Wie die Kirchen auf die Krawalle in Chemnitz reagieren

"Wir sind wirklich relativ ratlos im Moment"

Als die Demonstration in Chemnitz eskalierte, haben die Kirchen ein Friedensgebet abgehalten. "Wir versuchen, darauf zu reagieren. Aber es gibt in der Stadt ganz wenige Christen", sagt Propst Rehor im Interview. 

Blumen und Kerzen in Chemnitz / © Jan Woitas (dpa)
Blumen und Kerzen in Chemnitz / © Jan Woitas ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Situation in den vergangenen Tagen verfolgt?

Clemens Rehor (Propst an der Propstei St. Johannes Nepomuk in Chemnitz): Die Stadt feiert gerade 875 Jahre Bestehen. Am Sonntag haben wir einen festlichen ökumenischen Gottesdienst mit dem evangelischen und katholischen Bischof gefeiert. Dabei war auch die Oberbürgermeisterin, die sich nicht zum christlichen Glauben bekennt, aber sehr tolerant ist. Sie und wir haben nicht gewusst, dass dieser Mord passiert ist! Sonst hätten wir das natürlich in den Gottesdienst aufnehmen können. Es war früh am Morgen.

Was passiert ist, kann man noch nicht richtig verstehen. Wir hatten am 1. Mai eine große Kundgebung von Rechtsradikalen aus ganz Deutschland, aber da waren weniger Menschen als jetzt Montag. Es muss hier irgendetwas passiert sein, dass wir erstmal erklären müssen.

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie reagiert?

Propst Rehor: Die christlichen Gemeinden haben sich gestern sofort in der Jakobikirche zu einem Friedensgebet zusammengefunden. Wir versuchen, darauf zu reagieren. Aber es gibt in der Stadt ganz wenige Christen. Trotzdem gibt es gute Ansätze und viele geistliche Gemeinschaften, die versuchen, soviel wie möglich zu bewirken. 6.000 Katholiken auf 247.000 Einwohner sind natürlich auch eine relativ schwache Stimme.

DOMRADIO.DE: Wird diese Stimme denn gehört?

Propst Rehor: Ich bin davon überzeugt, dass die Protestierenden nicht nur Chemnitzer waren. Aber das muss man mit Abstand betrachten. Wir versuchen momentan die Menschen zu beruhigen, zu beten und zu segnen.

DOMRADIO.DE: Mehr geht nicht?

Propst Rehor: Wir sind wirklich relativ ratlos im Moment. Uns Christen bleibt, den Menschen zu erklären, dass sie von Gott geliebt sind und sich deshalb auch nach Möglichkeit gegenseitig zu lieben.

Die Heilige Teresa von Avila hat von drei Formen der Gnade gesprochen: Jeder Mensch ist von Gott geliebt. Diese Gnade bekommt jeder, ob er will oder nicht. Die zweite Gnade ist, dass ich weiß, dass ich von Gott geliebt bin. Und die dritte Gnade ist, dass der andere, der mich trifft, sagt: "Dieser Mensch ist von Gott geliebt." Und das ist die einzige Chance, mit der wir in die Gesellschaft hineinwirken können. Trotz unserer geringen Möglichkeiten.

Das Gespräch führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR