Koalitionsspitzen befassen sich mit Asylpolitik

Gabriel warnt

Der Ex-SPD-Chef ist maximal irritiert. "Sind die völlig wahnsinnig?", fragt Sigmar Gabriel angesichts des Asylstreits in der Regierung und vermutet dahinter einen Rachefeldzug. CSU-Vertreter geben sich moderater, bleiben in der Sache aber hart.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) / © Kay Nietfeld (dpa)
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) / © Kay Nietfeld ( dpa )

Unmittelbar vor einem Treffen der Koalitionsspitzen hat der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel vor unkalkulierbaren Folgen für Deutschland und Europa gewarnt, sollte es wegen des Asylstreits zum Bruch des Bündnisses kommen. "Man fragt sich, sind die völlig wahnsinnig", sagte Gabriel der Deutschen Presse-Agentur. "Ausgerechnet ich als Sozi sage: Ich kann nur hoffen, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt." Weil sie das deutsche Gewicht in Europa, aber auch das europäische Gewicht für Deutschland spüre. "Das fehlt scheinbar den meisten anderen."

Die CDU-Vorsitzende Merkel will bis zum Umfeld des EU-Gipfels am Donnerstag und Freitag europäische oder bilaterale Vereinbarungen über die Rücknahme von Asylsuchenden erreichen. Der CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte angekündigt, er werde vom 1. Juli an im nationalen Alleingang mit Rückweisungen beginnen, falls die Kanzlerin keine Ergebnisse erziele, die die gleiche Wirkung hätten wie derartige Schritte. Davon könnte die Zukunft der GroKo, aber auch die weitere Entwicklung Europas abhängen.

Stimmen überschlagen sich in den Zeitungen am Dienstag

Seehofer sagte der "Süddeutschen Zeitung" am Dienstag, er hoffe "ehrlich, dass eine europäische Lösung gelingt". Allerdings könne man "von der Hoffnung allein nicht leben". CSU-Generalsekretär Markus Blume äußerte sich zuletzt etwas moderater, blieb in der Sache aber unnachgiebig. "Wir sollten in der aufgeregten Debatte wieder zur Normalität zurückkehren", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Dienstag. "Es gibt niemanden von uns, der die Gemeinschaft der Union in Zweifel zieht oder die Regierung in Frage stellt." Blume bekräftigte aber ebenfalls die Position seiner Partei: "Solange wir keine wirkungsadäquate europäische Lösung haben, gibt es keine Alternative zu den Zurückweisungen."

Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) sagte der "Augsburger Allgemeinen" am Dienstag, dass Merkel in den kommenden Tagen echte Ergebnisse liefern müsse, sei allen in der Union klar. "Jetzt lassen wir die Bundeskanzlerin erst einmal verhandeln."

Ein Kompromissvorschlag

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, mahnte in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland am Dienstag: "Es müssen sich jetzt alle bewegen! Dass CDU und CSU zusammenbleiben, ist längst nicht für die Union entscheidend, sondern hat Auswirkungen auf die Stabilität der Demokratie in Deutschland insgesamt."

Der CDU-Innenexperte Armin Schuster wartete in der Debatte mit einem Kompromissvorschlag auf, den er in der "Rheinischen Post" erläuterte. Sein migrationspolitisches Fünf-Punkte-Konzept sehe etwa vor, an wenigen deutschen Grenzübergängen stationär zu kontrollieren, hauptsächlich aber in einem 30 Kilometer breiten Korridor dahinter nach illegal Eingereisten zu fahnden - und diese dann nach einer Zuständigkeitsprüfung zurückzuführen in jenes Land, wo sie zuerst EU-Boden betreten haben. Bis das zuständige Land ermittelt sei, könnten die Menschen in Ankerzentren untergebracht werden, wie sie Seehofer vorschweben.

Treffen des Koalitionsausschusses

Das Treffen des Koalitionsausschusses soll gegen 20.30 Uhr im Kanzleramt beginnen. Teilnehmen sollen für die CDU Merkel, Unions-Fraktionschef Volker Kauder sowie Kanzleramtschef Helge Braun, für die CSU Seehofer sowie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Für die SPD kommen Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles sowie Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz. Die Sozialdemokraten sind zunehmend empört über den Streit und insbesondere über die CSU. "Was wir von der CSU erleben, gefährdet Europa", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Montagabend in der Phoenix-Sendung "Unter den Linden".

Die CSU ist mit dem Vorwurf konfrontiert, hinter den Kämpfen stecke vor allem Wahlkampfstrategie, um sich gegen die erstarkende AfD zu behaupten. Im Oktober ist in Bayern Landtagswahl. Der CSU droht der Verlust der absoluten Mehrheit. Es habe sich bei der CSU wegen der Flüchtlingskrise seit 2015 mächtig etwas angestaut, meinte der frühere Außenminister Gabriel. "Die Halsschlagader ist immer dicker geworden. Das scheint sich jetzt unkontrolliert Bahn zu brechen." Aus Seehofers Sicht hat die Situation seit 2015 mit der Aufnahme von über einer Million Menschen Deutschland tief gespalten und zu einer großen Belastung Europas geführt.

Vertreter der deutschen Wirtschaft

Gabriel meinte weiter, bisher habe er nur die politische Linke in Deutschland für so rechthaberisch gehalten, dass sie sich lieber spalte als regiere. "Aber scheinbar ist der Irrsinn auch in der Union angekommen." Würde man sich trennen, würde die CDU in Bayern antreten und die CSU dort stark verlieren. 

Führende Vertreter der deutschen Wirtschaft mahnten die Koalitionäre, ihren Streit über die Flüchtlingspolitik rasch beizulegen. So sagte Dieter Kempf, Chef des Industrieverbands BDI, der "Süddeutschen Zeitung" am Dienstag: "Gerade jetzt ist Teamgeist gefragt." Schließlich rückten Unsicherheiten und Konfliktherde immer näher an die Europäische Union und die Exportnation Deutschland heran.

Am Montagabend hatten vor der Landesvertretung Bayerns in Berlin knapp 300 Menschen gegen den Kurs Seehofers protestiert. Auf Plakaten war etwa zu lesen: "Angie, lass Dich nicht verseehofern". Thema bei dem Treffen der Koalitionsspitzen am Dienstag dürfte auch der Streit um das geplante Baukindergeld werden. Die Union macht Front gegen von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) geplante Einschränkungen. Die CDU-Spitze lehnte eine Begrenzung der Leistung auf kleinere Immobilien am Montag ab. Vor dem Koalitionsausschuss trifft Merkel noch den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez und EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dabei wird die Flüchtlingspolitik im Vordergrund stehen.

Die Katholische Kirche zum

Der katholische deutsche Sozialbischof Franz-Josef Overbeck hatte sich vor zehn Tagen für einen Kompromiss in der Asylpolitik ausgesprochen. "Ich setze darauf, dass Politik immer möglich ist, wo es Kompromisse gibt", sagte er gegenüber DOMRADIO.DE. Er erwarte von allen Parteien in der Regierungsverantwortung, dass sie sich dafür einsetzten.


Sigmar Gabriel / © Michael Kappeler (dpa)
Sigmar Gabriel / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
dpa , DR
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