Frankreich nach mutmaßlicher Polizeigewalt in Aufruhr

Gerechtigkeit für Theo

Seitdem ein 22-jähriger Schwarzer in der vergangenen Woche offenbar Opfer von Polizeigewalt wurde, brodelt es in Frankreichs Vororten. Viele Künstler unterstützen die Proteste in den Banlieues. Auch bei Twitter kocht der Vorfall hoch. 

Autor/in:
Franziska Broich
Ausschreitungen in Paris  / © Aurelien Morissard (dpa)
Ausschreitungen in Paris / © Aurelien Morissard ( dpa )

Angst hat die Sängerin Nadia Mladjao aus Südfrankreich nicht. Mladjao, die sich den Künstlernamen Imany gab, singt in ihrem Song "Don't be so shy" davon, auf sein eigenes Gefühl zu vertrauen. 2016 führte sie mit dem Lied die französischen Charts an. Auch in Deutschland, Polen, Österreich und der Schweiz war ihr Song ein Hit. Während der französischen Musikveranstaltung "Victoires de la musique" am Freitagabend bezog sie deutlich Position. Mitten im Lied unterbrach sie ihren Text und forderte Gerechtigkeit für Theo und Adama.

Theo Luhaka wurde vergangene Woche nach eigener Aussage von Polizisten mit einem Schlagstock vergewaltigt. Offizielle Angaben darüber, was genau bei der Polizeikontrolle geschah, gibt es bislang nicht. Gegen die vier beteiligten Polizisten laufen derzeit Ermittlungsverfahren. Sie sind vom Dienst suspendiert. Die Beamten verteidigten sich, es sei ein Unfall gewesen, der 22-Jährige habe sich gegen die Festnahme gewehrt. Adama Traore erstickte im Juli 2016 nach einer Razzia. Die Umstände seines Todes sind ebenfalls noch ungeklärt.

Als Künstlerin Verantwortung 

"Es ist ein Privileg, Künstlerin zu sein", sagte Imany. Und dieses Privileg sei auch mit der Verantwortung verbunden, jenen eine Stimme zu geben, die keine hätten. "Eliten und Polizei müssen zur Rechenschaft gezogen werden", forderte sie vor Tausenden Konzertgästen. Am Montag veröffentlichte die Sängerin mit komorischen Wurzeln ein Zitat des früheren anglikanischen Erzbischofs von Kapstadt, Desmond Tutu: "Dem Unrecht gegenüber neutral zu bleiben, ist wie die Position des Unterdrückers zu wählen."

Der 22-jährige Theo liegt seit vergangener Woche im Krankenhaus in Aulnay-sous-Bois. Er musste nach dem Vorfall operiert werden und wird den Ärzten zufolge mindestens zwei Monate nicht arbeiten können. Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande besuchte ihn im Krankenhaus - bemüht darum, die aufgeheizte Situation zu beruhigen. Theo rief bei dieser Gelegenheit zu einem Ende der Gewalt auf. "Stoppt den Krieg, vereint euch", sagte er an seine Freunde aus dem Viertel gerichtet.

Debatte bei Hashtag 

Imany ist nicht die einzige Künstlerin, die sich öffentlich zu dem Vorfall geäußert hat. In den sozialen Netzwerken tobt eine Debatte unter dem Hashtag #JusticepourTheo (Gerechtigkeit für Theo). 

Auch der französische Schauspieler Omar Sy, der in dem Film Ziemlich beste Freunde» den Pfleger eines gelähmten Adeligen spielt, stellte sich hinter Theo. Sy, Sohn eines Senegalesen und einer Mauretanierin, wuchs in einem Vorort südlich von Paris auf. Über Twitter teilte er vergangene Woche ein Zitat von Martin Luther King: "Unrecht an irgendeinem Ort kann eine Bedrohung für die Gerechtigkeit weltweit sein."

Wenige Tage nach dem Vorfall begannen die Demonstrationen in Aulnay-sous-Bois, einem Ort nur 25 Kilometer entfernt von Paris. Fast ein Viertel der Bewohner kommt aus einem anderen Land, die Jugendarbeitslosigkeit liegt weit über dem Landesdurchschnitt von 26,2 Prozent. In nur wenigen Tagen weiteten sich die Demonstrationen auch auf andere Pariser Vororte aus. Dabei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten, Autos wurden beschädigt und angezündet.

Kampf aller Menschen

Neben Komikern, Schauspielern und Sängern bekundeten auch viele französische Rapper ihren Rückhalt. Einer von ihnen ist Kery James, der im richtigen Leben Alix Mathurin heißt. In seinen Liedern widmet er sich der Situation in den Vororten. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er, dass der "Kampf" gegen die Ungleichheiten gerade erst beginne. "Ich akzeptiere nicht, dass die Menschen aus den Banlieues aufgrund von Machenschaften einiger weniger stigmatisiert werden", schreibt er. Es sei nicht nur ein Kampf der Menschen in sozialen Brennpunkten, Farbiger oder Araber, sondern ein Kampf aller Menschen - egal welcher Herkunft oder Hautfarbe.

Die Bilder der Nächte in Frankreichs Vorstädten erinnern an die Unruhen vor einigen Jahren. Die Situation in den sogenannten Banlieues eskalierte im Herbst 2005, nachdem zwei Jugendliche bei der Flucht vor der Polizei an einem Stromschlag starben. Wegen des hohen Migrantenanteils gelten die Banlieues als soziale Brennpunkte. 10.000 Autos und 300 Gebäude wurden bei den Ausschreitungen in Brand gesteckt. Die Regierung verhängte damals den Ausnahmezustand.


 Hochhaussiedlung in Drancy / © Peter Zschunke (dpa)
Hochhaussiedlung in Drancy / © Peter Zschunke ( dpa )
Quelle:
KNA