Bischof Overbeck über Dialogprozess und Konflikte in der Kirche

Möglichst alle mitnehmen

1962 hat das Zweite Vatikanische Konzil begonnen. Die Reformen des Konzils sind Anlass genug, auch auf die aktuelle Situation der Kirche in Deutschland zu schauen. In Mannheim haben die Bischöfe und die Laiengremien einen Dialogprozess in der deutschen Kirche begonnen. Einer der Beauftragten in der Bischofskonferenz für den Dialogprozess ist der Bischof von Essen, Franz-Josef Overbeck. Im domradio.de-Interview gibt er Auskunft über Gefahren und Chancen des Dialogs.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

domradio.de: Zurzeit findet in Bochum eine Tagung zum Konzilsjubiläum statt. Was kann man denn aus der Geschichte für den Dialogprozess lernen?

Overbeck: Aus der Geschichte des Konzils kann man verschiedene Perspektiven lernen, mit denen wir unsere heutige Situation erstens anschauen können, nämlich dass wir auf neue Weise lernen müssen, Kirche in der Welt zu sein. Das ist so eines der großen Themen, die vor 50 Jahren das zweite Vatikanische Konzil bewegt haben. Das bewegt uns heute auf neue Weise. Das zweite, was wir dabei lernen können: Das Konzil selbst war ein immenses Ereignis von Kommunikation und Dialog, würden wir heute sagen müssen, und das auf weltweiter Ebene. Das gehört heute zur Wirklichkeit, nicht nur der Kirche, sondern auch der gesamten Gesellschaft. Auch das können wir heute neu durch buchstabieren. Und das dritte ist, so wie es die globale Dimension gibt, gibt es eben auch die lokale und das bedeutet für uns, konkret vor Ort zu sehen, wo sind die Nöte, wo sind die Fragen der Menschen, die einer Antwort bedürfen. Und auch das war ein Thema des Konzils und das ist es auch heute wieder.



domradio.de: Wie wichtig ist der Dialogprozess für die Kirche? Wie nötig sind vielleicht auch Reformen?

Overbeck: Der Dialogprozess ist eine Frage des Stils und das heißt des ehrlichen Umgangs miteinander und des Suchens von  Lösungen für die anstehenden Probleme, die zum großen Teil anders sind als vor 50 Jahren und von daher gesehen- sonst würde ich es im Bistum Essen auch nicht initiiert haben - halte ich es für ganz wichtig, dass wir das tun, um deutlich zu machen: Wir sind nicht nur eine Kirche, die sich mit Strukturfragen, die das Äußere betreffen, beschäftigt, sondern ebenso intensiv mit den inhaltlichen Fragen. Und wir sehen auch, beides gehört zusammen.



domradio.de: Aber ist das nicht auch ein typisch "deutsches" Phänomen? Hat der Dialogprozess überhaupt auch eine Wirkung für die Weltkirche?

Overbeck: Ich glaube, dass man  das kulturell sehr unterschiedlich betrachten muss. Denn innerhalb der deutschen Wirklichkeit ist das eine Form, wie wir es tun können, um uns den Veränderungsprozessen zu stellen. Unter anderen kulturellen Bedingungen, in anderen Ländern und Kontinenten, geschieht das anders. Aber einige werden wissen, dass ich für Adveniat zuständig bin, das heißt für das Hilfswerk der deutschen Katholiken für Lateinamerika und die Karibik. Dort können wir zum Beispiel in Brasilien an der Art und Weise, wie die Bischofskonferenz arbeitet, einen lebendigen Dialog auf unterschiedlichen Ebenen sehen.



domradio.de: Welche Grenzen und Gefahren sehen Sie im Dialogprozess über die Zukunft der Kirche?

Overbeck: Die Grenzen liegen sicherlich auch in ihren großen Chancen, nämlich als Weltkirche einen solchen Prozess zu sehen. Wir als Kirchen von Essen zum Beispiel sind ein Teil der Weltkirche, das heißt, wir können alle Fragen erörtern, aber müssen und dürfen nicht glauben, dass wir alle Fragen auch zu entscheiden hätten. Das ist die Grenze, das ist aber auch gleichzeitig die Chance, weil wir auf diese Weise konkret das vor Ort das tun können, was uns jetzt möglich ist.



domradio.de: Sie haben auch gesagt, dass Sie im aktuellen Dialogprozess eine Gefahr sehen, dass auch Brücken abgebrochen und die bestehende Einheit aufgegeben werden könne. Wie ist das zu verstehen?

Overbeck: Ich glaube, dass wir heute in einer wirklichen Schwellensituation leben, weil die jetzige Situation fernab aller Veränderung auch alle Gläubigen aufruft, selbst sich neu von innen als Christen zu begreifen, weil viele der Maßstäbe, die uns die Tradition und die Gewohnheit und das bisherige Leben von Pfarrei und Gemeinde, aber auch das Glaubensleben in Familien, nicht mehr ausreichen für die Art und Weise wie es heute heißt, Christ zu sein. Das bedeutet, und das sehen wir ja schon seit Jahren, leider auch wahrzunehmen, dass es ein Prozess ist, der viele Menschen überfordert, der auch oft einen hohen Preis nach sich zieht, nämlich die Frage der Beheimatung. Ich hoffe, dass wir alles tun können, um möglichst alle mitzunehmen und nicht sehen müssen, dass wer zurückbleibt.



domradio.de: Einer der Ausgangspunkte für den Dialogprozess war das Theologenmemorandum der Professoren. Helfen denn Forderungen, wie die Einführung des Priestertums der Frau oder die Abschaffung des Zölibats?

Overbeck: Die helfen erst mal gar nicht. Das sind Fragen, die sehr klar weltkirchliche Dimensionen haben und von daher gesehen für uns als Kirche momentan sehr klar beantwortet sind. Der Dialogprozess hat jetzt die Aufgabe zu einem Konsens zu führen, jetzt zu tun, was angesagt ist.



Hintergrund

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hat die Katholiken ermahnt, im gegenwärtigen Dialogprozess "emotional abzurüsten". Es bestehe die reale Gefahr, dass über Streit Brücken abgebrochen werden und die Einheit zerbreche. Zugleich warnte Overbeck davor, "durch einzelne Retuschen schmucker Fassaden innere Ruinen aufrecht zu erhalten" und sich auf "reine Bestandskonservierung" zu konzentrieren. Andererseits betonte der Ruhrbischof: "Wir brauchen unseren Glauben und unsere Kirche nicht neu zu erfinden. Schließlich stehen wir auf einem Fundament, das von der Verheißung Gottes getragen ist." Mit Dialogprozessen in der Kirche, ihren Möglichkeiten und Grenzen, befasste sich am Donnerstag eine Tagung der Universität Bochum.