Höchststrafe für Attentäter von Halle

"Alle Hemmschwellen und menschlichen Züge abgelegt"

Um ein Haar hätte er in der Synagoge von Halle ein Blutbad angerichtet. Zwei Menschen starben, zahllose wurden traumatisiert. Nun hat das Gericht gegen den Rechtsterroristen Stephan B. die Höchststrafe verhängt.

Autor/in:
Paula Konersmann und Karin Wollschläger
Der angeklagte Stephan B. (m) zwischen seinen Verteidigern / © Ronny Hartmann (dpa)
Der angeklagte Stephan B. (m) zwischen seinen Verteidigern / © Ronny Hartmann ( dpa )

Das Urteil hatte sich abgezeichnet und in viele Reaktionen spiegelte sich Erleichterung: Im Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle ist am Montag der Angeklagte Stephan B. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden.

Das Oberlandesgericht Naumburg, das aus Platzgründen im Landgericht Magdeburg tagte, sprach ihn des zweifachen Mordes, des versuchten Mordes in über 60 Fällen und der Volksverhetzung schuldig. Die Vorsitzende Richterin des Ersten Strafsenats, Ursula Mertens, stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Das Gericht folgte damit dem geforderten Strafmaß des Generalbundesanwalts und zahlreicher Nebenkläger.

Angeklagter reagiert ausdruckslos

Mit ausdruckslosem Gesicht reagierte der Angeklagte auf das Urteil, wonach er vermutlich nie wieder in Freiheit kommt. Der 28-Jährige hatte mit dieser Höchststrafe gerechnet, wie er bereits in seinem Schlusswort vor knapp zwei Wochen im Prozess sagte. Bis zuletzt zeigte er keine Reue für seine Taten, die die Richterin als "unfassbar grausam, menschenverachtend und von einer Niedertracht geprägt, die ihresgleichen suchen muss", bezeichnete.

Stephan B. habe "unermessliches Leid" verursacht, als er am 9. Oktober 2019 schwerbewaffnet versuchte in der Synagoge ein Massaker anzurichten, wo sich zum Tatzeitpunkt 51 Gottesdienstteilnehmer befanden, die den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur begingen. "Sie hatten bereits alle Hemmschwellen und alle menschlichen Züge abgelegt, bevor Sie Ihre Angriffsmontur angelegt hatten", konstatierte die Richterin zum Angeklagten gewandt.

Als ihm ein Eindringen in das Gotteshaus misslang, erschoss er erst eine 40-jährige Passantin vor der Synagoge, dann einen 20 Jahre alten Maler-Azubi in einem nahen Döner-Imbiss und verletzte auf seiner Flucht weitere Menschen, zwei davon schwer. Der Attentäter filmte seine Taten und streamte sie live im Internet. "Die antisemitische, von Rassenhass geprägte Gesinnung des Angeklagten stellt ein verachtenswertes und aus tiefster Schuld bestehendes Tatmotiv dar", so die Richterin. Ausführlich legte sie mehrfach da, wie tief zahlreiche Überlebende und Angehörige durch die Taten nachhaltig traumatisiert wurden.

Abgründe menschlichen Daseins

Richterin Mertens machte in ihrer fast dreistündigen Urteilsbegründung keinen Hehl daraus, wie emotional herausfordernd dieser Prozess nicht nur für die Opfer und Angehörigen war: "Wir haben in 25 Verhandlungstagen in Abgründe des menschlichen Daseins geblickt. Viele Momente waren unerträglich." Einer davon sei gewesen, als B. auf eine Frage der Nebenklage, ob er auch Kinder umbringen würde, geantwortet habe: "Natürlich, Kinder könnten ja später auch meine Feinde sein." Allein dieser Satz, so die Richterin, würde für sich schon rechtfertigen, eine besondere Schwere der Schuld festzustellen.

Mit Blick auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung verwies Mertens auf die Besonderheit, dass dies gemeinhin bei massiv vorbestraften Tätern erfolge: "Bei Ihnen haben wir den ungewöhnlichen Fall, dass Sie aus dem Nichts heraus diese gravierenden Straftaten in einer Stunde und 15 Minuten begangen haben." Dennoch sei die Entscheidung des Gerichts gerechtfertigt: "Sie haben keinen Anflug von Reue gezeigt, ganz im Gegenteil. Und Sie haben an mehreren Stellen der Verhandlung zum Ausdruck gebracht, dass Sie Ihren Kampf fortsetzen wollen."

Mertens sagte dem Angeklagten sehr deutlich: "Sie sind für die Menschheit massiv gefährlich und der Senat hat keine Idee, wie wir dieser Gefährlichkeit etwas entgegensetzen können, außer mit Sicherungsverwahrung." Weiter führte sie aus: "Bei Ihnen, Herr B., handelt es sich um einen fanatisch, ideologisch motivierten Einzeltäter." Allerdings sei er nur im Sinne des Strafgesetzbuches ein Alleintäter, denn er habe im Internet Gleichgesinnte gesucht und gefunden: "Viele, viele haben sich vermutlich hier mitschuldig gemacht."

Als Richterin Mertens sich bereits verabschiedet hatte, schleuderte B. plötzlich einen zusammengerollten Schnellhefter in Richtung der Nebenkläger und Anklage. Sicherheitsbeamte überwältigten ihn sofort und führten ihn ab. Seinem Anwalt zufolge ist noch offen, ob er Revision gegen das Urteil einlegen wird. Bundesanwalt Kai Lohse hingegen zeigte sich "sehr zufrieden" mit Ergebnis und Verlauf: "Es ist ein angemessenes Urteil am Ende eines Prozesses, der das richtige Signal gesetzt hat."

Zantralrat der Juden äußert sich

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von einem wichtigen Tag für Deutschland: "Das Urteil macht deutlich, dass mörderischer Hass auf Juden auf keinerlei Toleranz trifft."

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag), künftig müssten Hintergründe erforscht werden, um besser zu verstehen, wie sich solche Taten verhindern ließen. Der religionspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hermann Gröhe, sprach auf Twitter von einem "angemessenen Urteil".

Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland betonte, die Verhängung der Höchststrafe solle auch "die Gerichte ermutigen, weiter hart gegen antisemitische Straftaten vorzugehen". Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, sagte: "Die Geschwindigkeit, Konsequenz und Entschiedenheit des Prozesses sind ein Beispiel dafür, wie man mit diesen Extremisten umgehen muss."

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, erklärte, das Verfahren könne nur der Beginn "einer Aufarbeitung und Verfolgung weiterer rassistischer Anschläge und Attentate in Deutschland sein".


Quelle:
KNA