Diskussion um Modellprojekt zu Muezzinrufen in Köln

"Verwirklichung eines Grundrechts"

Kann man christliches Glockengeläut mit dem islamischen Muezzinruf vergleichen? Darüber wird am Dienstag im Kölner Domforum diskutiert. Thomas Lemmen ist dabei. Er hält das Pilotprojekt der Stadt Köln für sinnvoll, trotz Gefahr des Missbrauchs.

Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld / © Christoph Driessen (dpa)
Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld / © Christoph Driessen ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Stadt Köln will als Pilotprojekt Muezzinrufe zulassen und sagt zur Begründung: Wenn bei christlichen Kirchen die Glocken zum Gottesdienst rufen, ist es bei den Moscheen der Muezzin. Kann man das so miteinander vergleichen?

Prof. Dr. Thomas Lemmen (Referat "Dialog und Verkündigung" im Erzbistum Köln): Man kann das auf einer funktionalen Ebene tatsächlich vergleichen, weil beides die Einladung zum Gebet ist. Die Glocken läuten, um die Menschen in die Kirche zu rufen, der Muezzin ruft, um die Menschen zum Gebet in die Moschee zu rufen. Das kann man vergleichen. Aber es gibt doch einen Unterschied: Der besteht darin, dass das Läuten in gewisser Weise ja ein Klang ist, also inhaltlich neutral, während der Gebetsruf im Ausrufen eines Textes besteht, dem das islamische Glaubensbekenntnis zugrunde liegt. Und das ist natürlich schon ein Unterschied. Das eine ist sozusagen ein Geläut, das inhaltlich "neutral" ist, das andere ein Text, der aufgerufen wird, den man natürlich auch verstehen muss, um diese Botschaft wahrzunehmen.

DOMRADIO.DE: In diesem Gebetsaufruf heißt es: Allah ist groß, es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist Gottes gesandter Prophet. Das ist dann doch schon ziemlich unterschiedlich zu Glockenklängen, nicht wahr?

Lemmen: Richtig. Aber den ersten Teil, also "Gott ist größer", das ist etwas, was man aus jüdischem und christlichem Verständnis genauso gut sagen kann. Es gibt auch nach christlichem Verständnis nichts und niemanden, der oder das größer ist als Gott. "Deus semper maior" sagen wir, Gott ist der immer Größere. Das kann ich auch als Christ gut nachvollziehen. Der andere Teil, Mohammed ist der Gesandte Gottes, das bringt natürlich das Spezifikum muslimischen Glaubens zum Ausdruck. Und das ist etwas, was ich als Christ so nicht unterschreiben kann.

DOMRADIO.DE: Befürworten Sie denn die Entscheidung der Stadt Köln, dass der Muezzin jetzt zum Gebet rufen kann?

Lemmen: Man muss sagen, dass der Gebetsruf etwas ist, was in der Religionsfreiheit des Grundgesetzes begründet ist. Ich finde es vernünftig, dass die Stadt Köln den Versuch gemacht hat, das in ein Verfahren zu bringen, an dem dann auch möglichst viele Gruppen und Interessierte beteiligt sind. Es geht letztlich um die Verwirklichung eines Grundrechts, von dem auch die katholische Kirche in Deutschland sagt, dass sie sich dafür einsetzt, dass dieses Grundrecht für alle Menschen, egal welcher Religion, Geltung findet.

DOMRADIO.DE: Dr. Lale Akgün ist morgen auch bei der Podiumsdiskussion dabei und kritisiert diesen geplanten Muezzinruf als Symbolpolitik, die vor allem dem politischen Islam, dem türkischen Präsidenten Erdogan und der erdogannahen Ditib nutzen. Sie spricht von einem Knicks vor dem politischen Treiben Erdogans. Hat sie damit Recht?

Lemmen: Wenn es jetzt so wäre, dass das eine Regelung wäre, die allein für die Ditib-Moschee gilt, könnte man darüber nachdenken. Aber der Gebetsruf als solcher ist Bestandteil der Religionsausübung von Muslimen und Musliminnen. Ob das nun zu politischen Zwecken von irgendjemandem instrumentalisiert wird, ist eine zweite und weitere Frage. Aber grundsätzlich reden wir hier von der Verwirklichung eines Grundrechts. Und dass nun eine der Moscheen, um die es geht, dem türkischen Staat nahesteht, ändert daran überhaupt nichts.

DOMRADIO.DE: Könnten sich denn radikale Islamisten durch diese Entscheidung in ihrem politischen Auftrag  bestätigt sehen?

Lemmen: Natürlich. Aber es gilt ja das Prinzip: Der Missbrauch einer Sache darf ihren grundsätzlichen Gebrauch, wenn er legitim ist, nicht untersagen. Das ist ja bei vielen Fragen so. Das Kopftuch kann ein politisches Symbol sein. Der Muezzinruf kann ein politisches Symbol sein, aber er muss es nicht sein. Beides muss nicht von vornherein ein politisches Zeichen sein. Und der frühere Bundespräsident Johannes Rau hat einmal gesagt: Dass man eine Sache missbrauchen kann, das ist richtig und möglich, aber das kann nicht das Argument sein, sie grundsätzlich zu verbieten, wenn das Anliegen, das dahinter steht, grundsätzlich nicht zu bestreiten ist.

Das Interview führte Florian Helbig.


Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema