Wachsende Sorge um politische Stabilität im Libanon

Christen mittendrin

Vor zwei Wochen trat der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri von Saudi-Arabien aus von seinem Amt zurück. Seither rätselt ein ganzes Land über die Hintergründe und den Verbleib des Politikers. Die Sorgen unter den Christen wachsen.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Dampfendes Weihrauchfass in einem Gottesdienst im Libanon / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Dampfendes Weihrauchfass in einem Gottesdienst im Libanon / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Am 4. November gab der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri per Fernsehbotschaft von Saudi-Arabien aus seinen Rücktritt bekannt. In seine Heimat kehrte der Politiker seither nicht zurück, betonte aber wiederholt vor Medien, es gehe ihm gut und er werde in Kürze in den Libanon zurückreisen.

Dagegen geht Libanons Präsident Michel Aoun davon aus, dass Hariri rechtswidrig in Saudi-Arabien festgehalten werde, das seinen Rücktritt erzwungen habe. Anderslautenden Äußerungen sei nicht zu trauen. Auch im Westen glauben viele an eine saudische Intrige mit dem Ziel einer iranfeindlicheren Regierung in Beirut. Das mühsam wiedergewonnene politische Gleichgewicht im Libanon scheint in Gefahr.

Hariri nicht erreichbar?

Als saudisch-libanesischer Doppelbürger und Sunnit steht Hariri dem wahhabitischen Königreich nahe. In seiner Rücktrittsankündigung warf er der schiitischen Hisbollah und deren Unterstützer, dem saudischen Erzfeind Iran vor, den Libanon kontrollieren zu wollen.

Aoun, seinerseits maronitischer Christ und Bündnispartner der Hisbollah, weigert sich bisher, den Rücktritt Hariris offiziell anzunehmen. Es sei unmöglich, über einen vom Ausland aus angekündigten Rücktritt zu entscheiden, sagte er laut der staatlichen libanesischen Nachrichtenagentur "NNA" am Mittwoch. "Es gibt nichts, das Ministerpräsident Saad Hariris ausbleibende Rückkehr nach zwölf Tagen rechtfertigt, deshalb gehen wir davon aus, dass er festgenommen wurde und gefangen gehalten wird", so Aoun, der den Saudis Verstöße gegen die Wiener Konvention und die Menschenrechtscharta vorwarf und die "grundlose Festnahme" als "Aggression gegen den Libanon" bezeichnete. Seit 4. November sei Hariri "auf keinem Kommunikationsweg" erreichbar, so der Präsident.

Hariri reagierte umgehend per Twitter auf Aouns Anklage gegen Saudi-Arabien. Es gehe ihm sehr gut und er werde, "wie versprochen" und "so Gott will, in den geliebten Libanon zurückkehren".

Während Saudi-Arabien die libanesischen Vorwürfe als absurd zurückwies, erhielt Aoun Rückendeckung durch den iranischen Präsidenten Hasan Ruhani, der laut Medienberichten die saudische Einmischung in innere Angelegenheiten des Libanon scharf verurteilte.

Kritik übte der Schiit auch an angeblichen saudischen Versuchen, das feindliche Israel zu einem Angriff auf den Libanon und die Hisbollah zu bewegen. Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah hatte die Angelegenheit bereits zuvor als "saudische Kriegserklärung gegen den Libanon" bezeichnet.

Christen in Sorge

Für unterschiedliche Reaktionen sorgen der mysteriöse Rücktritt und die damit verbundenen Spekulationen bei den Christen des Libanon.

Während der Landesleiter der Päpstlichen Missionswerke, Rouphael Zgheib, die Befürchtung äußerte, der Amtsverzicht könne erneut "die Pforten des Chaos und der institutionellen Lähmung" im Libanon öffnen, zeigte sich Maronitenpatriarch Kardinal Bechara Rai im Anschluss an ein Treffen mit Hariri in der saudischen Hauptstadt Riad am Dienstag überzeugt von dessen Rücktrittsgründen. Hariri werde schnellstmöglich in den Libanon zurückkehren und die Gründe seines Rücktritts mit der politischen Führung erläutern.

Seit dem Rücktritt war das Maronitenoberhaupt der einzige offizielle Vertreter des Libanon, mit dem Hariri gesprochen hat. Rai, der während seines Besuchs auch mit König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman zusammentraf, unterschied sich im Ton erheblich von seinem Präsidenten und Glaubensgenossen Aoun. Wiederholt betonte der Maronit die engen und guten Beziehungen beider Länder, versprach libanesische Treue und dankte den Saudis für Unterstützung in "den schwierigsten politischen, wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Umständen".

Kräftemessen Irans und Saudi-Arabiens

Unterdessen berichten Medien unter Berufung auf Quellen aus dem französischen Präsidialamt, Hariri werde in den kommenden Tagen in Frankreich erwartet - einer von Präsident Emmanuel Macron ausgesprochenen Einladung folgend. Dieser beeilte sich zugleich zu klären, Hariri werde zu Besuch erwartet, nicht etwa im Exil.

Ein solcher Schritt könnte die sich durch den zunehmend härteren Ton verschärfende Lage entspannen. Dass auch Frankreich sich unterdessen in die Rücktrittskrise eingeschaltet hat, zeigt jedenfalls, dass die Sorge vor einem sich zuspitzenden Kräftemessen Irans und Saudi-Arabiens und dessen mögliche Auswirkungen auf die politische Stabilität im Libanon und Nahen Osten längst auch in Europa angekommen ist.


Saad Hariri / © Wael Hamzeh (dpa)
Saad Hariri / © Wael Hamzeh ( dpa )
Quelle:
KNA