Ausstellung konfrontiert Schüler mit antisemitischen Vorurteilen

Von vermeintlichen Späßen und Verschwörungsmythen

Wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus geht, fordern Politiker oft eine Sensibilisierung von Schülern. In Köln haben 480 Jugendliche eine Ausstellung zu jüdischem Leben gesehen. Die Reaktionen waren unterschiedlich.

Autor/in:
Anita Hirschbeck
Zwei Jungen mit Kippa / © Daniel Bockwoldt (dpa)
Zwei Jungen mit Kippa / © Daniel Bockwoldt ( dpa )

"Komm her, du Jude!" steht in großen Lettern auf einem Aufsteller im Jugendzentrum der Synagogen-Gemeinde Köln. Vier Neuntklässler eines Gymnasiums kleben bunte Post-Its daneben. "Die Person hat einen Namen", kommentiert ein Schüler. Auf einem Zettel ist ein trauriger Smiley gemalt.

"Dumme Verschwörungstheorie" steht neben einem weiteren Ausspruch - nämlich der Behauptung, den Juden gehöre sowieso alles. "Find dich damit ab" hat allerdings auch jemand zu diesem Satz notiert.

Die Reaktionen von Schülerinnen und Schülern auf antisemitische Äußerungen sind unterschiedlich, wie die Leiterin des Jugendzentrums, Ariella Dumesch, in den vergangenen zwei Wochen feststellte. Rund 480 Jugendliche begleitete die 28-Jährige bislang durch die Ausstellung "Letsmeet", die im kommenden Jahr auf Wanderschaft gehen soll. Dann können sie zum Beispiel Schulen ausleihen.

Austausch mit den Schülern

Zudem soll das Material digitalisiert werden, sodass Klassen die Themen online entdecken können. Die reichen von Essen, Musik und religiösen Bräuchen bis hin zu Antisemitismus und Zivilcourage. Anlass der Schau ist das jüdische Festjahr, das noch bis Mitte 2022 bundesweit läuft.

Im Jugendzentrum in Köln können Schülerinnen und Schüler ab der achten Klasse - meistens kommen sie im Rahmen des evangelischen oder katholischen Religionsunterrichts - an verschiedenen Stationen Aufgaben lösen. An der Antisemitismus-Station sollen sie Aussagen auf einer Skala von "Nur ein blöder Scherz" bis "Geht gar nicht" bewerten. Ins Gespräch kommen sie dabei mit der Jüdin Dumesch.

"Auschwitz war ein Vernichtungslager", erklärt sie gerade den vier Schülern des Rheingymnasiums in Köln-Mülheim. Es geht um den Spruch "Mein Körper definierter als von Ausschwitzinsassen" - eine umstrittene Liedzeile aus dem Song "0815" der Rapper Kollegah und Farid Bang. Die Schüler nicken. So ein Vergleich geht gar nicht, finden sie.

Viele Mädchen und Jungen erkennen problematische Äußerungen und lehnen sie ab, wie die Einrichtungsleiterin feststellt. Manchmal jedoch habe sie das Gefühl, die Jugendlichen geben ihr nur Recht, weil sie erspüren, was von ihnen erwartet wird - und weniger weil sie die Sprüche tatsächlich empören. Gerade bei einigen Gymnasiasten sei das der Fall. "Realschüler trauen sich mehr", sagt Dumesch.

So würden auch Reaktionen an die Oberfläche kommen, die zu Diskussionen führen, zum Beispiel "Das ist doch nur ein Spaß" oder "Wenn man sowas unter Freunden sagt, ist das schon okay".

Da hört der Spaß auf

Dumesch stellt sich diesen Gesprächen. Ein Spruch wie "Komm her, du Jude" sei nun einmal entwürdigend gemeint, auch wenn das jemand im Spaß sage, argumentiert sie dann zum Beispiel. "Da merke ich, wie es rattert und dass die Jugendlichen es am Ende tatsächlich verstanden haben." Bei Schülerinnen und Schülern, die alles nur abnicken, sei sie sich da nicht so sicher. Insgesamt ist die Studentin vom Konzept der "Mitmachausstellung" überzeugt. Die Schau zeige Jugendlichen, dass sie Unterschiede wertschätzen könnten.

Am Ende dürfen die 15 Mädchen und Jungen des Rheingymnasiums noch Fragen an Dumesch stellen. Ob sie schon einmal antisemitisch beleidigt worden sei? Warum immer noch nicht so viele Jüdinnen und Juden in Deutschland lebten wie vor dem Zweiten Weltkrieg? Wie sie auf judenfeindliche Behauptungen von Freunden reagiere?

Wieviele Juden gibt es in Deutschland?

Schließlich ist es Dumesch, die noch eine Frage stellt: "Was glaubt ihr, wie viele Juden gibt es heute in Deutschland?" Zeigefinger gehen in die Höhe. Zwei Millionen? Ein Prozent der Bevölkerung? Die Antwort: Es sind etwa 100.000, also rund 0,1 Prozent der Bevölkerung.

Im Jugendzentrum der Synagogen-Gemeinde endet die Schau am Donnerstag. Auf den persönlichen Austausch mit jüdischen Menschen wollen die Ausstellungsmacher - das Katholische Stadtdekanat und der Evangelische Kirchenverband Köln und Region - auch künftig setzen. So sollen sich in das geplante Online-Format jüdische Gäste per Konferenzplattform dazuschalten können. Das genaue Konzept wollen die Verantwortlichen im Frühjahr vorstellen.

Dumesch blickt noch einmal auf die 480 Jugendlichen, die "Letsmeet" im Jugendzentrum gesehen haben. Das seien mehr Mädchen und Jungen als es jüdische Kinder in Köln gebe, sagt sie und lächelt. "Natürlich ist das ein großer Erfolg."


Quelle:
KNA