Politiker, der etwa die Wende der FDP zu einer sozialliberalen Partei und die Abnabelung von der Union knallhart durchsetzte.

"Weltsozialpolitik im eigenen Interesse"

Scheel war von 1961 bis 1966 erster Entwicklungsminister der Bundesrepublik. Er habe "mit den Grundstein dafür gelegt, dass Deutschland zu einer profilierten und geachteten Stimme für Frieden und Gerechtigkeit geworden ist", würdigte ihn seine Amtsnachfolgerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) zu seinem 90. Geburtstag. Scheels Definition von Entwicklungspolitik als "Weltsozialpolitik im eigenen Interesse" sei immer noch gültig.

"Liberal sein bedeutet, immer auch offen sein für Veränderungen", so formulierte er selber in seinem Buch "Erinnerungen und Einsichten".

Folgerichtig gehörte Scheel zu den sogenannten Jungtürken, die den Koalitionswechsel der FDP in Nordrhein-Westfalen von der CDU zur SPD einleiteten. 1969 wagte er als FDP-Vorsitzender (seit 1968) auch im Bund die sozial-liberale Koalition.

Der erste deutsche Ausßenminister in Israel

Anfang der 1970er Jahre gehörte er mit Werner Maihofer und Karl-Hermann Flach zu den Autoren der Freiburger Thesen, des neuen Grundsatzprogramms der FDP. Damit vollzogen die Liberalen die Wende von einem Wirtschaftsliberalismus zu einem sozialen Liberalismus, der auch soziales Engagement ermöglichen sollte. Leitbild war ein Freiheitsbegriff, nach dem die Fähigkeiten des Menschen zu selbstständigen Entscheidungen nicht im Widerspruch zu Gemeinschaft, Mitmenschlichkeit und demokratischer Partizipation stehen.

Als wichtigste Leistung betrachtete Scheel, von 1969 bis 1974 Außenminister und Vizekanzler in der Regierung Brandt, die Durchsetzung der neuen Ost- und Entspannungspolitik. Als erster deutscher Außenminister besuchte er 1970 Israel, das 1965 diplomatisch anerkannt worden war.

Als Bundespräsident von 1974 bis 1979 repräsentierte er die Bundesrepublik in einer der bewegtesten Phasen der Bonner Republik:

In der Hochzeit des RAF-Terrorismus habe sich Scheel maßgeblich dafür eingesetzt, "dass Rechtsstaat und freiheitliche Demokratie nicht vor ihren Gegnern kapitulierten", erklärte Bundespräsident Joachim Gauck nach Scheels Tod am 24. August 2016. In diese Zeit fielen allerdings auch Berichte, nach denen Scheel Mitglied der NSDAP gewesen sei. Laut einem Artikel in der "Zeit" vom 17. November 1978 ließ er mitteilen, dass er nicht mehr wisse, ob er einen Antrag gestellt habe, seine Mitgliedschaft aber geruht habe.

Neutestamentliche Textforschung, Sprache und Dichtung

Scheels Zeit als Bundespräsident war auch durch das soziale Engagement seiner zweiten Frau Mildred geprägt, der Gründerin der Deutschen Krebshilfe. Auch nach seiner Amtszeit als Staatsoberhaupt engagierte sich der FDP-Politiker für die Europäische Bewegung und die Kunst.

So wurde der Protestant Vorsitzender des Kuratoriums der Hermann Kunst-Stiftung zur Förderung der neutestamentlichen Textforschung, das die Arbeit des Instituts für Neutestamentliche Textforschung in Münster fördert. 1979 wurde er Ehrenmitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Kurz nach seinem Tod würdigten auch die Kirchen Scheels Verdienste.

Die von ihm eingeleitete Entspannungspolitik zum Osten sei entscheidend gewesen, um alte Gräben zu überwinden und ein dauerhaft friedvolles Europa aufzubauen, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. "In dieser Annäherung von Ost und West haben wir dem Verstorbenen viel zu verdanken. Das haben wir immer wieder in den Gesprächen mit unseren kirchlichen Schwestern und Brüdern im Osten erfahren."


Quelle:
KNA