Grünen-Politiker Beck wirft türkischem Geheimdienst Spionage vor

"Regierung lässt sich auf der Nase rumtanzen"

Der türkische Geheimdienst lege faktisch ein Spionage-Geständnis ab, sagt Volker Beck, Religionspolitischer Sprecher der Grünen. Im domradio.de-Interview warnt er Richtung Türkei und wirft der Bundesregierung Duckmäusertum vor.

Ditib weiterhin im Fokus / © Marcus Brandt (dpa)
Ditib weiterhin im Fokus / © Marcus Brandt ( dpa )

domradio.de: Das klingt recht brisant, wenn die türkische Regierung deutsche Staatsbürger bespitzelt, oder?

Volker Beck (Religionspolitischer Sprecher der Grünen): Ja. Wir wissen, dass sie das tut, spätestens seit Anfang Dezember – zunächst über die Struktur Diyanet, Ditb und Konsulate. Da läuft ja auch ein Ermittlungsverfahren gegen die Imame der Ditib und gegen Unbekannt. Das ist alles längst bekannt. Es wäre erstaunlich gewesen, dass man einerseits diese religiöse Struktur zur Kenntnisgewinnung nutzt, aber nicht eigene geheimdienstliche Aktivitäten für das gleiche operative Ziel veranlasst.

Deshalb bin ich über diesen Bericht nicht so erstaunt. Mich erstaunt vielleicht ein bisschen die Chuzpe, dass der türkische Geheimdienst keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigt, sondern die Ergebnisse seiner Erkenntnisse den deutschen Behörden vorlegt und damit ja faktisch ein Geständnis der Spionage ablegt.

domradio.de: Wie erklären Sie sich das? Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sind im Moment eh schon angespannt.

Beck: Das muss man sich wohl so erklären, dass man sich dabei offensichtlich stark im Recht fühlt. Und wenn man sich stark im Recht fühlt, dann stellt man eben Bedenken anderer Art offenbar zurück.

domradio.de: Die Ermittlungen gegen die Ditib laufen seit September vergangenen Jahres. was hat sich seitdem geändert? Ist dies nun eine neue Dimension, die wir jetzt erleben?

Beck: Es ist klar, dass offensichtlich türkische Stellen alles unternehmen, um Menschen aus der Gülen-Bewegung auszuspionieren. An mich haben sich zahlreiche Menschen gewandt, die auch auf diesen Listen sind und gesagt haben, sie gehören weder zur Gülen-Bewegung noch zur PKK, sie seien liberale linke Türkinnen und Türken, die die jetzige Regierung genau so kritisch beobachten, wie die islamisch fundamentalistisch ausgerichtete Gülen-Bewegung und stehen trotzdem auf den Listen.

Man sieht daran auch ein bisschen, wie in der Türkei die Innenpolitik funktioniert. Jeder, der ein kritisches Wort über Erdogan sagt, ist entweder ein PKK-Terrorist oder ein Gülen-Terrorist. Für weitere Differenzierungen macht man sich keine Mühe.

domradio.de: Was bedeutet das denn für die einzelnen Menschen, die auf den Listen draufstehen? Es wird gesagt, dass die deutschen Geheimdienste die Menschen informieren, die auf den Listen stehen. Die können sich in der Türkei dann wahrscheinlich nicht sicher fühlen, wenn sie dorthin fliegen, oder?

Beck: Denjenigen, die auf der Liste stehen, würde ich in der Tat momentan nicht raten, in die Türkei zu fahren oder zu fliegen. Es besteht die Gefahr, dass man überhaupt nicht einreisen darf. Die größere Gefahr ist jedoch die, dass man womöglich verhaftet wird und mit Anklagen zu tun hat, von denen nicht geglaubt hat, jemals davon zu hören. Aber man wird dort nicht auf ein rechtsstaatliches Verfahren zwingend hoffen können.

domradio.de: Können die sich denn in Deutschland sicher fühlen?

Beck: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt habe ich keine Hinweise, dass es unmittelbare Bedrohungen relevanter Art gegen Leute auf diesen Listen gibt. Aber ich höre schon, dass auch die Angst unter den regimekritischen Menschen umgeht. Wir müssen klarmachen, dass der deutsche Rechtsstaat auf der Seite von Recht und Ordnung steht. Wir werden gegen jeden, der hier Menschen bedroht, vorgehen. Ich kann da die türkische Regierung nur warnen, hier zu einer weiteren Verschärfung beizutragen.

domradio.de: Dass sich der deutsche Staat um seine Bürger kümmert, ist klar. Aber was bedeutet das für die bilateralen Beziehungen? Wie wird es da jetzt weitergehen?

Beck: Unsere Regierung scheint ja alles zu tun, um Erdogan nicht zu reizen. Irgendwie gelingt ihr das nicht so recht. Aber wir haben schon eher eine Duckmäuserhaltung. Erst als wir als Nazis beschimpft wurden, gab es ein paar klarere Worte. Aber ansonsten lässt man sich wegen des Türkei-Deals von Erdogan schon ziemlich auf der Nase rumtanzen. Ich rate auch dazu, jetzt in der innenpolitischen Debatte klarzumachen, dass wir unser Land nicht spalten lassen und dass alle, die hier leben und sich an Recht und Gesetz halten, willkommen sind - egal wo die Eltern oder Großeltern herkamen.

Wir dürfen uns nicht in deutschstämmige und türkischstämmige Menschen aufspalten lassen. Ich finde, dies ist eine absurde Kategorisierung, die hier durch die aktuelle Wahlkampagne in der Türkei in unser Land getragen wird. Ich kann nur allen raten - auch von der deutschen Innenpolitik -, diese Optik nicht selber mit zu bedienen, wenn ich Diskussionen über den Doppelpass und dergleichen höre.

Die CDU hat in der vergangenen Woche meiner Ansicht nach einen absurden Vorschlag mit dem Generationenschnitt gemacht, wo sie in der dritten oder vierten Generation Pässe entziehen will. Dazu bräuchte sie nach dem Vorschlag des Sachverständigenrates einen Vertrag mit der Türkei. Das wird sie gegenwärtig nicht kriegen. Wir sollten solche absurden Debatten jetzt stecken lassen und uns auf den Zusammenhalt und den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger konzentrieren.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Volker Beck / © Jörg Carstensen (dpa)
Volker Beck / © Jörg Carstensen ( dpa )
Quelle:
DR