Aachener Domvikar über den Zustand der Kirche

Auftrag statt Aufbruch?

Die katholische Kirche in Deutschland hat gerade das Großereignis Katholikentag in Mannheim mit hunderten Foren und rund 80.000 Besuchern abgeschlossen. Hat die Kirche einen neuen Aufbruch gewagt? Erwünschtes trete nicht schon dadurch ein, dass es immer öfter und nachdrücklicher beschworen wird, meint Dr. Elmar Nass, Domvikar in Aachen, im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Guten Tag Herr Nass. "Erwünschtes tritt nicht schon dadurch ein, dass es immer öfter und nachdrücklicher beschworen wird," sagen sie. Was ist das Erwünschte und was muss die Kirche dafür klären?

Elmar Nass: Bevor wir einen Aufbruch wagen, der ja irgendwo hin gehen soll, müssen wir zunächst schonungslos und ganz ehrlich schauen: Wo stehen wir als Kirche eigentlich heute wirklich? Wie kommen wir mit unserer Botschaft heute an? Welche gesellschaftliche Stellung hat die Kirche? Das müssen wir klären. Und dann, wenn wir eine solche Analyse vorgenommen haben - ganz ehrlich und ohne uns etwas vorzumachen -, dann müssen wir uns natürlich die Frage stellen: Wo geht es eigentlich hin? Was ist das Ziel? Nicht einfach von der Hand in den Mund, nur über das Heute und Morgen nachdenken, sondern wirklich auch über eine langfristige Zukunftsfähigkeit einer lebendigen neuen Kirche.



domradio.de: Die Kirche schrumpft. Vor allem aufgrund der Skandale, die in den vergangenen zwei Jahren ans Tageslicht gekommen sind. Viele sagen, das ist auch eine Chance. Sie sagen aber, man soll sich das nicht schönreden. Warum? Welche Gefahr sehen sie in einer solchen Haltung?--
Nass: Zunächst haben wir ja als Kirche einen missionarischen Auftrag und vor den ganzen Diskussionen und Skandalen der letzten Zeit tauchte dieser Begriff so langsam wie kleines Pflänzchen wieder in der Kirche auf. Das ist jetzt leider wieder etwas in Vergessenheit geraten, was sehr schade ist. Wenn wir dieses missionarische Profil der Kirche aus dem Blick verlieren, dann besteht die Gefahr, dass wir uns in den Elfenbeinturm zurückziehen wie eine beleidigte Leberwurst und uns vielleicht selbst bestärken, wie gut wir sind und wie schlecht die Welt ist. Und dann können wir aber die Botschaft, die wir für die Menschen haben, nicht mehr in die Welt tragen. Es kommt darauf an, dass wir uns nicht verschließen, nicht zurückziehen, sondern mutig und offensiv mit dem, was wir haben, die Welt gestalten und im wahrsten Sinne des Wortes "beseelen".



domradio.de: Sie sind Sozialethiker in dieser katholischen Kirche und Sie warnen und sagen: Es brennt schon an allen Ecken und Enden. Es gibt immer weniger Priesteramtskandidaten. Die Gemeinden werden größer und anonymer. Ehrenamtliche Helfer stoßen an ihre Grenzen. Im vergangenen Jahr sind mehr als 180.000 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Sie sagen die Kirche darf nicht schön reden, sondern sie muss im Blick auf ihre Realitäten "wahr" reden. Was gehört da dringend dazu, um den Brand zu löschen?

