Gesetzliche Regelung soll geprüft werden

Debatte um Beschneidung hält an

Das Landgericht Köln hatte in der vergangenen Woche die Beschneidung eines muslimischen Jungen als Körperverletzung gewertet. Juden und Muslime kritisierten das Urteil scharf. Jetzt fordern Politiker Rechtssicherheit für deren religiöse Praxis.

Beschneidung: "Äußerst befremdliche" Entscheidung (epd)
Beschneidung: "Äußerst befremdliche" Entscheidung / ( epd )

In der Debatte um die Beschneidung aus religiösen Gründen wird der Ruf nach Rechtssicherheit für Juden und Muslime lauter. Nach Worten der Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, prüft ihre Fraktion derzeit, ob und wie eine gesetzliche Regelung der Beschneidung auf den Weg gebracht werden soll. Die von dem Kölner Urteil betroffenen Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens dürften mit der jetzigen Situation nicht allein gelassen werden, sagte Künast in Berlin.



In der Fraktion werde eine Abwägung von Grundrechten diskutiert, wie etwa dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung einerseits und der Religionsfreiheit andererseits, so Künast.



Der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani hatte zuvor seine Empörung über das Beschneidungsurteil des Kölner Landgerichts zum Ausdruck gebracht. Er könne immer noch nicht ganz glauben, dass keine 70 Jahre nach dem Völkermord an den Juden "traditionelles jüdisches Leben in Deutschland wieder kriminalisiert und damit letztlich in die Illegalität getrieben wird", sagte Kermani dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Donnerstagsausgabe). "Das empört mich als deutscher Staatsbürger beinahe noch mehr, als es mich als Muslim erschreckt", sagte Kermani.



Fehlende Rechtssicherheit beklagt

Das Landgericht Köln hatte in der vergangenen Woche die Beschneidung eines muslimischen Jungen als Körperverletzung gewertet, weil ein medizinisch nicht notwendiger Eingriff nicht dem Kindeswohl entspreche. Das Recht des Kindes auf Unversehrtheit stehe über dem elterlichen Erziehungsrecht und dem Grundrecht auf Religionsfreiheit. Juden und Muslime, bei denen die Beschneidung von Jungen im Kindesalter üblich ist, kritisierten das Urteil scharf und fordern Rechtssicherheit für ihre religiöse Praxis.



Unterdessen hat der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen angekündigt, juristisch für das Recht auf die Beschneidung jüdischer und muslimischer Jungen kämpfen zu wollen. Der Vorsitzende Michael Fürst sagte am Donnerstag dem epd, nach dem Beschneidungsurteil des Kölner Landgerichts strebe er einen Musterprozess an. "Die Strafkammer eines Landgerichts ist mit einer solch wichtigen Frage absolut überfordert", betonte der Rechtsanwalt.



Fürst sieht in dem Kölner Urteil einen "absoluten Eingriff in die Religionsfreiheit". Darüber müsse letztlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Der Verbandsvorsitzende sucht nun jüdische Eltern, die bereit sind, sich bei der Beschneidung ihres neugeborenen Sohnes auf ein Musterverfahren einzulassen. Gesucht werde auch ein Beschneider, der das Risiko auf sich nimmt, möglicherweise bestraft zu werden. Der Landesverband werde ihnen Rechtsschutz gewähren.



"Bedeutende Kultushandlung"

Jüdische Jungen werden der biblischen Tradition zufolge am achten Tag nach ihrer Geburt beschnitten. Die Entfernung der Vorhaut ist seit Jahrtausenden das Aufnahmeritual für Söhne in die jüdische Gemeinschaft. Fürst sprach von einer "bedeutenden Kultushandlung".

Auch bei Muslimen ist die Beschneidung von Jungen üblich.



Die Union Progressiver Juden warnte vor einem Ende des Judentums in Deutschland, sollte das Kölner Beschneidungsurteil Bestand haben. Bliebe es bei dem Verbot religiöser Beschneidungen von neugeborenen Jungen, wäre jüdisches Leben in Deutschland ohne Zukunft, schreibt die Vorsitzende des jüdischen Verbandes, Sonja Guentner, in einem Beitrag für die evangelische Wochenzeitung "Die Kirche" (Berlin).



Es sei peinlich, dass sich die Politik erst nach vernichtend kritischen Kommentaren aus dem Ausland zu Wort gemeldet habe, kritisiert Guentner. Dabei könne Deutschland Schaden nehmen, falls das Urteil Bestand hat.



Für die etwa vier Millionen Muslime und 110.000 Juden in Deutschland habe das Urteil unmittelbare Folgen, betonte Guentner.

Jüdische Schwangere, die der Tradition folgend ihren Sohn am achten Tag nach der Geburt beschneiden lassen möchten, würden sich hektisch im Ausland umsehen, nachdem Krankenhäuser und Ärzte in Deutschland den Eingriff wegen der entstandenen Rechtsunsicherheit ablehnen.