Chöre in Deutschland erleben frischen Wind nach Corona

"Jetzt wollen alle wieder singen"

Corona hat die Chorlandschaft in Deutschland verändert. Vor allem Kinder- und Jugendchöre haben gelitten. Doch es wächst auch etwas Neues. Corona war nämlich auch ein Motor der Innovation. Neue Formen des Musizierens blühen auf.

Autor/in:
Christoph Arens
Ein Chor singt auf der Empore in einem Gottesdienst in der Kirche Sankt Marien in Neuss. / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Chor singt auf der Empore in einem Gottesdienst in der Kirche Sankt Marien in Neuss. / © Harald Oppitz ( KNA )

"Jauchzet, frohlocket!" oder "Jingle Bells": Was wäre Weihnachten ohne Musik? Selbst die Radiosender trauen sich, hoch emotionale Christmas-Songs zu spielen. Zehntausende pilgern in die Stadien, um traditionelle Weihnachtslieder zu singen. Und keine Zeit ist so geprägt von Chorgesang und Konzerten in Kirchen wie die Zeit um das Christfest.

Veronika Petzold, Geschäftsführerin des Deutschen Chorverbandes, sieht das mit Freude. "Jetzt wollen alle wieder singen", sagt sie. "Die Chöre sind wieder am Start." Dabei hat Corona die Chor-Landschaft gehörig durcheinandergewirbelt. 

55.000 Chöre in Deutschland

Für 2019 zählte der Chorverband noch rund 55.000 verbandlich oder kirchlich organisierte Chöre - plus eine große Anzahl von Schul- und nichtorganisierten Chören. Durch die Pandemie seien rund 20 Prozent der Sängerinnen und Sänger verloren gegangen und die Zahl der Chöre um 10 Prozent gesunken, schätzt die Geschäftsführerin. Vor allem Kinder- und Jugendchöre hätten gelitten.

Chorleiter mussten sich einen neuen Job suchen, ältere Chormitglieder nutzten die erzwungene Pause, um aufzuhören, andere haben den Kontakt zu ihrem Chor verloren, analysiert Petzold. "Wo es vorher schon bröckelte, war dann schneller Schluss."

Pandemie als Innovationstreiber

Doch sei die Pandemie auch der Nährboden für Neues gewesen, beispielsweise im digitalen Bereich, freut sich die Geschäftsführerin. Bund und Länder hätten sich in der Krise stark engagiert; nie zuvor seien so viele Förder- und Projektmittel für die Amateurmusik bereitgestellt worden. Petzold hofft, dass bei den Verantwortlichen auch langfristig ein neues Bewusstsein für den sozialen Wert dieses Teils der Chor- und Orchesterlandschaft entstanden ist.   

Fortsetzen wird sich auch ein schon länger zu beobachtender Trend: Traditionelle Chöre und Gesangsvereine lösen sich auf, wechseln das Genre oder ihre Besetzung. Zugleich aber blühen neue Formen auf: Zeitlich begrenzte Projektchöre wollen ein bestimmtes Werk aufführen und laden Interessenten dazu ein. Vocal-Ensembles schießen wie Pilze aus dem Boden. Laut Petzold hat das vor allem mit veränderten Lebensgewohnheiten zu tun: Immer weniger Menschen binden sich langfristig an Organisationen.

Eine reiche Chortradition

Fest steht: Deutschland hat eine reiche Chortradition - und doch tun sich die Bundesbürger mit dem Singen schwer. Petzold führt das vor allem auf den Missbrauch des Gesangs durch die Nazis zurück. Vielen gelten das Singen und besonders deutsche Volkslieder als kitschig, verstaubt und reaktionär, ohne je selbst den Spaß daran erlebt zu haben. Der Philosoph Theodor W. Adorno habe mit seiner These, es gebe strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Singbewegung und Faschismus, dem Gesang einen bis heute nachwirkenden Schlag versetzt. 

Die Folgen: 2021 sang laut einer Umfrage nur noch jeder Vierte zu Hause unter dem Weihnachtsbaum. 2003 waren es noch 39 Prozent und 30 Jahre davor 52 Prozent. Zwar sieht der Chorverband mittlerweile durchaus eine Trendwende. Wichtig für eine dauerhafte Gesangskultur wäre es aber, möglichst früh mit dem Singen zu beginnen. 

Notstandsgebiet Pädagogen

Doch wenn es um Kindergärten und Grundschulen geht, sieht die Geschäftsführerin ein Notstandsgebiet: "An Berliner Grundschulen wird der Musikunterricht zu fast 90 Prozent von fachfremden Kräften erteilt", sagt Petzold. 

Allein an den deutschen Grundschulen fehlen laut Deutschem Musikrat rund 23.000 ausgebildete Musiklehrkräfte. Auch viele Fachkräfte in den Kitas hätten keine musikalische oder gesangliche Ausbildung, so die Geschäftsführerin. "Die fühlen sich dann zu Recht überfordert."

Fortbildungen für gemeinsames Singen

Aus diesem Grund hat der Chorverband die Initiative "Die Carusos" ins Leben gerufen. Kitas sollen darin bestärkt werden, das gemeinsame Singen in ihrem Alltag zu verankern - etwa durch Fortbildungen für Fachkräfte oder der kindlichen Stimme angepasste Liederbücher.

Derzeit tragen rund 550 Einrichtungen ein entsprechendes Qualitätssiegel. Zugleich hat der Chorverband das Engagement bei der musikalischen Aus- und Fortbildung von Kita-Personal und Grundschul-Lehrerinnen und -Lehrern verstärkt. Petzold ist zuversichtlich, dass die "Abwärtsspirale" gebremst werden kann. Sie betont, dass der Deutsche Chorverband seit langem fordert: Keine Kita ohne Musik - keine Schule ohne Chor.

Wer kann in den Domchören mitsingen?

Nicht nur Kinder, die die Kölner Domsingschule besuchen, können Mitglied in den Domchören werden. Auch die Schüler anderer Grundschulen sind der Kölner Dommusik mit Sitz in der Lindenthaler Clarenbachstraße willkommen. Einzige Voraussetzung ist allein die Freude am Singen.

Dazu bieten die Chorleiter, Domkapellmeister Eberhard Metternich und Domkantor Oliver Sperling, sowie der Leiter der Musikschule der Kölner Dommusik, Joachim Geibel, in den sogenannten Vorchören ein musikpädagogisches Programm für Mädchen und Jungen ab dem ersten Schuljahr an.

Quelle:
KNA