Nass: Wir dürfen uns und den vielen aktiven Menschen, die sich für die Kirche engagieren wollen, nichts vormachen. Wir haben zu oft den Fehler gemacht, dass wir vorgaben, ja, jetzt kommt ein neuer Diskussionsprozess, jetzt kann viel mitbestimmt werden, Menschen machen sich auf in großen Aktionen mit viel Energie und am Ende kommt dabei mehr Frust heraus, als dass sich wirklich etwas bewegen würde. Ich glaube, es ist notwendig, ganz ehrlich - auch wenn das dem Zeitgeist nicht entspricht - zu sagen, als katholische Kirche haben wir auch eine Autorität, wir haben ein Amtsverständnis in unserer Kirche, man kann jetzt nicht über Glaubenswahrheiten bis ins Letzte diskutieren. Wenn wir das erst einmal wieder klar und ehrlich sagen, dann wird viel Frust vermieden. Und zum Zweiten brauchen wir auch neue Formen der Seelsorge, dass wir auch jungen Männern, die heute vielleicht mit der Kirche oder dem Glauben sympathisieren, Geschmack machen können: Mach" Dich auf, es lohnt sich und wenn Du mit dem Studium fertig bist, zeigen wir Dir eine Perspektive, dass Seelsorge auch wieder Freude und Spaß machen kann.



domradio.de: Sie beklagen, dass selbst die CDU politisch keine Rücksicht auf kirchliche Positionen mehr nimmt. Sie beklagen, dass in Fernsehrunden der Verweis auf die katholische Lehre mehr denn je Hohn und Spott einbringe. Das sind sehr schmerzhafte Erfahrungen für die katholische Kirche, aber auch für die Kirchen im Allgemeinen. Welche Stimmen würden Sie sich in der katholischen Kirche wieder mehr wünschen? Mit welchen könnte sie ihre Glaubwürdigkeit wieder zurückgewinnen?

Nass: Ein positives Beispiel dazu ist gerade der Berliner Kardinal Woelki auf dem Katholikentag in einer Diskussion über genau diese Fragen, auch um die Missbrauchsdiskussion. Woelki und auch das Bischofsamt ist da sehr scharf attackiert worden - und er ist ganz ruhig und freundlich geblieben und hat sich nicht herausfordern lassen. Und die Stimmung in dieser Diskussionsrunde war am Ende so, dass ihm das viel Anerkennung eingebacht hat. Also wir dürfen uns nicht nur herausfordern lassen und selbst aggressiv zurückschlagen, sondern wir müssen uns auf das besinnen, was wirklich das Eigenste unseres Glaubens ist, und das heißt zum Einen, das was wir zum Menschen, zum Schutz des menschlichen Lebens, zur Würde des Menschen zu sagen haben, das müssen wir ins Gespräch bringen, was Jesus Christus für uns bedeutet, wer er für uns ist. Und dabei müssen wir durchaus auch über unsere Glaubenswahrheiten, die Geheimnissen um Auferstehung und Menschwerdung sprechen. Ich glaube, damit können wir viele Menschen wieder neugierig machen auf unseren Glauben.



domradio.de: Eine ganz zentrale Frage für Sie ist in Ihrem Artikel "Glaub würdig" in "Christ und Welt" ja die: Was macht den Glauben aus, trotz berechtigtem Gegenwind, trotz Spott und Hohn und der schweren Zeit der vergangenen zwei Jahre? Was ist da Ihre ganz persönliche Antwort?--
Nass: Zunächst müssen wir ehrlich sagen: Es ist viel falsch gelaufen in der Kirche. Wir sind eine Kirche, die sich im Laufe der Zeit und in der Geschichte immer verändert. Das wissen wir, und es hat immer schwierige Zeiten gegeben, die brauche ich jetzt nicht alle in Erinnerung zu rufen. Kirche besteht aus Menschen, und sie ist noch nicht die Kirche, die neue Stadt, die am Ende der Zeit stehen wird, wie es unser Glaube verspricht. Der Himmel ist eben noch nicht auf Erden in der Kirche angebrochen. Und ich möchte einfach dafür werben, dass zum Einen auch die Menschen, die an Christus glauben, auch bei allen Fehlern, die die Kirche gemacht hat, wieder ein Weg der Versöhnung mit dieser Kirche finden. Denn in dieser Kirche gibt es so viele Schätze, eben den Glauben daran, dass trotz aller Fehler der Heilige Geist darin wirkt. Und meine ganz persönliche Antwort lautet: Wir haben gute Gründe für den Glauben und deshalb habe ich auch eine gut begründete Hoffnung für die Zukunft der Menschen und der Kirche.



Das Interview führte Monika Weiß.