Nach dem Brexit: Unsicherheit und Sorge

Die Schotten wollen die Unabhängigkeit

Großbritannien will raus aus der EU - und Schottland will raus aus Großbritannien. Viele Schotten fürchten die Folgen des Brexits. Am Samstag berät die EU ihre Strategie für die Verhandlungen mit Großbritannien.

Blick auf schottische Highlands  / © Severina Bartonitschek (KNA)
Blick auf schottische Highlands / © Severina Bartonitschek ( KNA )

Christopher Pears steht in der historischen Stadtmitte von Edinburgh - vor ihm ein Dudelsack-Pfeifer, um ihn viele Touristen. Pears ist ein Beispiel dafür, wie Großbritannien sein kann: Der blonde Mann ist in England geboren, in Schottland aufgewachsen und mit einer Schottin verheiratet: "Ich bin stolz, Schotte zu sein und ich bin stolz, Engländer zu sein. Großbritannien ist großartig."

Allerdings - jetzt, wo Neuwahlen anstehen in Großbritannien und nicht klar ist, unter welchen Umständen das Land die Europäische Union verlassen wird, kommen Pears Zweifel. Der Krankenpfleger fürchtet vor allem den Wegzug der Festlands-Europäer: "Wir haben viel Personal aus den EU-Ländern - vom Arzt bis zur Reinigungskraft. Wir hoffen, dass sie auch nach dem Brexit bleiben dürfen. Denn ohne sie können wir unser Gesundheitssystem vergessen."

"Politischer Schwachsinn"

Seine Lebensgefährtin Kathryn Leslie hat als Schottin anders als ihr Mann gegen den Brexit gestimmt und ist für ein unabhängiges Schottland. Die 33-Jährige arbeitet in der Stadtverwaltung von Edinburgh und macht sich Sorgen um die Zukunft ihres Sohnes. "Ich weiß nicht, was auf ihn zukommt und in was für eine Welt er hineingeboren wurde." Die Brexit-Folgen seien vollkommen unklar. "Ich halte das alles für politischen Schwachsinn."

Die britische Premierministerin Theresa May geht davon aus, dass trotz Neuwahlen mit den Brexit-Verhandlungen begonnen werden kann. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon dagegen fürchtet harte Einschnitte für ihr Land - ihr wäre ein von Großbritannien unabhängiges Schottland lieber, deshalb strebt sie eine erneute Volksabstimmung an. Ihre Meinung ist Mehrheitsmeinung in Schottland.

"Englische Regierung hat Angst"

Für Menschen wie den Taxifahrer John Dunn überwiegen die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft. Der 62-jährige sitzt in seinem schwarzen Oldtimer und zeigt auf sein neues Smartphone: Man könne doch nicht in technischen Dingen Fortschritte machen und in der Politik die Zeit um 30 Jahre zurückdrehen. "Ich glaube", sagt Dunn, "die englische Regierung hat Angst davor, dass wir Schotten eines Tages wieder unabhängig sind." Auch sein Kollege David Storie macht sich Sorgen - vor allem um die wirtschaftliche Zukunft Schottlands. Die meisten seiner Fahrgäste sind Europäer vom Festland - noch, sagt Storie: "Ich glaube, der Tourismus wird einbrechen. Der Brexit macht überhaupt keinen Sinn."

In den Hotels, in der Gastronomie, im Gesundheitswesen und der Landwirtschaft - ohne Arbeitskräfte vor allem aus Mittel- und Osteuropa geht es nicht. Insgesamt leben geschätzt rund dreieinhalb Millionen nicht-britische Europäer im Vereinigten Königreich. Aber Fremdenfeindlichkeit und die Sorge vor der Zukunft vertreibe viele Kontinentaleuropäer, sagt Taxifahrer Dunn.

Unsicherheit eint

Das sehen auch Verena und Thomas Jantzen so. Das deutsche Pfarrerehepaar betreut die Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in Schottland und Nordost-England. Viele Kilometer trennen die Gläubigen von Aberdeen über Glasgow und Newcastle. Was alle eint: Die Unsicherheit. "In Unternehmen werden Arbeitsplätze überflüssig werden, und auch die Drittmittelfinanzierung der Universitäten durch die EU wird sich verändern. Viele unserer Gemeindemitglieder beschäftigt, was die langfristige Perspektive im Land sein kann."

Vor allem in binationalen Familien werde aus Angst vor den Brexit-Folgen der Wunsch nach einem britischen Pass diskutiert. Vor den bürokratischen Hürden schreckten jedoch viele zurück, sagt Thomas Jantzen. Oft beginne dann der Run auf die deutsche Staatsbürgerschaft: "Der britische Familienteil bemüht sich dann um einen deutschen Pass. Bei vielen ist die Sorge groß, den Status als EU-Bürger zu verlieren."

"Grenze ist undenkbar"

Dass es tatsächlich zu einer Unabhängigkeit Schottlands komme, hält Pfarrerin Jantzen für unwahrscheinlich. Denn das hieße: "Im schlimmsten Fall eine Grenze durch Schottland und England. Wir arbeiten regelmäßig im Norden Englands und da über eine Grenze fahren zu müssen, ist undenkbar."

Rund 20 Kilometer östlich von Edinburgh liegt Gullane, ein verschlafenes Nest zwischen grünen Golfplätzen und sandiger Nordseeküste. Hier lebt und arbeitet Falko Burkert. Der Konditormeister aus der Nähe von Heilbronn steht in seinem Cafe vor einem flackernden Wandkamin; an den kleinen Tischen sitzen Schotten, vor sich Tee und deutsche Torte. Vor 20 Jahren kam Burkert nach Schottland. Aber allein aus Angst vor den Brexit-Folgen einen britischen Pass zu beantragen - für ihn keine Option. "Ich seh's aus Prinzip nicht ein. Ich bin Europäer, ich werd' immer Europäer bleiben. Ich möchte weiter frei reisen. Wenn das so wäre, dass es zu der harten Entscheidung kommt, dann müsste ich eben meinen Koffer packen."

Von Silke Heine


Quelle:
KNA